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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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erfolglosen Ablaufe der zur Einreich ung der Schriftsätze bestimmten Fristen
werden die Parteien zur Tagfahrt zur mündlichen Verhandlung geladen: 1) der
Beklagte unter der Verwarnung, daß er, wenn er in derselben nicht erscheine,
der Klagthatsachen werde für geständig, auch der Einreden für verlustig an¬
gesehen, 2) der Kläger unter der Verwarnung, daß wenn er nicht erscheine, der
Beklagte werde von dem Processe entbunden werden."

Während also in Hannover das Gericht bis zum Verhandlungstermin
weiter nichts zu thun hat, als daß der Vorsitzende unter die eingereichte Klage
die Bemerkung setzt: "Verhandlungstermin auf den und den Tag anberaumt"
und der Secretär die Gegenanträge in Empfang nimmt, bekommen wir hier,
abgesehen von der Prüfung der Klage und was damit zusammenhängt, zwei
richterliche Decrete, dreimalige Behändigung von Schriftsätzen
und außerdem eine Ladung zum Termin, welche wieder eine Resolution
voraussetzt. Die Sache läuft verschiedene Male durch die Negistrande, und jeder¬
mann weiß, was die Folge davon ist. Ich bezweifle sehr, ob diese Abweichung
von dem durch Erfahrung Erprobten eine Verbesserung genannt werden darf.

Die Vorschriften über die mündliche Verhandlung selbst stimmen mit denen
des hannöverschen Gesetzes überein; nur kann, abweichend von ihnen, auch der
Kläger allein die Einleitung des schriftlichen Verfahrens mit "Schlußtag-
sahrt" beantragen -- eine Beeinträchtigung der Mündlichkeit, für welche sich
ein Grund schwer finden läßt.

Ehe ich zum Beweisverfahren übergehe, sei noch kurz erwähnt, daß in
der vielfach verhandelten Frage über die Rechtskraft des Beweisinterlocuts ze.
der Entwurf der preußischen Gesetzgebung folgt: die Beweisauflage geschieht
durch einfache Resolution, welche bis zur definitiven Entscheidung abgeändert
werden kann. Die hannöversche Proceßvrdnung hat darin eine neue Ein"
richtung geschaffen, die nach dem Urtheil der Meisten sich in der Praxis sehr
gut bewährt: das Jnterlocut kann nur in Verbindung mit der Berufung gegen
die Endentscheidung angefochten werden, der Richter erster Instanz dagegen ist
an dasselbe gebunden. Zu weiterer Ausführung dieses Punktes ist hier nicht
der Ort. Ebenso muß ich mir das Eingehen auf die sogenannte Beweis¬
theorie versagen.

Was nun das Bcw eisverfahren selbst anlangt.so zerfällt dasselbe naturgemäß
in drei Abschnitte: die Beweisantretung (Benennung der Beweismittel :c.);
die Beweisaufnahme (Anhörung der Zeugen, Sachverständigen ?c.); und die
Beweisausführung (Verhandlung über die Resultate der Beweisaufnahme).

Während das französische Neckt für den ersten und dritten Abschnitt un¬
bedingt mündliches Verfahren vorschreibt, die Beweisaufnahme dagegen in
der Regel an einen Commissär verweist, die hannöversche Proceßordnung aber
soweit.thunlich auch die letztere in collegialischer Sitzung vor sich gehen laßt.


erfolglosen Ablaufe der zur Einreich ung der Schriftsätze bestimmten Fristen
werden die Parteien zur Tagfahrt zur mündlichen Verhandlung geladen: 1) der
Beklagte unter der Verwarnung, daß er, wenn er in derselben nicht erscheine,
der Klagthatsachen werde für geständig, auch der Einreden für verlustig an¬
gesehen, 2) der Kläger unter der Verwarnung, daß wenn er nicht erscheine, der
Beklagte werde von dem Processe entbunden werden."

Während also in Hannover das Gericht bis zum Verhandlungstermin
weiter nichts zu thun hat, als daß der Vorsitzende unter die eingereichte Klage
die Bemerkung setzt: „Verhandlungstermin auf den und den Tag anberaumt"
und der Secretär die Gegenanträge in Empfang nimmt, bekommen wir hier,
abgesehen von der Prüfung der Klage und was damit zusammenhängt, zwei
richterliche Decrete, dreimalige Behändigung von Schriftsätzen
und außerdem eine Ladung zum Termin, welche wieder eine Resolution
voraussetzt. Die Sache läuft verschiedene Male durch die Negistrande, und jeder¬
mann weiß, was die Folge davon ist. Ich bezweifle sehr, ob diese Abweichung
von dem durch Erfahrung Erprobten eine Verbesserung genannt werden darf.

Die Vorschriften über die mündliche Verhandlung selbst stimmen mit denen
des hannöverschen Gesetzes überein; nur kann, abweichend von ihnen, auch der
Kläger allein die Einleitung des schriftlichen Verfahrens mit „Schlußtag-
sahrt" beantragen — eine Beeinträchtigung der Mündlichkeit, für welche sich
ein Grund schwer finden läßt.

Ehe ich zum Beweisverfahren übergehe, sei noch kurz erwähnt, daß in
der vielfach verhandelten Frage über die Rechtskraft des Beweisinterlocuts ze.
der Entwurf der preußischen Gesetzgebung folgt: die Beweisauflage geschieht
durch einfache Resolution, welche bis zur definitiven Entscheidung abgeändert
werden kann. Die hannöversche Proceßvrdnung hat darin eine neue Ein»
richtung geschaffen, die nach dem Urtheil der Meisten sich in der Praxis sehr
gut bewährt: das Jnterlocut kann nur in Verbindung mit der Berufung gegen
die Endentscheidung angefochten werden, der Richter erster Instanz dagegen ist
an dasselbe gebunden. Zu weiterer Ausführung dieses Punktes ist hier nicht
der Ort. Ebenso muß ich mir das Eingehen auf die sogenannte Beweis¬
theorie versagen.

Was nun das Bcw eisverfahren selbst anlangt.so zerfällt dasselbe naturgemäß
in drei Abschnitte: die Beweisantretung (Benennung der Beweismittel :c.);
die Beweisaufnahme (Anhörung der Zeugen, Sachverständigen ?c.); und die
Beweisausführung (Verhandlung über die Resultate der Beweisaufnahme).

Während das französische Neckt für den ersten und dritten Abschnitt un¬
bedingt mündliches Verfahren vorschreibt, die Beweisaufnahme dagegen in
der Regel an einen Commissär verweist, die hannöversche Proceßordnung aber
soweit.thunlich auch die letztere in collegialischer Sitzung vor sich gehen laßt.


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[0464] erfolglosen Ablaufe der zur Einreich ung der Schriftsätze bestimmten Fristen werden die Parteien zur Tagfahrt zur mündlichen Verhandlung geladen: 1) der Beklagte unter der Verwarnung, daß er, wenn er in derselben nicht erscheine, der Klagthatsachen werde für geständig, auch der Einreden für verlustig an¬ gesehen, 2) der Kläger unter der Verwarnung, daß wenn er nicht erscheine, der Beklagte werde von dem Processe entbunden werden." Während also in Hannover das Gericht bis zum Verhandlungstermin weiter nichts zu thun hat, als daß der Vorsitzende unter die eingereichte Klage die Bemerkung setzt: „Verhandlungstermin auf den und den Tag anberaumt" und der Secretär die Gegenanträge in Empfang nimmt, bekommen wir hier, abgesehen von der Prüfung der Klage und was damit zusammenhängt, zwei richterliche Decrete, dreimalige Behändigung von Schriftsätzen und außerdem eine Ladung zum Termin, welche wieder eine Resolution voraussetzt. Die Sache läuft verschiedene Male durch die Negistrande, und jeder¬ mann weiß, was die Folge davon ist. Ich bezweifle sehr, ob diese Abweichung von dem durch Erfahrung Erprobten eine Verbesserung genannt werden darf. Die Vorschriften über die mündliche Verhandlung selbst stimmen mit denen des hannöverschen Gesetzes überein; nur kann, abweichend von ihnen, auch der Kläger allein die Einleitung des schriftlichen Verfahrens mit „Schlußtag- sahrt" beantragen — eine Beeinträchtigung der Mündlichkeit, für welche sich ein Grund schwer finden läßt. Ehe ich zum Beweisverfahren übergehe, sei noch kurz erwähnt, daß in der vielfach verhandelten Frage über die Rechtskraft des Beweisinterlocuts ze. der Entwurf der preußischen Gesetzgebung folgt: die Beweisauflage geschieht durch einfache Resolution, welche bis zur definitiven Entscheidung abgeändert werden kann. Die hannöversche Proceßvrdnung hat darin eine neue Ein» richtung geschaffen, die nach dem Urtheil der Meisten sich in der Praxis sehr gut bewährt: das Jnterlocut kann nur in Verbindung mit der Berufung gegen die Endentscheidung angefochten werden, der Richter erster Instanz dagegen ist an dasselbe gebunden. Zu weiterer Ausführung dieses Punktes ist hier nicht der Ort. Ebenso muß ich mir das Eingehen auf die sogenannte Beweis¬ theorie versagen. Was nun das Bcw eisverfahren selbst anlangt.so zerfällt dasselbe naturgemäß in drei Abschnitte: die Beweisantretung (Benennung der Beweismittel :c.); die Beweisaufnahme (Anhörung der Zeugen, Sachverständigen ?c.); und die Beweisausführung (Verhandlung über die Resultate der Beweisaufnahme). Während das französische Neckt für den ersten und dritten Abschnitt un¬ bedingt mündliches Verfahren vorschreibt, die Beweisaufnahme dagegen in der Regel an einen Commissär verweist, die hannöversche Proceßordnung aber soweit.thunlich auch die letztere in collegialischer Sitzung vor sich gehen laßt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/464>, abgerufen am 24.07.2024.