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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Von den fünf Abschnitten, in welchen Droysen seinen ganzen Stoff zu be¬
wältigen gedenkt, liegt jetzt, neun Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes,
die reichliche Hälfte vor. Sie umfaßt die Zeit von der ersten Gründung des
preußischen Staates bis zu seiner Neugründung durch den großen Kurfürsten,
von dessen Negierung vorläufig nur die beiden ersten Jahrzehnte dargestellt sind.
Was uns zunächst interessirt, ist die Geschichte der Anfange des Staates nach
den Gesichtspunkten, welche Droysens Betrachtung leiten.

Unserer Nation ist in den ersten Phasen ihres geschichtlichen Lebens kein
anderer Name gegeben, darin sie gerechtfertigt werden soll, als der der Hohen-
staufen. Er ist ihr Triumph gewesen, so lange sie in einheitlicher Machtentfaltung
dastand, ihr Zorncsengel in den Zeiten der Zersplitterung durch wüste Selbst¬
sucht, das Symbol ihrer Hoffnung in den Tagen kräftigen Aufschwungs und
ernsthafter Erneuerung. Wir dürfen sagen: was nicht in irgendeiner Weise
Antheil an ihm hatte und mit ihm zusammenhing, dem fehlt in der Vorstellung
unseres Volks die rechte Weihe und Beglaubigung. Freilich, es ist längst am
Tage, daß jenes Bild, welches vor der Seele unseres Volkes schwebt, ein Ideal¬
bild ist, dem nichts in der Wirklichkeit entspricht; wir wissen, wie viel daran
fehlte, daß in jener Zeit alles so gewesen wäre wie die Nachlebenden es glaubten;
aber keineswegs in diesem Glauben allein liegt der unvergängliche Zauber.
Die Macht des Reiches wie Karl, wie die Ottonen sie begründet, war damals
in ihren materiellen Bedingungen allerdings erschüttert und gebrochen. Die
Unmittelbarkeit war dahin, in der die ehemaligen Reichsbestandtheile, so lange sie
als Aemter galten, zum obersten Haupte standen. Zwar die Herzogthümer, wie
sie sich zunächst unterhalb der königlichen Gewalt entwickelt und unter den Ot-
tonen das Medium des Kaiscrregimcnts nach unten und zugleich seine Stütze
gebildet hatten, waren beseitigt; die Pflicht der Selbsterhaltung nöthigte die
Kaiser, jene gefahrdrohenden Mittelbildungcn zu stören. Allein am Ende dieser
harten Arbeit stellte es sich heraus, wie sehr mittlerweile die Dinge sich nach
unten hin verwandelt hatten. Denn nicht mehr den ursprünglichen Grafen¬
gauen begegnete nun die Kaisermacht aufs neue, sondern aus der mißbräuchlichen
Vermengung der Lehrämter und der Allodien hatten sich Gebiete abgeschlossen,
die ihrerseits wieder den realen Besitzstand ebenso wie die Kompetenz der könig¬
lichen Macht beengten. Die Epoche der Salier zeigt die mannigfaltigsten Ver¬
suche und Kämpfe, hervorgehend aus dem Bestreben, der Entwicklung einer dieser
Richtungen durch Parteinahme für die andern in den Weg zu treten, oder beide
durch Förderung eines dritten Factors in Schach zu halten. Diese Absicht
bestimmt den häusigen Systemwechsel, den wir unter den fränkischen Kaisern
finden, unter denen Heinrich der Zweite die geistlichen Amtsträger gegen die
erblichen weltlichen hob, Konrad der Zweite die Kleinen unter diesen wieder
begünstigte, um der Großen Meister zu werden, Heinrich der Dritte endlich in


Von den fünf Abschnitten, in welchen Droysen seinen ganzen Stoff zu be¬
wältigen gedenkt, liegt jetzt, neun Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes,
die reichliche Hälfte vor. Sie umfaßt die Zeit von der ersten Gründung des
preußischen Staates bis zu seiner Neugründung durch den großen Kurfürsten,
von dessen Negierung vorläufig nur die beiden ersten Jahrzehnte dargestellt sind.
Was uns zunächst interessirt, ist die Geschichte der Anfange des Staates nach
den Gesichtspunkten, welche Droysens Betrachtung leiten.

Unserer Nation ist in den ersten Phasen ihres geschichtlichen Lebens kein
anderer Name gegeben, darin sie gerechtfertigt werden soll, als der der Hohen-
staufen. Er ist ihr Triumph gewesen, so lange sie in einheitlicher Machtentfaltung
dastand, ihr Zorncsengel in den Zeiten der Zersplitterung durch wüste Selbst¬
sucht, das Symbol ihrer Hoffnung in den Tagen kräftigen Aufschwungs und
ernsthafter Erneuerung. Wir dürfen sagen: was nicht in irgendeiner Weise
Antheil an ihm hatte und mit ihm zusammenhing, dem fehlt in der Vorstellung
unseres Volks die rechte Weihe und Beglaubigung. Freilich, es ist längst am
Tage, daß jenes Bild, welches vor der Seele unseres Volkes schwebt, ein Ideal¬
bild ist, dem nichts in der Wirklichkeit entspricht; wir wissen, wie viel daran
fehlte, daß in jener Zeit alles so gewesen wäre wie die Nachlebenden es glaubten;
aber keineswegs in diesem Glauben allein liegt der unvergängliche Zauber.
Die Macht des Reiches wie Karl, wie die Ottonen sie begründet, war damals
in ihren materiellen Bedingungen allerdings erschüttert und gebrochen. Die
Unmittelbarkeit war dahin, in der die ehemaligen Reichsbestandtheile, so lange sie
als Aemter galten, zum obersten Haupte standen. Zwar die Herzogthümer, wie
sie sich zunächst unterhalb der königlichen Gewalt entwickelt und unter den Ot-
tonen das Medium des Kaiscrregimcnts nach unten und zugleich seine Stütze
gebildet hatten, waren beseitigt; die Pflicht der Selbsterhaltung nöthigte die
Kaiser, jene gefahrdrohenden Mittelbildungcn zu stören. Allein am Ende dieser
harten Arbeit stellte es sich heraus, wie sehr mittlerweile die Dinge sich nach
unten hin verwandelt hatten. Denn nicht mehr den ursprünglichen Grafen¬
gauen begegnete nun die Kaisermacht aufs neue, sondern aus der mißbräuchlichen
Vermengung der Lehrämter und der Allodien hatten sich Gebiete abgeschlossen,
die ihrerseits wieder den realen Besitzstand ebenso wie die Kompetenz der könig¬
lichen Macht beengten. Die Epoche der Salier zeigt die mannigfaltigsten Ver¬
suche und Kämpfe, hervorgehend aus dem Bestreben, der Entwicklung einer dieser
Richtungen durch Parteinahme für die andern in den Weg zu treten, oder beide
durch Förderung eines dritten Factors in Schach zu halten. Diese Absicht
bestimmt den häusigen Systemwechsel, den wir unter den fränkischen Kaisern
finden, unter denen Heinrich der Zweite die geistlichen Amtsträger gegen die
erblichen weltlichen hob, Konrad der Zweite die Kleinen unter diesen wieder
begünstigte, um der Großen Meister zu werden, Heinrich der Dritte endlich in


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[0515] Von den fünf Abschnitten, in welchen Droysen seinen ganzen Stoff zu be¬ wältigen gedenkt, liegt jetzt, neun Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes, die reichliche Hälfte vor. Sie umfaßt die Zeit von der ersten Gründung des preußischen Staates bis zu seiner Neugründung durch den großen Kurfürsten, von dessen Negierung vorläufig nur die beiden ersten Jahrzehnte dargestellt sind. Was uns zunächst interessirt, ist die Geschichte der Anfange des Staates nach den Gesichtspunkten, welche Droysens Betrachtung leiten. Unserer Nation ist in den ersten Phasen ihres geschichtlichen Lebens kein anderer Name gegeben, darin sie gerechtfertigt werden soll, als der der Hohen- staufen. Er ist ihr Triumph gewesen, so lange sie in einheitlicher Machtentfaltung dastand, ihr Zorncsengel in den Zeiten der Zersplitterung durch wüste Selbst¬ sucht, das Symbol ihrer Hoffnung in den Tagen kräftigen Aufschwungs und ernsthafter Erneuerung. Wir dürfen sagen: was nicht in irgendeiner Weise Antheil an ihm hatte und mit ihm zusammenhing, dem fehlt in der Vorstellung unseres Volks die rechte Weihe und Beglaubigung. Freilich, es ist längst am Tage, daß jenes Bild, welches vor der Seele unseres Volkes schwebt, ein Ideal¬ bild ist, dem nichts in der Wirklichkeit entspricht; wir wissen, wie viel daran fehlte, daß in jener Zeit alles so gewesen wäre wie die Nachlebenden es glaubten; aber keineswegs in diesem Glauben allein liegt der unvergängliche Zauber. Die Macht des Reiches wie Karl, wie die Ottonen sie begründet, war damals in ihren materiellen Bedingungen allerdings erschüttert und gebrochen. Die Unmittelbarkeit war dahin, in der die ehemaligen Reichsbestandtheile, so lange sie als Aemter galten, zum obersten Haupte standen. Zwar die Herzogthümer, wie sie sich zunächst unterhalb der königlichen Gewalt entwickelt und unter den Ot- tonen das Medium des Kaiscrregimcnts nach unten und zugleich seine Stütze gebildet hatten, waren beseitigt; die Pflicht der Selbsterhaltung nöthigte die Kaiser, jene gefahrdrohenden Mittelbildungcn zu stören. Allein am Ende dieser harten Arbeit stellte es sich heraus, wie sehr mittlerweile die Dinge sich nach unten hin verwandelt hatten. Denn nicht mehr den ursprünglichen Grafen¬ gauen begegnete nun die Kaisermacht aufs neue, sondern aus der mißbräuchlichen Vermengung der Lehrämter und der Allodien hatten sich Gebiete abgeschlossen, die ihrerseits wieder den realen Besitzstand ebenso wie die Kompetenz der könig¬ lichen Macht beengten. Die Epoche der Salier zeigt die mannigfaltigsten Ver¬ suche und Kämpfe, hervorgehend aus dem Bestreben, der Entwicklung einer dieser Richtungen durch Parteinahme für die andern in den Weg zu treten, oder beide durch Förderung eines dritten Factors in Schach zu halten. Diese Absicht bestimmt den häusigen Systemwechsel, den wir unter den fränkischen Kaisern finden, unter denen Heinrich der Zweite die geistlichen Amtsträger gegen die erblichen weltlichen hob, Konrad der Zweite die Kleinen unter diesen wieder begünstigte, um der Großen Meister zu werden, Heinrich der Dritte endlich in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/515>, abgerufen am 24.07.2024.