Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.gefährdet der sächsische Entwurf auch hier das Princip der Mündlichkeit in Zunächst geschieht die Beweisantretung schriftlich (Paragraph 590 ff). Ich komme zum dritten Hauptpunkt, der Instanz der Rechtsmittel. ') Merkwürdigerweise sagt der Verfasser des Entwurfs, der sonst lieber einen deutschen Ausdruck erfindet, als daß er ein eingebürgertes Fremdwort braucht, "Appellation" statt des überall bekannten deutschen Wortes. 58 *
gefährdet der sächsische Entwurf auch hier das Princip der Mündlichkeit in Zunächst geschieht die Beweisantretung schriftlich (Paragraph 590 ff). Ich komme zum dritten Hauptpunkt, der Instanz der Rechtsmittel. ') Merkwürdigerweise sagt der Verfasser des Entwurfs, der sonst lieber einen deutschen Ausdruck erfindet, als daß er ein eingebürgertes Fremdwort braucht, „Appellation" statt des überall bekannten deutschen Wortes. 58 *
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0465" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116931"/> <p xml:id="ID_1447" prev="#ID_1446"> gefährdet der sächsische Entwurf auch hier das Princip der Mündlichkeit in<lb/> höchst bedenklicher Weise.</p><lb/> <p xml:id="ID_1448"> Zunächst geschieht die Beweisantretung schriftlich (Paragraph 590 ff).<lb/> Hierauf findet Termin statt, doch kann noch vorher der Beweisgegner mit<lb/> einer Einwcndungsschrift einkommen, ferner wird im Termin der letztere zuerst<lb/> gehört, und Beschluß über die Beweisantretung und etwaige Einwendungen<lb/> auch in Abo-esenheit einer oder beider Parteien gefaßt. Im Termin<lb/> zur Beweisaussührung trägt zuerst ein Mitglied des Gerichts die<lb/> Lage der Sache vor, worauf den Parteien das Wort gegeben wird (Para-<lb/> graph 696). — Solche Bestimmungen konnte niemand aufnehmen, der in den<lb/> Geist der neueren Proceßgesetzgebungen eingedrungen ist, der das Anregende<lb/> und Belebende des contradictorischen Verfahrens aus eigener Anschauung kennen<lb/> gelernt hat und sich nicht blos mit den Lippen dazu bekennt. Statt aller<lb/> weiteren Ausführungen beschränke ich mich darauf, eine Stelle aus den Motiven<lb/> (S. 263) anzuführen, welche wie Ironie auf diesen Theil des Entwurfs aus¬<lb/> sieht: „Da, wo man ängstlicher Weise an der erfolgreichen Durchführbarkeit<lb/> einer wahren Mündlichkeit zweifelte, erhob man die besprochene Verfcchrungs-<lb/> art (Schriftlichkeit mit mündlicher Schlußverhandlung) für den ordentlichen<lb/> Proceß zur Regel, mußte sich jedoch bald überzeugen, daß die Schlußverhand¬<lb/> lung bei weitem nicht den Nutzen gewährte, den man von ihr erwartet hatte.<lb/> Da die thatsächlichen Behauptungen der Parteien durch den Schriftenwechsel<lb/> feststanden, konnte die Tagfahrt zur mündlichen Verhandlung im Wesentlichen<lb/> nur zu Nechtsausführungen und dazu dienen, dem Gerichte die Gelegenheit zu<lb/> bieten, sich über im Verfahren etwa untergelaufene Dunkelheiten und Zwei'<lb/> deutigkeiten Ausklärung zu verschaffen. Der Advocat, welcher die Sache im<lb/> Hauptwerke durch das schriftliche Verfahren geordnet wußte, und sich darauf<lb/> verließ, daß der Richter das Gesetz auf den Streitfall richtig anwenden werde,<lb/> erblickte in der mündlichen Verhandlung, da sie etwas entscheidendes Neues<lb/> nicht zu bringen hatte, nur zu leicht ein ziemlich überflüssiges Beiwerk,<lb/> auf. welches er eben deshalb keinen sonderlichen Fleiß verwendete. Der Richter<lb/> hatte das für Beurtheilung der Sache Erforderliche schon in den Acten vor sich<lb/> und legte daher wenig Werth auf Vorträge, welche in thatsächlicher Hinsicht<lb/> nichts Neues zu bringen hatten." — —</p><lb/> <p xml:id="ID_1449"> Ich komme zum dritten Hauptpunkt, der Instanz der Rechtsmittel.<lb/> Gleich den meisten neueren Gesetzgebungen kennt der Entwurf nur eine Be-<lb/> rufungs-*) und eine Cassations-Jnstanz — eine heilsame, durchgängig bewährt<lb/> gefundene Abkürzung des Processes.</p><lb/> <note xml:id="FID_40" place="foot"> ') Merkwürdigerweise sagt der Verfasser des Entwurfs, der sonst lieber einen deutschen<lb/> Ausdruck erfindet, als daß er ein eingebürgertes Fremdwort braucht, „Appellation" statt<lb/> des überall bekannten deutschen Wortes.</note><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 58 *</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0465]
gefährdet der sächsische Entwurf auch hier das Princip der Mündlichkeit in
höchst bedenklicher Weise.
Zunächst geschieht die Beweisantretung schriftlich (Paragraph 590 ff).
Hierauf findet Termin statt, doch kann noch vorher der Beweisgegner mit
einer Einwcndungsschrift einkommen, ferner wird im Termin der letztere zuerst
gehört, und Beschluß über die Beweisantretung und etwaige Einwendungen
auch in Abo-esenheit einer oder beider Parteien gefaßt. Im Termin
zur Beweisaussührung trägt zuerst ein Mitglied des Gerichts die
Lage der Sache vor, worauf den Parteien das Wort gegeben wird (Para-
graph 696). — Solche Bestimmungen konnte niemand aufnehmen, der in den
Geist der neueren Proceßgesetzgebungen eingedrungen ist, der das Anregende
und Belebende des contradictorischen Verfahrens aus eigener Anschauung kennen
gelernt hat und sich nicht blos mit den Lippen dazu bekennt. Statt aller
weiteren Ausführungen beschränke ich mich darauf, eine Stelle aus den Motiven
(S. 263) anzuführen, welche wie Ironie auf diesen Theil des Entwurfs aus¬
sieht: „Da, wo man ängstlicher Weise an der erfolgreichen Durchführbarkeit
einer wahren Mündlichkeit zweifelte, erhob man die besprochene Verfcchrungs-
art (Schriftlichkeit mit mündlicher Schlußverhandlung) für den ordentlichen
Proceß zur Regel, mußte sich jedoch bald überzeugen, daß die Schlußverhand¬
lung bei weitem nicht den Nutzen gewährte, den man von ihr erwartet hatte.
Da die thatsächlichen Behauptungen der Parteien durch den Schriftenwechsel
feststanden, konnte die Tagfahrt zur mündlichen Verhandlung im Wesentlichen
nur zu Nechtsausführungen und dazu dienen, dem Gerichte die Gelegenheit zu
bieten, sich über im Verfahren etwa untergelaufene Dunkelheiten und Zwei'
deutigkeiten Ausklärung zu verschaffen. Der Advocat, welcher die Sache im
Hauptwerke durch das schriftliche Verfahren geordnet wußte, und sich darauf
verließ, daß der Richter das Gesetz auf den Streitfall richtig anwenden werde,
erblickte in der mündlichen Verhandlung, da sie etwas entscheidendes Neues
nicht zu bringen hatte, nur zu leicht ein ziemlich überflüssiges Beiwerk,
auf. welches er eben deshalb keinen sonderlichen Fleiß verwendete. Der Richter
hatte das für Beurtheilung der Sache Erforderliche schon in den Acten vor sich
und legte daher wenig Werth auf Vorträge, welche in thatsächlicher Hinsicht
nichts Neues zu bringen hatten." — —
Ich komme zum dritten Hauptpunkt, der Instanz der Rechtsmittel.
Gleich den meisten neueren Gesetzgebungen kennt der Entwurf nur eine Be-
rufungs-*) und eine Cassations-Jnstanz — eine heilsame, durchgängig bewährt
gefundene Abkürzung des Processes.
') Merkwürdigerweise sagt der Verfasser des Entwurfs, der sonst lieber einen deutschen
Ausdruck erfindet, als daß er ein eingebürgertes Fremdwort braucht, „Appellation" statt
des überall bekannten deutschen Wortes.
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