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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Fluth. Eine langgestreckte Stadt mit rothen Ziegeldächern liegt in der Tiefe
um den innersten Winkel der Föhrde herum. Der Wind spielt vor ihr mit
Flaggen und Wimpeln. Mühlenflügel drehen sich zu Dutzenden, Fabrikschorn¬
steine, Essen von Dampfern rauchen. Auf den Quais und in den Gassen am
Hasen herrscht ein reges Leben. So das freundliche Kiel, das kleine nette
Eckernförde, das stattliche von steilen Höhen eingeschlossene Flensburg. das
waldumgebene Apenrade, die Hauptwerfte der Herzogtümer. Nur Schleswig,
die tausendjährige Stadt, ist still und todt. Schwermüthig am Ufer der hier
nur bisweilen von einem Segel durchfurchten Schlei hingelagert, wartet es der
Tage, die ihm sein früheres Leben wiedergeben sollen.

Vollkommen verschieden von diesem östlichen Landstreifen ist das sanst-
gewellte, oft völlig flache Plateau der hohen Geest in der Mitte des Landes.
Während dort der Geschiebethon vorherrscht, besteht der Boden hier zunächst
aus Geschiebesand, dann weiter westlich meist aus der unfruchtbaren blauen
Ahlerde, einem losen Sandstein, der Eisentheile enthält, und aus Torfbildungen,
die in Sümpfe übergehen, und während dort die Buchenwälder und das grüne
Netz der Hecken die Gegend charakterisiren, sind hier das Haidekraut und der
Sandhafer die Charakterpflanzen.

Steigt man von Osten nach diesem Landrücken empor, so hören die Hü¬
gel, welche die Ostsee aus ihrem Schooße emporsteigen ließ, allmälig auf,
die Hecken werden niedriger und dürftiger, die Dörfer seltener und ärmlicher.
Die Wege führen durch Sand, der eine röthliche Farbe annimmt. In den
Gräben zur Seite erscheint in einzelnen Büscheln Haidekraut. Statt der stol¬
zen Buche treten Nadelhölzer, weiterhin nur noch ein krüppelhafter Krattbusch
von Eichen und Birken auf. Nur bisweilen noch begegnet man beim Weiter¬
schreiten einer weidenden Heerde, nirgends mehr einem großen Gute, statt bläu¬
lichem Weizen nur bleichgrünen Buchweizen und dünn stehenden Roggensaaten
mit leichten kümmerlichen Aehren. Häufiger und immer häufiger unterbrechen
weite Strecken mit rostfarbenem Haidekraut oder schwarzem Moore die bestellten
Felder.

Endlich, nachdem die Mitte des Landrückens erreicht ist, schwinden die
letzten Erinnerungen an das Paradies im Osten, die letzten Zeichen gesegneter
Arbeit, und der Wandrer blickt in eine Einöde hinaus so wüst und trübselig,
wie sie je ein verirrter Westwind durchfegte. Es ist eine Hochfläche dürr, mi߬
farbig, fast nur Haide und Sumpf, durchaus dann- und schattenlos, meilen¬
breit ein Bild der Dürftigkeit und Häßlichkeit. Stundenlang geht man, ohne
ein Dorf zu erblicken. Nur hin und wieder wird eine Hütte, wo man Torf
trocknet, nur selten ein einsames, trübseliges, mit Haideplaggen gedecktes Haus
sichtbar. Eine dürre Kuh und einige Schafe weiden auf dem Grasflecke, der
dabei ist. Selten geht ein Pflug über diesen Boden, der nur mit wenigen


Fluth. Eine langgestreckte Stadt mit rothen Ziegeldächern liegt in der Tiefe
um den innersten Winkel der Föhrde herum. Der Wind spielt vor ihr mit
Flaggen und Wimpeln. Mühlenflügel drehen sich zu Dutzenden, Fabrikschorn¬
steine, Essen von Dampfern rauchen. Auf den Quais und in den Gassen am
Hasen herrscht ein reges Leben. So das freundliche Kiel, das kleine nette
Eckernförde, das stattliche von steilen Höhen eingeschlossene Flensburg. das
waldumgebene Apenrade, die Hauptwerfte der Herzogtümer. Nur Schleswig,
die tausendjährige Stadt, ist still und todt. Schwermüthig am Ufer der hier
nur bisweilen von einem Segel durchfurchten Schlei hingelagert, wartet es der
Tage, die ihm sein früheres Leben wiedergeben sollen.

Vollkommen verschieden von diesem östlichen Landstreifen ist das sanst-
gewellte, oft völlig flache Plateau der hohen Geest in der Mitte des Landes.
Während dort der Geschiebethon vorherrscht, besteht der Boden hier zunächst
aus Geschiebesand, dann weiter westlich meist aus der unfruchtbaren blauen
Ahlerde, einem losen Sandstein, der Eisentheile enthält, und aus Torfbildungen,
die in Sümpfe übergehen, und während dort die Buchenwälder und das grüne
Netz der Hecken die Gegend charakterisiren, sind hier das Haidekraut und der
Sandhafer die Charakterpflanzen.

Steigt man von Osten nach diesem Landrücken empor, so hören die Hü¬
gel, welche die Ostsee aus ihrem Schooße emporsteigen ließ, allmälig auf,
die Hecken werden niedriger und dürftiger, die Dörfer seltener und ärmlicher.
Die Wege führen durch Sand, der eine röthliche Farbe annimmt. In den
Gräben zur Seite erscheint in einzelnen Büscheln Haidekraut. Statt der stol¬
zen Buche treten Nadelhölzer, weiterhin nur noch ein krüppelhafter Krattbusch
von Eichen und Birken auf. Nur bisweilen noch begegnet man beim Weiter¬
schreiten einer weidenden Heerde, nirgends mehr einem großen Gute, statt bläu¬
lichem Weizen nur bleichgrünen Buchweizen und dünn stehenden Roggensaaten
mit leichten kümmerlichen Aehren. Häufiger und immer häufiger unterbrechen
weite Strecken mit rostfarbenem Haidekraut oder schwarzem Moore die bestellten
Felder.

Endlich, nachdem die Mitte des Landrückens erreicht ist, schwinden die
letzten Erinnerungen an das Paradies im Osten, die letzten Zeichen gesegneter
Arbeit, und der Wandrer blickt in eine Einöde hinaus so wüst und trübselig,
wie sie je ein verirrter Westwind durchfegte. Es ist eine Hochfläche dürr, mi߬
farbig, fast nur Haide und Sumpf, durchaus dann- und schattenlos, meilen¬
breit ein Bild der Dürftigkeit und Häßlichkeit. Stundenlang geht man, ohne
ein Dorf zu erblicken. Nur hin und wieder wird eine Hütte, wo man Torf
trocknet, nur selten ein einsames, trübseliges, mit Haideplaggen gedecktes Haus
sichtbar. Eine dürre Kuh und einige Schafe weiden auf dem Grasflecke, der
dabei ist. Selten geht ein Pflug über diesen Boden, der nur mit wenigen


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[0418] Fluth. Eine langgestreckte Stadt mit rothen Ziegeldächern liegt in der Tiefe um den innersten Winkel der Föhrde herum. Der Wind spielt vor ihr mit Flaggen und Wimpeln. Mühlenflügel drehen sich zu Dutzenden, Fabrikschorn¬ steine, Essen von Dampfern rauchen. Auf den Quais und in den Gassen am Hasen herrscht ein reges Leben. So das freundliche Kiel, das kleine nette Eckernförde, das stattliche von steilen Höhen eingeschlossene Flensburg. das waldumgebene Apenrade, die Hauptwerfte der Herzogtümer. Nur Schleswig, die tausendjährige Stadt, ist still und todt. Schwermüthig am Ufer der hier nur bisweilen von einem Segel durchfurchten Schlei hingelagert, wartet es der Tage, die ihm sein früheres Leben wiedergeben sollen. Vollkommen verschieden von diesem östlichen Landstreifen ist das sanst- gewellte, oft völlig flache Plateau der hohen Geest in der Mitte des Landes. Während dort der Geschiebethon vorherrscht, besteht der Boden hier zunächst aus Geschiebesand, dann weiter westlich meist aus der unfruchtbaren blauen Ahlerde, einem losen Sandstein, der Eisentheile enthält, und aus Torfbildungen, die in Sümpfe übergehen, und während dort die Buchenwälder und das grüne Netz der Hecken die Gegend charakterisiren, sind hier das Haidekraut und der Sandhafer die Charakterpflanzen. Steigt man von Osten nach diesem Landrücken empor, so hören die Hü¬ gel, welche die Ostsee aus ihrem Schooße emporsteigen ließ, allmälig auf, die Hecken werden niedriger und dürftiger, die Dörfer seltener und ärmlicher. Die Wege führen durch Sand, der eine röthliche Farbe annimmt. In den Gräben zur Seite erscheint in einzelnen Büscheln Haidekraut. Statt der stol¬ zen Buche treten Nadelhölzer, weiterhin nur noch ein krüppelhafter Krattbusch von Eichen und Birken auf. Nur bisweilen noch begegnet man beim Weiter¬ schreiten einer weidenden Heerde, nirgends mehr einem großen Gute, statt bläu¬ lichem Weizen nur bleichgrünen Buchweizen und dünn stehenden Roggensaaten mit leichten kümmerlichen Aehren. Häufiger und immer häufiger unterbrechen weite Strecken mit rostfarbenem Haidekraut oder schwarzem Moore die bestellten Felder. Endlich, nachdem die Mitte des Landrückens erreicht ist, schwinden die letzten Erinnerungen an das Paradies im Osten, die letzten Zeichen gesegneter Arbeit, und der Wandrer blickt in eine Einöde hinaus so wüst und trübselig, wie sie je ein verirrter Westwind durchfegte. Es ist eine Hochfläche dürr, mi߬ farbig, fast nur Haide und Sumpf, durchaus dann- und schattenlos, meilen¬ breit ein Bild der Dürftigkeit und Häßlichkeit. Stundenlang geht man, ohne ein Dorf zu erblicken. Nur hin und wieder wird eine Hütte, wo man Torf trocknet, nur selten ein einsames, trübseliges, mit Haideplaggen gedecktes Haus sichtbar. Eine dürre Kuh und einige Schafe weiden auf dem Grasflecke, der dabei ist. Selten geht ein Pflug über diesen Boden, der nur mit wenigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/418>, abgerufen am 24.07.2024.