Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Gesetzesentwurf zur Ablösung der Complexlcrsten befindet sich zwar
noch im Stadium einer Vorfrage, doch ist sein Zustandekommen so gut als
gesichert. Derselbe bildet eine Ergänzung zu den Ablösungsgesetzen von 1848
bis 1849, welche den durch diese Betroffenen zu Gute kommt. Die zweite
Kammer weigerte sich lange in die Berathung des Entwurfs einzugehen, weil
bei den bekannten Beschwerden des Standesherrlichen und ritterschaftlichen Adels
und bei den Versuchen des Ministeriums Linden, eine Nachtragsentschädigung
für die vormals Privilegirten dem Lande abzunöthigen, die Grundlage des
ganzen Ablösungswerks in Frage stand. Auch jetzt verlangt die Kammer, bevor
sie das Gesetz beräth, eine rechtlich bindende Erklärung, daß sie die von der
Bundesversammlung in Anspruch genommene Zuständigkeit zur Erledigung der
vom Adel erhobenen Beschwerden auch ihrerseits fernerhin nicht anerkennen und
im Falle eines in dieser Angelegenheit etwa ergehenden Bundcsbeschlusses ein¬
seitig nicht vorgehen werde. Die Kammer sah sich hierzu um so mehr genöthigt,
als die Besorgnisse vor einer hereinbrechenden Reaction vielfach getheilt werden.
Nach den Erklärungen, weiche Herr V. Linden abgab, ist indessen an der Er¬
füllung jenes Verlangens und damit an dem endlichen Abschluß der ganzen Ab¬
lösungsgesetzgebung nicht zu zweifeln.

Von den Gegenständen, weiche in der gegenwärtigen Session nicht zur
Berathung kamen, ist der bemerkenswerthcste der preußisch-französische Handels¬
vertrag. Nach der Stimmung, welche weitaus die vorherrschende ist, hätte man
erwarten sollen, daß die Kammer sich mit aller Energie schleunigst auf diese
Frage werfen würde, um wo möglich vor der Entscheidung noch ein Gewichtchen
in die Wagschale zu legen. Aber man sah mit Recht, daß die Riesenarbeit
M. Mohls, von der man sich so bedeutende Wirkungen versprochen hatte, sehr
x>ost testum gekommen war, und daß eine theoretische Debatte im jetzigen
Augenblick einen eigenthümlichen Eindruck machen müßte. Am 19. Februar
fand über diese Frage eine kleine Conversation statt, welche zeigte, daß die
schutzzöllnerische Partei auf dem Standpunkte der Resignation angekommen ist.
Für Mohl ist es freilich schmerzlich, die Frucht eines anderthalbjährigen Fleißes
einfach aä ,ÄL<A gelegt zu sehen, noch schmerzlicher, daß er in dieser Sitzung
spitzige Worte über sein voluminöses Werk zu hören bekam, aus derselben Kam¬
mer, die doch durch das Organ ihrer volkswirtschaftlichen Commission ihre
wesentliche Uebereinstimmung mit den Anschauungen des unermüdlichen Schutz¬
zöllners documentirt hatte.

Resignation -- dies ist nun auch der Eindruck, den die letzten Kundgebungen
der Kammer in der großen nationalen Frage machten. Am 26. Februar fand
noch einmal eine eingehende Debatte statt, bei der es sich diesmal um einen
greifbaren Gegenstand, um die Exigenz des Kriegsministeriums zur Vorbereitung
einer etwaigen Mobilmachung handelte. Die verlangte Summe war nicht be-


Grenzbotm I. 1864. 66

Der Gesetzesentwurf zur Ablösung der Complexlcrsten befindet sich zwar
noch im Stadium einer Vorfrage, doch ist sein Zustandekommen so gut als
gesichert. Derselbe bildet eine Ergänzung zu den Ablösungsgesetzen von 1848
bis 1849, welche den durch diese Betroffenen zu Gute kommt. Die zweite
Kammer weigerte sich lange in die Berathung des Entwurfs einzugehen, weil
bei den bekannten Beschwerden des Standesherrlichen und ritterschaftlichen Adels
und bei den Versuchen des Ministeriums Linden, eine Nachtragsentschädigung
für die vormals Privilegirten dem Lande abzunöthigen, die Grundlage des
ganzen Ablösungswerks in Frage stand. Auch jetzt verlangt die Kammer, bevor
sie das Gesetz beräth, eine rechtlich bindende Erklärung, daß sie die von der
Bundesversammlung in Anspruch genommene Zuständigkeit zur Erledigung der
vom Adel erhobenen Beschwerden auch ihrerseits fernerhin nicht anerkennen und
im Falle eines in dieser Angelegenheit etwa ergehenden Bundcsbeschlusses ein¬
seitig nicht vorgehen werde. Die Kammer sah sich hierzu um so mehr genöthigt,
als die Besorgnisse vor einer hereinbrechenden Reaction vielfach getheilt werden.
Nach den Erklärungen, weiche Herr V. Linden abgab, ist indessen an der Er¬
füllung jenes Verlangens und damit an dem endlichen Abschluß der ganzen Ab¬
lösungsgesetzgebung nicht zu zweifeln.

Von den Gegenständen, weiche in der gegenwärtigen Session nicht zur
Berathung kamen, ist der bemerkenswerthcste der preußisch-französische Handels¬
vertrag. Nach der Stimmung, welche weitaus die vorherrschende ist, hätte man
erwarten sollen, daß die Kammer sich mit aller Energie schleunigst auf diese
Frage werfen würde, um wo möglich vor der Entscheidung noch ein Gewichtchen
in die Wagschale zu legen. Aber man sah mit Recht, daß die Riesenarbeit
M. Mohls, von der man sich so bedeutende Wirkungen versprochen hatte, sehr
x>ost testum gekommen war, und daß eine theoretische Debatte im jetzigen
Augenblick einen eigenthümlichen Eindruck machen müßte. Am 19. Februar
fand über diese Frage eine kleine Conversation statt, welche zeigte, daß die
schutzzöllnerische Partei auf dem Standpunkte der Resignation angekommen ist.
Für Mohl ist es freilich schmerzlich, die Frucht eines anderthalbjährigen Fleißes
einfach aä ,ÄL<A gelegt zu sehen, noch schmerzlicher, daß er in dieser Sitzung
spitzige Worte über sein voluminöses Werk zu hören bekam, aus derselben Kam¬
mer, die doch durch das Organ ihrer volkswirtschaftlichen Commission ihre
wesentliche Uebereinstimmung mit den Anschauungen des unermüdlichen Schutz¬
zöllners documentirt hatte.

Resignation — dies ist nun auch der Eindruck, den die letzten Kundgebungen
der Kammer in der großen nationalen Frage machten. Am 26. Februar fand
noch einmal eine eingehende Debatte statt, bei der es sich diesmal um einen
greifbaren Gegenstand, um die Exigenz des Kriegsministeriums zur Vorbereitung
einer etwaigen Mobilmachung handelte. Die verlangte Summe war nicht be-


Grenzbotm I. 1864. 66
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0447" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116913"/>
          <p xml:id="ID_1390"> Der Gesetzesentwurf zur Ablösung der Complexlcrsten befindet sich zwar<lb/>
noch im Stadium einer Vorfrage, doch ist sein Zustandekommen so gut als<lb/>
gesichert. Derselbe bildet eine Ergänzung zu den Ablösungsgesetzen von 1848<lb/>
bis 1849, welche den durch diese Betroffenen zu Gute kommt. Die zweite<lb/>
Kammer weigerte sich lange in die Berathung des Entwurfs einzugehen, weil<lb/>
bei den bekannten Beschwerden des Standesherrlichen und ritterschaftlichen Adels<lb/>
und bei den Versuchen des Ministeriums Linden, eine Nachtragsentschädigung<lb/>
für die vormals Privilegirten dem Lande abzunöthigen, die Grundlage des<lb/>
ganzen Ablösungswerks in Frage stand. Auch jetzt verlangt die Kammer, bevor<lb/>
sie das Gesetz beräth, eine rechtlich bindende Erklärung, daß sie die von der<lb/>
Bundesversammlung in Anspruch genommene Zuständigkeit zur Erledigung der<lb/>
vom Adel erhobenen Beschwerden auch ihrerseits fernerhin nicht anerkennen und<lb/>
im Falle eines in dieser Angelegenheit etwa ergehenden Bundcsbeschlusses ein¬<lb/>
seitig nicht vorgehen werde. Die Kammer sah sich hierzu um so mehr genöthigt,<lb/>
als die Besorgnisse vor einer hereinbrechenden Reaction vielfach getheilt werden.<lb/>
Nach den Erklärungen, weiche Herr V. Linden abgab, ist indessen an der Er¬<lb/>
füllung jenes Verlangens und damit an dem endlichen Abschluß der ganzen Ab¬<lb/>
lösungsgesetzgebung nicht zu zweifeln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1391"> Von den Gegenständen, weiche in der gegenwärtigen Session nicht zur<lb/>
Berathung kamen, ist der bemerkenswerthcste der preußisch-französische Handels¬<lb/>
vertrag. Nach der Stimmung, welche weitaus die vorherrschende ist, hätte man<lb/>
erwarten sollen, daß die Kammer sich mit aller Energie schleunigst auf diese<lb/>
Frage werfen würde, um wo möglich vor der Entscheidung noch ein Gewichtchen<lb/>
in die Wagschale zu legen. Aber man sah mit Recht, daß die Riesenarbeit<lb/>
M. Mohls, von der man sich so bedeutende Wirkungen versprochen hatte, sehr<lb/>
x&gt;ost testum gekommen war, und daß eine theoretische Debatte im jetzigen<lb/>
Augenblick einen eigenthümlichen Eindruck machen müßte. Am 19. Februar<lb/>
fand über diese Frage eine kleine Conversation statt, welche zeigte, daß die<lb/>
schutzzöllnerische Partei auf dem Standpunkte der Resignation angekommen ist.<lb/>
Für Mohl ist es freilich schmerzlich, die Frucht eines anderthalbjährigen Fleißes<lb/>
einfach aä ,ÄL&lt;A gelegt zu sehen, noch schmerzlicher, daß er in dieser Sitzung<lb/>
spitzige Worte über sein voluminöses Werk zu hören bekam, aus derselben Kam¬<lb/>
mer, die doch durch das Organ ihrer volkswirtschaftlichen Commission ihre<lb/>
wesentliche Uebereinstimmung mit den Anschauungen des unermüdlichen Schutz¬<lb/>
zöllners documentirt hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1392" next="#ID_1393"> Resignation &#x2014; dies ist nun auch der Eindruck, den die letzten Kundgebungen<lb/>
der Kammer in der großen nationalen Frage machten. Am 26. Februar fand<lb/>
noch einmal eine eingehende Debatte statt, bei der es sich diesmal um einen<lb/>
greifbaren Gegenstand, um die Exigenz des Kriegsministeriums zur Vorbereitung<lb/>
einer etwaigen Mobilmachung handelte. Die verlangte Summe war nicht be-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotm I. 1864. 66</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0447] Der Gesetzesentwurf zur Ablösung der Complexlcrsten befindet sich zwar noch im Stadium einer Vorfrage, doch ist sein Zustandekommen so gut als gesichert. Derselbe bildet eine Ergänzung zu den Ablösungsgesetzen von 1848 bis 1849, welche den durch diese Betroffenen zu Gute kommt. Die zweite Kammer weigerte sich lange in die Berathung des Entwurfs einzugehen, weil bei den bekannten Beschwerden des Standesherrlichen und ritterschaftlichen Adels und bei den Versuchen des Ministeriums Linden, eine Nachtragsentschädigung für die vormals Privilegirten dem Lande abzunöthigen, die Grundlage des ganzen Ablösungswerks in Frage stand. Auch jetzt verlangt die Kammer, bevor sie das Gesetz beräth, eine rechtlich bindende Erklärung, daß sie die von der Bundesversammlung in Anspruch genommene Zuständigkeit zur Erledigung der vom Adel erhobenen Beschwerden auch ihrerseits fernerhin nicht anerkennen und im Falle eines in dieser Angelegenheit etwa ergehenden Bundcsbeschlusses ein¬ seitig nicht vorgehen werde. Die Kammer sah sich hierzu um so mehr genöthigt, als die Besorgnisse vor einer hereinbrechenden Reaction vielfach getheilt werden. Nach den Erklärungen, weiche Herr V. Linden abgab, ist indessen an der Er¬ füllung jenes Verlangens und damit an dem endlichen Abschluß der ganzen Ab¬ lösungsgesetzgebung nicht zu zweifeln. Von den Gegenständen, weiche in der gegenwärtigen Session nicht zur Berathung kamen, ist der bemerkenswerthcste der preußisch-französische Handels¬ vertrag. Nach der Stimmung, welche weitaus die vorherrschende ist, hätte man erwarten sollen, daß die Kammer sich mit aller Energie schleunigst auf diese Frage werfen würde, um wo möglich vor der Entscheidung noch ein Gewichtchen in die Wagschale zu legen. Aber man sah mit Recht, daß die Riesenarbeit M. Mohls, von der man sich so bedeutende Wirkungen versprochen hatte, sehr x>ost testum gekommen war, und daß eine theoretische Debatte im jetzigen Augenblick einen eigenthümlichen Eindruck machen müßte. Am 19. Februar fand über diese Frage eine kleine Conversation statt, welche zeigte, daß die schutzzöllnerische Partei auf dem Standpunkte der Resignation angekommen ist. Für Mohl ist es freilich schmerzlich, die Frucht eines anderthalbjährigen Fleißes einfach aä ,ÄL<A gelegt zu sehen, noch schmerzlicher, daß er in dieser Sitzung spitzige Worte über sein voluminöses Werk zu hören bekam, aus derselben Kam¬ mer, die doch durch das Organ ihrer volkswirtschaftlichen Commission ihre wesentliche Uebereinstimmung mit den Anschauungen des unermüdlichen Schutz¬ zöllners documentirt hatte. Resignation — dies ist nun auch der Eindruck, den die letzten Kundgebungen der Kammer in der großen nationalen Frage machten. Am 26. Februar fand noch einmal eine eingehende Debatte statt, bei der es sich diesmal um einen greifbaren Gegenstand, um die Exigenz des Kriegsministeriums zur Vorbereitung einer etwaigen Mobilmachung handelte. Die verlangte Summe war nicht be- Grenzbotm I. 1864. 66

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/447
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/447>, abgerufen am 24.07.2024.