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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Nachahmung finden wird. Eine radicale Fraction der liberalen Partei hat,
während bisher die nationale Sache als solche von allen Parteien gemeinsam
behandelt wurde, beschlossen, sich von dieser Gemeinschaft loszusagen und strebt,
weil der Kampf sehr wesentlich im Innern der einzelnen Staaten durchzuführen
sei, die Constituirung einer rein demokratischen Partei an. Dieses Vorgehen
motivirt sie damit, daß durch das Zusammenwirken der Parteien in der schleswig¬
holsteinischen Sache nichts Ersprießliches gleistet worden sei. Nun ist es wahr,
daß das gemischte Stuttgarter Comite, das nicht das Mandat aber die Autori¬
tät eines Landescomitk hat, nicht eben große Energie entfaltete; in Bezug auf
manche vom Lande geäußerten Wünsche, z. B. auf Abhaltung einer Landes-
vcrsammlung, verhielt es sich ablehnend, retardirend; die Wahrnehmung, die in
Bayern in Bezug auf das Verhältniß der Residenz zum Lande gemacht wurde,
trifft genau ebenso aus Würtemberg zu. Aber andrerseits ist es unbestritten,
daß das Wenige, was erreicht worden ist, doch eben durch jenes Zusammen¬
wirken der Parteien erzielt wurde, und es ist nicht wohl abzusehen, was die
Demokratie für sich in Bezug auf Schleswig-Holstein zu Stande bringen will.
Auch ist nun jener Versuch insofern bereits gescheitert, als zwar die radicale
Fraction unter Führung einiger vom Ausland erst vor kurzem zurückgekehrten
politischen Flüchtlinge sich getrennt hat, aber nicht einen einzigen der bekannten
Führer der Fortschrittspartei zu sich herüberzuziehen vermochte. Selbst die
großdeutschen Demokraten hüteten sich, durch ihren Beitritt die Spaltung zu
sanctioniren. Insofern wäre es kaum nöthig von diesen Dingen Notiz zu
nehmen, wenn nicht eben durch jene dem politischen Leben der Heimath wieder-
gegebenen Männer ein Element in die Demokratie gekommen wäre, das für
die Zukunft der Parteibildung nicht ohne Einfluß sein wird. Eben in ihre
Hände ist auch seit einiger Zeit der "Beobachter" übergegangen, bisher das
Organ der Fortschrittspartei, wie sie sich auf den Landesversammlungen im
Anschluß an das Nationalvereinsprogramm gebildet hatte, die neue Redaction
debütirte aber mit einem Programm, das sich zum Nationalverein in den
schärfsten Gegensatz stellte, indem sie ausdrücklich erklärte, wieder zu jener
"gesunden" Zeit zurücklenken zu wollen, wo die reinen Freiheitsfragen an der
Tagesordnung waren, und in den Fällen, wo die Nationalität und die Freiheit
mit einander in Conflict kommen, sich auf die Seite der Freiheit zu stellen!

Sonderbar! die Demokratie strebt auf ihren veralteten vormärzlichen Stand-
Punkt zurück und stellt die freiheitlichen über die nationalen Fragen; Reformen,
über deren Dringlichkeit nirgends mehr ein Zweifel ist, werden zögernd angefaßt;
in volkswirthschaftlichen Dingen die alten schutzzöllnerischen Ideen festgehalten
-- ich glaube: Würtemberg ist mit seinem König alt geworden!




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Nachahmung finden wird. Eine radicale Fraction der liberalen Partei hat,
während bisher die nationale Sache als solche von allen Parteien gemeinsam
behandelt wurde, beschlossen, sich von dieser Gemeinschaft loszusagen und strebt,
weil der Kampf sehr wesentlich im Innern der einzelnen Staaten durchzuführen
sei, die Constituirung einer rein demokratischen Partei an. Dieses Vorgehen
motivirt sie damit, daß durch das Zusammenwirken der Parteien in der schleswig¬
holsteinischen Sache nichts Ersprießliches gleistet worden sei. Nun ist es wahr,
daß das gemischte Stuttgarter Comite, das nicht das Mandat aber die Autori¬
tät eines Landescomitk hat, nicht eben große Energie entfaltete; in Bezug auf
manche vom Lande geäußerten Wünsche, z. B. auf Abhaltung einer Landes-
vcrsammlung, verhielt es sich ablehnend, retardirend; die Wahrnehmung, die in
Bayern in Bezug auf das Verhältniß der Residenz zum Lande gemacht wurde,
trifft genau ebenso aus Würtemberg zu. Aber andrerseits ist es unbestritten,
daß das Wenige, was erreicht worden ist, doch eben durch jenes Zusammen¬
wirken der Parteien erzielt wurde, und es ist nicht wohl abzusehen, was die
Demokratie für sich in Bezug auf Schleswig-Holstein zu Stande bringen will.
Auch ist nun jener Versuch insofern bereits gescheitert, als zwar die radicale
Fraction unter Führung einiger vom Ausland erst vor kurzem zurückgekehrten
politischen Flüchtlinge sich getrennt hat, aber nicht einen einzigen der bekannten
Führer der Fortschrittspartei zu sich herüberzuziehen vermochte. Selbst die
großdeutschen Demokraten hüteten sich, durch ihren Beitritt die Spaltung zu
sanctioniren. Insofern wäre es kaum nöthig von diesen Dingen Notiz zu
nehmen, wenn nicht eben durch jene dem politischen Leben der Heimath wieder-
gegebenen Männer ein Element in die Demokratie gekommen wäre, das für
die Zukunft der Parteibildung nicht ohne Einfluß sein wird. Eben in ihre
Hände ist auch seit einiger Zeit der „Beobachter" übergegangen, bisher das
Organ der Fortschrittspartei, wie sie sich auf den Landesversammlungen im
Anschluß an das Nationalvereinsprogramm gebildet hatte, die neue Redaction
debütirte aber mit einem Programm, das sich zum Nationalverein in den
schärfsten Gegensatz stellte, indem sie ausdrücklich erklärte, wieder zu jener
„gesunden" Zeit zurücklenken zu wollen, wo die reinen Freiheitsfragen an der
Tagesordnung waren, und in den Fällen, wo die Nationalität und die Freiheit
mit einander in Conflict kommen, sich auf die Seite der Freiheit zu stellen!

Sonderbar! die Demokratie strebt auf ihren veralteten vormärzlichen Stand-
Punkt zurück und stellt die freiheitlichen über die nationalen Fragen; Reformen,
über deren Dringlichkeit nirgends mehr ein Zweifel ist, werden zögernd angefaßt;
in volkswirthschaftlichen Dingen die alten schutzzöllnerischen Ideen festgehalten
— ich glaube: Würtemberg ist mit seinem König alt geworden!




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[0449] Nachahmung finden wird. Eine radicale Fraction der liberalen Partei hat, während bisher die nationale Sache als solche von allen Parteien gemeinsam behandelt wurde, beschlossen, sich von dieser Gemeinschaft loszusagen und strebt, weil der Kampf sehr wesentlich im Innern der einzelnen Staaten durchzuführen sei, die Constituirung einer rein demokratischen Partei an. Dieses Vorgehen motivirt sie damit, daß durch das Zusammenwirken der Parteien in der schleswig¬ holsteinischen Sache nichts Ersprießliches gleistet worden sei. Nun ist es wahr, daß das gemischte Stuttgarter Comite, das nicht das Mandat aber die Autori¬ tät eines Landescomitk hat, nicht eben große Energie entfaltete; in Bezug auf manche vom Lande geäußerten Wünsche, z. B. auf Abhaltung einer Landes- vcrsammlung, verhielt es sich ablehnend, retardirend; die Wahrnehmung, die in Bayern in Bezug auf das Verhältniß der Residenz zum Lande gemacht wurde, trifft genau ebenso aus Würtemberg zu. Aber andrerseits ist es unbestritten, daß das Wenige, was erreicht worden ist, doch eben durch jenes Zusammen¬ wirken der Parteien erzielt wurde, und es ist nicht wohl abzusehen, was die Demokratie für sich in Bezug auf Schleswig-Holstein zu Stande bringen will. Auch ist nun jener Versuch insofern bereits gescheitert, als zwar die radicale Fraction unter Führung einiger vom Ausland erst vor kurzem zurückgekehrten politischen Flüchtlinge sich getrennt hat, aber nicht einen einzigen der bekannten Führer der Fortschrittspartei zu sich herüberzuziehen vermochte. Selbst die großdeutschen Demokraten hüteten sich, durch ihren Beitritt die Spaltung zu sanctioniren. Insofern wäre es kaum nöthig von diesen Dingen Notiz zu nehmen, wenn nicht eben durch jene dem politischen Leben der Heimath wieder- gegebenen Männer ein Element in die Demokratie gekommen wäre, das für die Zukunft der Parteibildung nicht ohne Einfluß sein wird. Eben in ihre Hände ist auch seit einiger Zeit der „Beobachter" übergegangen, bisher das Organ der Fortschrittspartei, wie sie sich auf den Landesversammlungen im Anschluß an das Nationalvereinsprogramm gebildet hatte, die neue Redaction debütirte aber mit einem Programm, das sich zum Nationalverein in den schärfsten Gegensatz stellte, indem sie ausdrücklich erklärte, wieder zu jener „gesunden" Zeit zurücklenken zu wollen, wo die reinen Freiheitsfragen an der Tagesordnung waren, und in den Fällen, wo die Nationalität und die Freiheit mit einander in Conflict kommen, sich auf die Seite der Freiheit zu stellen! Sonderbar! die Demokratie strebt auf ihren veralteten vormärzlichen Stand- Punkt zurück und stellt die freiheitlichen über die nationalen Fragen; Reformen, über deren Dringlichkeit nirgends mehr ein Zweifel ist, werden zögernd angefaßt; in volkswirthschaftlichen Dingen die alten schutzzöllnerischen Ideen festgehalten — ich glaube: Würtemberg ist mit seinem König alt geworden! 36"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/449>, abgerufen am 24.07.2024.