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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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moiren ihren Werth bekommen; dieser Werth liegt vielmehr in der Charakteristik
der Zustände oder ganzer Classen und Gruppen von Menschen, welche wir aus
der Zeichnung einzelner an sich oft unerheblicher Erlebnisse und Individuen
gewinnen. Was aber dabei das Hervorsteckende ist, das ist der scharfe BUck
für das Abgeschmackte, für das Unwahre, für das Hinfällige und die wahrhaft
üppige Mephistopheles-Laune, mit welcher diese Seiten an Menschen und Dingen
in derbconcretester Weise zur Anschauung gebracht werden. Da begreift sich
nun, daß die Verhältnisse des heiligen römisch-deutschen Reiches in den letzten Jahr¬
zehnten des vorigen Jahrhunderts dem Ritter v. Lang besonders glänzende
Gelegenheit geben, seine Begabung zu entfalten. Sein Verkehr an einem klei¬
nen Fürstenhöfe des südlichen Deutschland, seine Thätigkeit in der Gesandtschaft
eines anderen Fürsten zu Wien, seine Schilderungen von Prälaten und Hof-
judcn, von Stadträihen und Regierungscollegien sind reich an hinreißenden
Humor. Gewissermaßen seinen Gipfel erreicht aber, nach unserer Meinung
dieser Humor bei der Ausmalung der Scenen, in welchen ja gewissermaßen alle
Herrlichkeit des beiligen römischen Reiches gipfelte -- in dem Berichte von
einer Kaiserkrönung. Es handelt sich um die vorletzte der Kaiserkrönungen, die
überhaupt in Frankfurt vollzogen worden sind, um die Krönung Leopolds, des
Zweiten im I. 1790 -- zu einer Zeit, wo bereits im nahen Frankreich der
Sturm sich gewaltig ankündigte, der neben so vielem Anderen auch den ganzen
Plunder des alten Neichswesens von dieser Welt hinwegzufegen bestimmt war.
Lang ward durch seinen damaligen Dienstherrn, den Fürsten v. Oettingen Wal-
lerstein, nach Frankfurt gesendet, damit er beobachte und rapportire; er ward
in Frankfurt selbst noch durch die Gcsandren zweier anderer kleiner Herren,
der Grafen von Truchseß-Waldburg und von Jsenburg, theils für Ceremonial-
angelegenheiten, theils als Secretär in Anspruch genommen. So fehlte es ihm
nicht an Gelegenheit, noch etwas mehr als blos die Aeußerlichkeiten des Festes
wahrzunehmen. Der Bericht von diesem Feste aber empfängt nun -- wir
brauchen kaum darauf hinzuweisen -- seinen vollen Reiz erst durch den Ver¬
gleich mit einer andern Schilderung einer zu Frankfurt abgehaltenen Krönung.
-- mit der' berühmten Erzählung von Josephs des Zweiten Königskrönung,
in Goethes Wahrheit und Dichtung. Kaum ist wohl ein größerer Contrast
zwischen zwei Darstellungen eines gleichen Gegenstandes denkbar -- und zwar
so, daß jede von ihnen ihr Recht hat und in ihrer Art meisterhaft genannt werden
kann. In Wahrheit und Dichtung haben wir das Sonntagskind vor uns, welches
überall das Gold der Poesie in der Tiefe glänzen sieht, jedem Symbole seinen
Sinn zu geben weiß und sich an dem ehrwürdigen Ausdrucke erfreut, ohne ängstlich
zu fragen, ob das, was ausgedrückt werden soll, in seinem gegenwärtigen Bestände
diesem Ausdruck entspreche und desselben werth sei. In Längs Memoiren da
gegen seben wir den derben Praktikus, dem Alles, dessen Sinn verloren ging,


moiren ihren Werth bekommen; dieser Werth liegt vielmehr in der Charakteristik
der Zustände oder ganzer Classen und Gruppen von Menschen, welche wir aus
der Zeichnung einzelner an sich oft unerheblicher Erlebnisse und Individuen
gewinnen. Was aber dabei das Hervorsteckende ist, das ist der scharfe BUck
für das Abgeschmackte, für das Unwahre, für das Hinfällige und die wahrhaft
üppige Mephistopheles-Laune, mit welcher diese Seiten an Menschen und Dingen
in derbconcretester Weise zur Anschauung gebracht werden. Da begreift sich
nun, daß die Verhältnisse des heiligen römisch-deutschen Reiches in den letzten Jahr¬
zehnten des vorigen Jahrhunderts dem Ritter v. Lang besonders glänzende
Gelegenheit geben, seine Begabung zu entfalten. Sein Verkehr an einem klei¬
nen Fürstenhöfe des südlichen Deutschland, seine Thätigkeit in der Gesandtschaft
eines anderen Fürsten zu Wien, seine Schilderungen von Prälaten und Hof-
judcn, von Stadträihen und Regierungscollegien sind reich an hinreißenden
Humor. Gewissermaßen seinen Gipfel erreicht aber, nach unserer Meinung
dieser Humor bei der Ausmalung der Scenen, in welchen ja gewissermaßen alle
Herrlichkeit des beiligen römischen Reiches gipfelte — in dem Berichte von
einer Kaiserkrönung. Es handelt sich um die vorletzte der Kaiserkrönungen, die
überhaupt in Frankfurt vollzogen worden sind, um die Krönung Leopolds, des
Zweiten im I. 1790 — zu einer Zeit, wo bereits im nahen Frankreich der
Sturm sich gewaltig ankündigte, der neben so vielem Anderen auch den ganzen
Plunder des alten Neichswesens von dieser Welt hinwegzufegen bestimmt war.
Lang ward durch seinen damaligen Dienstherrn, den Fürsten v. Oettingen Wal-
lerstein, nach Frankfurt gesendet, damit er beobachte und rapportire; er ward
in Frankfurt selbst noch durch die Gcsandren zweier anderer kleiner Herren,
der Grafen von Truchseß-Waldburg und von Jsenburg, theils für Ceremonial-
angelegenheiten, theils als Secretär in Anspruch genommen. So fehlte es ihm
nicht an Gelegenheit, noch etwas mehr als blos die Aeußerlichkeiten des Festes
wahrzunehmen. Der Bericht von diesem Feste aber empfängt nun — wir
brauchen kaum darauf hinzuweisen — seinen vollen Reiz erst durch den Ver¬
gleich mit einer andern Schilderung einer zu Frankfurt abgehaltenen Krönung.
— mit der' berühmten Erzählung von Josephs des Zweiten Königskrönung,
in Goethes Wahrheit und Dichtung. Kaum ist wohl ein größerer Contrast
zwischen zwei Darstellungen eines gleichen Gegenstandes denkbar — und zwar
so, daß jede von ihnen ihr Recht hat und in ihrer Art meisterhaft genannt werden
kann. In Wahrheit und Dichtung haben wir das Sonntagskind vor uns, welches
überall das Gold der Poesie in der Tiefe glänzen sieht, jedem Symbole seinen
Sinn zu geben weiß und sich an dem ehrwürdigen Ausdrucke erfreut, ohne ängstlich
zu fragen, ob das, was ausgedrückt werden soll, in seinem gegenwärtigen Bestände
diesem Ausdruck entspreche und desselben werth sei. In Längs Memoiren da
gegen seben wir den derben Praktikus, dem Alles, dessen Sinn verloren ging,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/39>, abgerufen am 24.07.2024.