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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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bunten durch die alte Autorität, um nicht zu verwildern, und nicht mehr mächtig
genug umspannt, um gehemmt zu werden und zu verkümmern."

So charakterisirt sich das deutsche Reich, als dessen Repräsentanten und
Hüter die Staufenkaiser dastehn. Der überquellende Reichthum allseitiger Ent¬
wickelungen, die es zeitigte, das hohe Ernstgefühl, das aus dem Bewußtsein
der Einheit floß, die in Sprache, Kunst und Leben die Völker umfaßte von den
Alpen bis zur Rhein- und Weichselmündung, es ergoß sich, gleich siegreich mit
dem Schwert wie mit dem Pfluge vordringend über die Ostgrenze deutschen
Landes hinaus, um ein "neues Deutschland" auf jenem Boden zu gründen,
den der häufige Ansturm des alten Reiches nicht dauernd zu behaupten im
Stande gewesen war. Hatte es schon große Anstrengungen gekostet, die Elb-
und Saalgrenze gegen die Slaven zu sichern, so war über den wüsten innern
Kämpfen, welche die Epoche der salischen Kaiser erfüllten, das jenseitige karo-
lingische Marksystem den periodischen Stößen der heidnischen Slaven nach und nach
fast gänzlich erlegen. So die Priegnitz, die Mittelmark, und von der Altmark
war -- wie die alte Kaiserchronik meldet -- der größte Theil "ganz wüste
von Volk und stand voll langes Rohres". In anderer aber nickt geringerer Ge¬
fahr schwebten die südlicheren wie die nördlicheren deutschen Vorlande, die in
ihrer Bedeutung als Grenzmarken mindere Aufmerksamkeit zu erheischen schie¬
nen, seitdem in Böhmen und Polen das Christenthum herrschend geworden
und beide Länder in den Lehnsverband des Reiches eingetreten waren. Aber
nicht lange währte die Täuschung, daß mit diesem Umschwunge der großen
Slavenreiche das deutsche Interesse sichergestellt sei. Vielmehr äußerte sich
jene Veränderung nur noch entschiedener im entgegengesetzten Sinne. Nament¬
lich Polen streckte sich immer energischer nach Schlesien, nach der meißner
und lausitzer Mark vor und drückte Hand in Hand mit der Bewegung
welche in den wendischen Ostseeländern durch den Andrang der Dänen erregt
wurde, auf die altslavischen Binnenländer zwischen Weichsel und Oder und
auf die Gebiete der weiland deutschen Bisthümer von Brandenburg und
Havelberg.

Da erheb sich Albrecht von Askanien in der ganzen Schwungkraft des
ghibellinischen Wesens, die Ehre der Nation und seines Hauses für die Abwehr
des Feindes verpfändend. Welch eine Arbeit, die er und'seine Nachfolger voll¬
endeten! Nach einem Menschenalter umspannte die neue brandenburgische Mark-
grafschaft nicht nur die alten verloren gegangenen Vorländer, sondern südlich
die sächsische Pfalz, östlich die Lande Sternberg und Crossen, nördlich die Ge¬
biete längs der Oder dazu, die Ostseeküste von Leba bis Cöslin, die Lehns¬
herrlichkeit über Pommern und Mecklenburg: das größte Fürstenthum im da¬
maligen Reiche. Diese Gründung war in der That der höchste Stolz der Zeit,
in welcher das Volkslied sang vom Bären Albrecht und Heinrich dem Löwen


bunten durch die alte Autorität, um nicht zu verwildern, und nicht mehr mächtig
genug umspannt, um gehemmt zu werden und zu verkümmern."

So charakterisirt sich das deutsche Reich, als dessen Repräsentanten und
Hüter die Staufenkaiser dastehn. Der überquellende Reichthum allseitiger Ent¬
wickelungen, die es zeitigte, das hohe Ernstgefühl, das aus dem Bewußtsein
der Einheit floß, die in Sprache, Kunst und Leben die Völker umfaßte von den
Alpen bis zur Rhein- und Weichselmündung, es ergoß sich, gleich siegreich mit
dem Schwert wie mit dem Pfluge vordringend über die Ostgrenze deutschen
Landes hinaus, um ein „neues Deutschland" auf jenem Boden zu gründen,
den der häufige Ansturm des alten Reiches nicht dauernd zu behaupten im
Stande gewesen war. Hatte es schon große Anstrengungen gekostet, die Elb-
und Saalgrenze gegen die Slaven zu sichern, so war über den wüsten innern
Kämpfen, welche die Epoche der salischen Kaiser erfüllten, das jenseitige karo-
lingische Marksystem den periodischen Stößen der heidnischen Slaven nach und nach
fast gänzlich erlegen. So die Priegnitz, die Mittelmark, und von der Altmark
war — wie die alte Kaiserchronik meldet — der größte Theil „ganz wüste
von Volk und stand voll langes Rohres". In anderer aber nickt geringerer Ge¬
fahr schwebten die südlicheren wie die nördlicheren deutschen Vorlande, die in
ihrer Bedeutung als Grenzmarken mindere Aufmerksamkeit zu erheischen schie¬
nen, seitdem in Böhmen und Polen das Christenthum herrschend geworden
und beide Länder in den Lehnsverband des Reiches eingetreten waren. Aber
nicht lange währte die Täuschung, daß mit diesem Umschwunge der großen
Slavenreiche das deutsche Interesse sichergestellt sei. Vielmehr äußerte sich
jene Veränderung nur noch entschiedener im entgegengesetzten Sinne. Nament¬
lich Polen streckte sich immer energischer nach Schlesien, nach der meißner
und lausitzer Mark vor und drückte Hand in Hand mit der Bewegung
welche in den wendischen Ostseeländern durch den Andrang der Dänen erregt
wurde, auf die altslavischen Binnenländer zwischen Weichsel und Oder und
auf die Gebiete der weiland deutschen Bisthümer von Brandenburg und
Havelberg.

Da erheb sich Albrecht von Askanien in der ganzen Schwungkraft des
ghibellinischen Wesens, die Ehre der Nation und seines Hauses für die Abwehr
des Feindes verpfändend. Welch eine Arbeit, die er und'seine Nachfolger voll¬
endeten! Nach einem Menschenalter umspannte die neue brandenburgische Mark-
grafschaft nicht nur die alten verloren gegangenen Vorländer, sondern südlich
die sächsische Pfalz, östlich die Lande Sternberg und Crossen, nördlich die Ge¬
biete längs der Oder dazu, die Ostseeküste von Leba bis Cöslin, die Lehns¬
herrlichkeit über Pommern und Mecklenburg: das größte Fürstenthum im da¬
maligen Reiche. Diese Gründung war in der That der höchste Stolz der Zeit,
in welcher das Volkslied sang vom Bären Albrecht und Heinrich dem Löwen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/517>, abgerufen am 24.07.2024.