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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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allenthalben und wir sollen sie sehen, aber gerade indem er uns theilnehmen
läßt an seiner Mühe, fühlen wir uns den Dingen gegenüber persönlich angeredet
und verpflichtet und tragen das heilsame Gefühl hinweg, daß wir durch die
Anspannung, die unser Wille, sei es auch nur in der Vorstellung, erfahren hat,
einen Zoll eigner Arbeit an die Geschichte abgetragen haben.

Es liegt in dieser Weise der Geschichtsbetrachtung und Geschichtsdarstellung
in sittlicher Rücksicht etwas dem Aehnliches, was hinsichtlich unseres religiösen
Verhaltens seine typische Ausprägung in der Heilsbedeutung der historischen
Vorgänge des Urchristenthums gefunden hat. Dieser Werth des ein für alle
Mal, den wir den Begebenheiten der Heilandsgeschichte beilegen und vermöge
dessen sie Erfahrung und Erwerb der ganzen Menschheit werden, ist auf die
großen Ereignisse der Menschengeschichte erweitert, an deren Gehalt auch nicht
ein Jota "profan" ist. Sondern auch in ihnen liegt ewiger Werth. Die Ge¬
schichte bestätigt Schritt um Schritt, daß es kein Wahn ist um das Jehovawort
vom Wohlthun bis ins tausendste und von der Heimsuchung bis ins dritte und
vierte Glied. Die Rechtfertigung und die Versöhnung aber erwerben wir durch
die Arbeit der Theilnahme und des Verständnisses. Darum ist es ein priester¬
liches Amt, welches der Historiker übt, der uns dazu bereitet; er thut es mit
Hilfe jenes pädagogischen Taktes, der Droysen in. außerordentlichem Maße eigen
ist: die Weise, wie er die großen Räthsel der ringenden Menschheit anpackt,
läßt uns wähnen, wir selber bezwangen sie, während er es ist, der sie durch
die Nennung ihres Namens bändigt. --

Der Leser verzeihe diese lange Vorbereitung. Es sollte durch sie nicht blos
aus die innern Gründe aufmerksam gemacht werden, welche die eingeschränkte
Popularität des droysenschen Hauptwerkes erklären, sondern sie sollte die Eigen¬
thümlichkeit des Genius bezeichnen, der in ihm uns entgegentritt. , Zu diesem
Zwecke wurde auf die theoretische Seite von Droysens Arbeiten hingewiesen,
die zur Zeit nur erst als Gegenstand akademischer Vorlesungen von ihm bekannt
gemacht worden sind. Ihr Verhältniß zu seinen schriftstellerischen Leistungen
ist weder zufällig für ihn, noch unerheblich für uns. Sie hat es, wie wu an¬
deuteten, einerseits allerdings mit sich gebracht, daß sein Werk mehr den Mit-
sorschenden als dem Publicum im weitern Sinne gilt; aber wenn es auch der
Masse der Nation nicht unmittelbar angehört, so ist es darum doch nicht minder
befähigt, den Besten seiner Zeit genug zu thun. Denn es hat andrerseits in dem
wissenschaftlich befestigten Bewußtsein von dem weltgeschichtlichen Werthe des Her¬
ganges der preußischen Geschichte unser Volk des Hortes seiner Zukunft neu versichert.

Sonach erscheint es in mehr als einer Hinsicht eine Ehrenpflicht, welche
diese Blätter erfüllen, indem sie von dem Inhalte des außerordentlichen Buches
in der Absicht Rechenschaft geben, um in weiteren Kreisen zu eingehender Lectüre
desselben hinzuführen.


allenthalben und wir sollen sie sehen, aber gerade indem er uns theilnehmen
läßt an seiner Mühe, fühlen wir uns den Dingen gegenüber persönlich angeredet
und verpflichtet und tragen das heilsame Gefühl hinweg, daß wir durch die
Anspannung, die unser Wille, sei es auch nur in der Vorstellung, erfahren hat,
einen Zoll eigner Arbeit an die Geschichte abgetragen haben.

Es liegt in dieser Weise der Geschichtsbetrachtung und Geschichtsdarstellung
in sittlicher Rücksicht etwas dem Aehnliches, was hinsichtlich unseres religiösen
Verhaltens seine typische Ausprägung in der Heilsbedeutung der historischen
Vorgänge des Urchristenthums gefunden hat. Dieser Werth des ein für alle
Mal, den wir den Begebenheiten der Heilandsgeschichte beilegen und vermöge
dessen sie Erfahrung und Erwerb der ganzen Menschheit werden, ist auf die
großen Ereignisse der Menschengeschichte erweitert, an deren Gehalt auch nicht
ein Jota „profan" ist. Sondern auch in ihnen liegt ewiger Werth. Die Ge¬
schichte bestätigt Schritt um Schritt, daß es kein Wahn ist um das Jehovawort
vom Wohlthun bis ins tausendste und von der Heimsuchung bis ins dritte und
vierte Glied. Die Rechtfertigung und die Versöhnung aber erwerben wir durch
die Arbeit der Theilnahme und des Verständnisses. Darum ist es ein priester¬
liches Amt, welches der Historiker übt, der uns dazu bereitet; er thut es mit
Hilfe jenes pädagogischen Taktes, der Droysen in. außerordentlichem Maße eigen
ist: die Weise, wie er die großen Räthsel der ringenden Menschheit anpackt,
läßt uns wähnen, wir selber bezwangen sie, während er es ist, der sie durch
die Nennung ihres Namens bändigt. —

Der Leser verzeihe diese lange Vorbereitung. Es sollte durch sie nicht blos
aus die innern Gründe aufmerksam gemacht werden, welche die eingeschränkte
Popularität des droysenschen Hauptwerkes erklären, sondern sie sollte die Eigen¬
thümlichkeit des Genius bezeichnen, der in ihm uns entgegentritt. , Zu diesem
Zwecke wurde auf die theoretische Seite von Droysens Arbeiten hingewiesen,
die zur Zeit nur erst als Gegenstand akademischer Vorlesungen von ihm bekannt
gemacht worden sind. Ihr Verhältniß zu seinen schriftstellerischen Leistungen
ist weder zufällig für ihn, noch unerheblich für uns. Sie hat es, wie wu an¬
deuteten, einerseits allerdings mit sich gebracht, daß sein Werk mehr den Mit-
sorschenden als dem Publicum im weitern Sinne gilt; aber wenn es auch der
Masse der Nation nicht unmittelbar angehört, so ist es darum doch nicht minder
befähigt, den Besten seiner Zeit genug zu thun. Denn es hat andrerseits in dem
wissenschaftlich befestigten Bewußtsein von dem weltgeschichtlichen Werthe des Her¬
ganges der preußischen Geschichte unser Volk des Hortes seiner Zukunft neu versichert.

Sonach erscheint es in mehr als einer Hinsicht eine Ehrenpflicht, welche
diese Blätter erfüllen, indem sie von dem Inhalte des außerordentlichen Buches
in der Absicht Rechenschaft geben, um in weiteren Kreisen zu eingehender Lectüre
desselben hinzuführen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/514>, abgerufen am 24.07.2024.