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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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deutend, aber um so gewisser war es auch, daß jeder Gedanke an eine gro߬
artige active Politik der Mittelstaaten, wenn er ja einmal gehegt wurde, längst
wieder aufgegeben war. Wozu also das Geld verwilligen? Eine Minderheit
von fünfzehn Mitgliedern stimmte in der That folgerichtig gegen die Bewilligung,
die bei d,er Mehrheit nur aus dem Grunde durchging, weil die Regierung denn
doch noch möglicherweise auf einen Weg gedrängt werden könne, wo ihr die
verlangten Mittel nothwendig würden. In diesem Dilemma lag die ganze
Hoffnungslosigkeit der Schleswig-holsteinischen Sache, sofern sie von den Mittel¬
staaten abhängt, klar ausgesprochen. Auch die Eifrigsten mußten jetzt von ihrem
Glauben an eine nationale Politik "Reindeutschlands" geheilt sein, und wie die
Kammer -- übrigens mit geringer Mehrheit -- gleichwohl ihrem Beschluß die
Aufforderung hinzufügte, daß die Regierung sich zu einem festen Bündniß mit
den anderen kleineren Staaten zusammenschließe, so war dies ein frommer Wunsch,
der um zwei Monate den Ereignissen nachgehinkt kam. Sonst war in dieser
Kammersitzung nur noch die entschiedene Sicherheit bemerklich, mit welcher der
Ministcrtisch den Ansichten der Kammer gegcnübertrat. Bisher hatte Herr
v. Linden stets mit einer entgegenkommenden versöhnlichen Courtoisie die Sache
behandelt. Jetzt zum ersten Mal sprach er aus einem andern Ton. Ungenirt
nahm er die Verantwortung für die "rücksichtslose" Antwort auf sich -- so
bezeichnete sie Hölder -- welche der Stuttgarter Versammlung aus ihre Adresse
an das Staatsoberhaupt zugegangen war, mit höhnischer Befriedigung wies er
darauf hin, daß seit dieser Antwort der Adressen weniger geworden seien, der
ganze Ton seiner Rede zeigte, daß die Grenze, bis wohin die Regierung sich
drängen lasse, unabänderlich gezogen sei. Was war der Grund? Hatten die
kleineren Staaten von den Vormächten gegen das Versprechen der Nachgiebigkeit
beruhigende Zusicherungen erhalten, welche sie auch eine erregte Stimmung
des Volkes nicht fürchten ließ? oder waren sie zu der Ueberzeugung gekommen
daß es der Volksstimmung glücklicherweise doch an jener nachhaltigen Energie
fehle, welche ihnen bedrohlich werden könnte?

Die Lage der Bevölkerungen in den Mittel- und Kleinstaaten ist. unter
diesen Umstände" die traurigste. Ueberall der beste Wille, aber zugleich das
Bewußtsein völliger Ohnmacht, nach den lauten und volltönigen Kundgebungen
im Anfang jetzt das niederdrückende Gefühl, in den nationalen Angelegenheiten
eine brach gelegte Kraft zu sein! Nicht das politische Interesse, sondern im
Grunde nur noch die rein menschliche Theilnahme an dem Schicksal der un¬
glücklichen Herzogthümer ist es, was der um sich greifenden Muthlostgkeit und
Apathie einigen Widerstand entgegenzusetzen vermag. Die Parteispaltungen,
welche wieder in den Vordergrund zu treten beginnen, sind nur ein weiteres
Symptom für das Stadium, in welchem wir uns befinden, und die gegen¬
wärtigen Vorgänge in der Residenz geben ein Beispiel, das hoffentlich nirgends


deutend, aber um so gewisser war es auch, daß jeder Gedanke an eine gro߬
artige active Politik der Mittelstaaten, wenn er ja einmal gehegt wurde, längst
wieder aufgegeben war. Wozu also das Geld verwilligen? Eine Minderheit
von fünfzehn Mitgliedern stimmte in der That folgerichtig gegen die Bewilligung,
die bei d,er Mehrheit nur aus dem Grunde durchging, weil die Regierung denn
doch noch möglicherweise auf einen Weg gedrängt werden könne, wo ihr die
verlangten Mittel nothwendig würden. In diesem Dilemma lag die ganze
Hoffnungslosigkeit der Schleswig-holsteinischen Sache, sofern sie von den Mittel¬
staaten abhängt, klar ausgesprochen. Auch die Eifrigsten mußten jetzt von ihrem
Glauben an eine nationale Politik „Reindeutschlands" geheilt sein, und wie die
Kammer — übrigens mit geringer Mehrheit — gleichwohl ihrem Beschluß die
Aufforderung hinzufügte, daß die Regierung sich zu einem festen Bündniß mit
den anderen kleineren Staaten zusammenschließe, so war dies ein frommer Wunsch,
der um zwei Monate den Ereignissen nachgehinkt kam. Sonst war in dieser
Kammersitzung nur noch die entschiedene Sicherheit bemerklich, mit welcher der
Ministcrtisch den Ansichten der Kammer gegcnübertrat. Bisher hatte Herr
v. Linden stets mit einer entgegenkommenden versöhnlichen Courtoisie die Sache
behandelt. Jetzt zum ersten Mal sprach er aus einem andern Ton. Ungenirt
nahm er die Verantwortung für die „rücksichtslose" Antwort auf sich — so
bezeichnete sie Hölder — welche der Stuttgarter Versammlung aus ihre Adresse
an das Staatsoberhaupt zugegangen war, mit höhnischer Befriedigung wies er
darauf hin, daß seit dieser Antwort der Adressen weniger geworden seien, der
ganze Ton seiner Rede zeigte, daß die Grenze, bis wohin die Regierung sich
drängen lasse, unabänderlich gezogen sei. Was war der Grund? Hatten die
kleineren Staaten von den Vormächten gegen das Versprechen der Nachgiebigkeit
beruhigende Zusicherungen erhalten, welche sie auch eine erregte Stimmung
des Volkes nicht fürchten ließ? oder waren sie zu der Ueberzeugung gekommen
daß es der Volksstimmung glücklicherweise doch an jener nachhaltigen Energie
fehle, welche ihnen bedrohlich werden könnte?

Die Lage der Bevölkerungen in den Mittel- und Kleinstaaten ist. unter
diesen Umstände» die traurigste. Ueberall der beste Wille, aber zugleich das
Bewußtsein völliger Ohnmacht, nach den lauten und volltönigen Kundgebungen
im Anfang jetzt das niederdrückende Gefühl, in den nationalen Angelegenheiten
eine brach gelegte Kraft zu sein! Nicht das politische Interesse, sondern im
Grunde nur noch die rein menschliche Theilnahme an dem Schicksal der un¬
glücklichen Herzogthümer ist es, was der um sich greifenden Muthlostgkeit und
Apathie einigen Widerstand entgegenzusetzen vermag. Die Parteispaltungen,
welche wieder in den Vordergrund zu treten beginnen, sind nur ein weiteres
Symptom für das Stadium, in welchem wir uns befinden, und die gegen¬
wärtigen Vorgänge in der Residenz geben ein Beispiel, das hoffentlich nirgends


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/448>, abgerufen am 24.07.2024.