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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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antrags bedienen will -- und dies geschieht bei uns, da der Gebrauch anderer
Beweismittel den eventuellen Eidesantrag ausschließt, bei der großen Mehrzahl
der Klagen --, so muß er dies sofort bei Einreichung der Klage thun. Nun ist
die Praxis äußerst penibel in der Bestimmung der Thatsachen, über welche der
Eid angetragen werden darf, besonders aber fordert man eine Specialisirung,
wie sie oft gar nicht gegeben werden kann. Ist dann in irgendeinem wesent¬
lichen Punkte "die für den Eidesantrag erforderliche Specialität zu vermissen"
-- so lautet die übliche Formel -- und läugnet der Beklagte diesen Punkt,
so erfolgt die Abweisung der Klage. Diese Maxime hat noch einen Krebs¬
schaden unseres jetzigen Verfahrens sehr befördert, den ich berühren muß, ob-
schon er strenggenommen nicht hierher gehört: das wahrheits widrig e Läug-
nen, welches, für jeden Unbefangenen entschieden verwerflich, nachgerade ein
nur zu häusig angewandtes Vertheidigungsmittel geworden ist. Mit wahrer
Manie arbeitet man auf die Abweisung der Klage hin, welche doch nur unter
der Voraussetzung im Interesse des Beklagten liegt, daß der Kläger des langen
Processirens endlich müde wird. Dieses Bestreben hat aber eben nur dann
Erfolg, wenn der Punkt der Klage, welchen der Gegner für nicht genügend
specialisirt hält, ins Läugnen gestellt wird; denn das Zugeständniß des Be¬
klagten heilt den Fehler der Klage. -- Es wird hohe Zeit, daß man dieser
unwürdigen Vertheidigungsart ein Ziel setzt, und dies wird geschehen theils
durch Einführung der Mündlichkeit und Oeffentlichkeit, theils durch Gestattung
des eventuellen ("vorsorglicher") Eidesantrags, wie sie der Entwurf mit Recht
anordnet. -- Um nach dieser Abschweifung zu unserem Thema zurückzukehren,
so läßt sich billig bezweifeln, daß die -- doch nur vorläufige -- Prüfung der
Klage durch den Richter eine größere Garantie für deren Aufrechterhaltung
geben werde, als die vorauszusetzende Sorgfalt des Urwalds bei ihrer Aus¬
arbeitung. Ferner spricht gegen jene Vorschrift die dadurch nothwendig ein¬
tretende Verzögerung -- von einer Ausfertigung binnen vierundzwanzig Stun¬
den, wie in Hannover, könnte nur ganz ausnahmsweise die Rede sein; endlich
aber würde durch dieselbe der Richter die Stelle eines Rathgebers einnehmen
und dadurch theils dem Colleg, theils dem Anwälte gegenüber sehr leicht in
eine schiefe Stellung gerathen.

Das schriftliche Vorverfahren bestimmen nun die Paragraphen 666, 567
und 570 so: "Wenn auf eine Klage auszufertigen ist, so wird sie dem Be¬
klagten abschriftlich mit der Aufforderung zugestellt, dieselbe innerhalb einer
Frist schriftlich zu beantworten und seine Einreden vorzubringen. Ist eine
Beantwortungsschrift des Beklagten innerhalb der Frist eingegangen, so wird
dem Kläger eine Abschrift unter Setzung einer Frist zur Einreichung einer
Replikschrist zugestellt, welche der Gegenpartei nur zur Kenntnißnahme mit¬
getheilt wird..... Nach Beendigung des schriftlichen Vorverfahrens, wie nach


Grenzboten I. 1864. 58

antrags bedienen will — und dies geschieht bei uns, da der Gebrauch anderer
Beweismittel den eventuellen Eidesantrag ausschließt, bei der großen Mehrzahl
der Klagen —, so muß er dies sofort bei Einreichung der Klage thun. Nun ist
die Praxis äußerst penibel in der Bestimmung der Thatsachen, über welche der
Eid angetragen werden darf, besonders aber fordert man eine Specialisirung,
wie sie oft gar nicht gegeben werden kann. Ist dann in irgendeinem wesent¬
lichen Punkte „die für den Eidesantrag erforderliche Specialität zu vermissen"
— so lautet die übliche Formel — und läugnet der Beklagte diesen Punkt,
so erfolgt die Abweisung der Klage. Diese Maxime hat noch einen Krebs¬
schaden unseres jetzigen Verfahrens sehr befördert, den ich berühren muß, ob-
schon er strenggenommen nicht hierher gehört: das wahrheits widrig e Läug-
nen, welches, für jeden Unbefangenen entschieden verwerflich, nachgerade ein
nur zu häusig angewandtes Vertheidigungsmittel geworden ist. Mit wahrer
Manie arbeitet man auf die Abweisung der Klage hin, welche doch nur unter
der Voraussetzung im Interesse des Beklagten liegt, daß der Kläger des langen
Processirens endlich müde wird. Dieses Bestreben hat aber eben nur dann
Erfolg, wenn der Punkt der Klage, welchen der Gegner für nicht genügend
specialisirt hält, ins Läugnen gestellt wird; denn das Zugeständniß des Be¬
klagten heilt den Fehler der Klage. — Es wird hohe Zeit, daß man dieser
unwürdigen Vertheidigungsart ein Ziel setzt, und dies wird geschehen theils
durch Einführung der Mündlichkeit und Oeffentlichkeit, theils durch Gestattung
des eventuellen („vorsorglicher") Eidesantrags, wie sie der Entwurf mit Recht
anordnet. — Um nach dieser Abschweifung zu unserem Thema zurückzukehren,
so läßt sich billig bezweifeln, daß die — doch nur vorläufige — Prüfung der
Klage durch den Richter eine größere Garantie für deren Aufrechterhaltung
geben werde, als die vorauszusetzende Sorgfalt des Urwalds bei ihrer Aus¬
arbeitung. Ferner spricht gegen jene Vorschrift die dadurch nothwendig ein¬
tretende Verzögerung — von einer Ausfertigung binnen vierundzwanzig Stun¬
den, wie in Hannover, könnte nur ganz ausnahmsweise die Rede sein; endlich
aber würde durch dieselbe der Richter die Stelle eines Rathgebers einnehmen
und dadurch theils dem Colleg, theils dem Anwälte gegenüber sehr leicht in
eine schiefe Stellung gerathen.

Das schriftliche Vorverfahren bestimmen nun die Paragraphen 666, 567
und 570 so: „Wenn auf eine Klage auszufertigen ist, so wird sie dem Be¬
klagten abschriftlich mit der Aufforderung zugestellt, dieselbe innerhalb einer
Frist schriftlich zu beantworten und seine Einreden vorzubringen. Ist eine
Beantwortungsschrift des Beklagten innerhalb der Frist eingegangen, so wird
dem Kläger eine Abschrift unter Setzung einer Frist zur Einreichung einer
Replikschrist zugestellt, welche der Gegenpartei nur zur Kenntnißnahme mit¬
getheilt wird..... Nach Beendigung des schriftlichen Vorverfahrens, wie nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/463>, abgerufen am 24.07.2024.