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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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einfach als Unsinn gilt und um so verhaßter ist, mit je größerem Anspruch es
auftritt. In Wahrheit und Dichtung erblicken wir den glücklichen Dichtertnaben,
welcher während der Festlichkeiten frei in den Straßen umherschleudern und darauf
sinnen konnte, wie sich das Geschaute und Genossene nachher dem geliebten
Mädchen in anmuthigster Weise mittheilen ließe; in den Memoiren den ver¬
ständigen Geschäftsmann, der, den Festlichkeiten beizuwohnen genöthigt, nicht
aus der Entrüstung herauskommt, daß er Zeit und Kräfte hergeben muß, um
einem zwecklosen Mummenschanze zu assistiren. Endlich finden wir bei Goethe
einen leisen Hauch der reizendsten Ironie, der wie ein leichtes Salz nur dazu
dient, uns bei doppelt gutem Appetit zum Genuß des Poetischen bis in dessen
Seltsamkeiten hinein zu erhalten -- eine Ironie, wie wir sie in guten Stunden
so gern gegen die Eigenheiten geliebter Personen und Gegenstände führen; bei
v. Lang dagegen die directesten und gewichtigsten Faustschläge mitten in die gepappte
und gekleisterte Herrlichkeit hinein, die er vor sich sieht. Daß übrigens beiläufig
auch der Unterschied der Jahre, in denen beide Krönungen stattfanden, einige
Beachtung verdient -- daß namentlich Ritter v. Lang im Jahre 1790 eine
Disposition zur Aufnahme der Krönungseindrücke mit nach Frankfurt brachte,
wie sie in so greller Art auch bei einem Charakter von seiner Anlage 26 Jahre
früher nicht wohl denkbar gewesen wäre, brauchen wir kaum noch besonders
zu bemerken.

Ritter v. Lang schreibt S. 205 bis 214 Folgendes:

Eine süße Abwechselung für mich war es, da der Fürst als Director des
schwäbischen Grafenbundes (das fürstliche Haus war noch zu keiner Virilstimme
auf dem Reichstage gelangt), mich nach Frankfurt am Main beorderte, um
dort bei der bevorstehenden Kaiserwahl und Krönung als Beobachter dem Für¬
sten mitzutheilen, was sich überhaupt Merkwürdiges dort ergebe, und verhandle,
und gelegenheitlich auch für das mindere Interesse der kleinern Stände ge¬
wirkt werden konnte, worunter den Reichsgrafen besonders das Prädicat Wir
am Herzen lag. Ich ward deshalb noch an einen andern schwäbischen Grafen,
den Herrn Reichserbtruchseß Grafen von Truchseß Waldburg und an einen
Jsenburger Herrn Regierungsrath Pietsch in Offenbach, damals Directorial-
deputirten des Wetterauschen Grafen, empfohlen. Beide nahmen mich sogleich
in Anspruch, Ersterer, um bei der bevorstehenden Ceremonie ihm, als eine Art
Ceremoniarius, oder wie man es nannte, Gentilhomme, zu dienen; der Andere
zum Protokolliren und der Ausfertigung der Grafentagsdeputation. Bei dem
Neichserbmarschallamt mußte ich noch ein besonderes Protcctorium lösen, ge¬
geben den 27. Sept. 1790. Quartier fand ich noch glücklicher Weise im
Weidenhof.

Die erste hochwichtige Angelegenheit, die mir da unter die Hände kam,
war ein Gesuch des Reichserbmarschalls Grafen von Pappenheim, daß unter


einfach als Unsinn gilt und um so verhaßter ist, mit je größerem Anspruch es
auftritt. In Wahrheit und Dichtung erblicken wir den glücklichen Dichtertnaben,
welcher während der Festlichkeiten frei in den Straßen umherschleudern und darauf
sinnen konnte, wie sich das Geschaute und Genossene nachher dem geliebten
Mädchen in anmuthigster Weise mittheilen ließe; in den Memoiren den ver¬
ständigen Geschäftsmann, der, den Festlichkeiten beizuwohnen genöthigt, nicht
aus der Entrüstung herauskommt, daß er Zeit und Kräfte hergeben muß, um
einem zwecklosen Mummenschanze zu assistiren. Endlich finden wir bei Goethe
einen leisen Hauch der reizendsten Ironie, der wie ein leichtes Salz nur dazu
dient, uns bei doppelt gutem Appetit zum Genuß des Poetischen bis in dessen
Seltsamkeiten hinein zu erhalten — eine Ironie, wie wir sie in guten Stunden
so gern gegen die Eigenheiten geliebter Personen und Gegenstände führen; bei
v. Lang dagegen die directesten und gewichtigsten Faustschläge mitten in die gepappte
und gekleisterte Herrlichkeit hinein, die er vor sich sieht. Daß übrigens beiläufig
auch der Unterschied der Jahre, in denen beide Krönungen stattfanden, einige
Beachtung verdient — daß namentlich Ritter v. Lang im Jahre 1790 eine
Disposition zur Aufnahme der Krönungseindrücke mit nach Frankfurt brachte,
wie sie in so greller Art auch bei einem Charakter von seiner Anlage 26 Jahre
früher nicht wohl denkbar gewesen wäre, brauchen wir kaum noch besonders
zu bemerken.

Ritter v. Lang schreibt S. 205 bis 214 Folgendes:

Eine süße Abwechselung für mich war es, da der Fürst als Director des
schwäbischen Grafenbundes (das fürstliche Haus war noch zu keiner Virilstimme
auf dem Reichstage gelangt), mich nach Frankfurt am Main beorderte, um
dort bei der bevorstehenden Kaiserwahl und Krönung als Beobachter dem Für¬
sten mitzutheilen, was sich überhaupt Merkwürdiges dort ergebe, und verhandle,
und gelegenheitlich auch für das mindere Interesse der kleinern Stände ge¬
wirkt werden konnte, worunter den Reichsgrafen besonders das Prädicat Wir
am Herzen lag. Ich ward deshalb noch an einen andern schwäbischen Grafen,
den Herrn Reichserbtruchseß Grafen von Truchseß Waldburg und an einen
Jsenburger Herrn Regierungsrath Pietsch in Offenbach, damals Directorial-
deputirten des Wetterauschen Grafen, empfohlen. Beide nahmen mich sogleich
in Anspruch, Ersterer, um bei der bevorstehenden Ceremonie ihm, als eine Art
Ceremoniarius, oder wie man es nannte, Gentilhomme, zu dienen; der Andere
zum Protokolliren und der Ausfertigung der Grafentagsdeputation. Bei dem
Neichserbmarschallamt mußte ich noch ein besonderes Protcctorium lösen, ge¬
geben den 27. Sept. 1790. Quartier fand ich noch glücklicher Weise im
Weidenhof.

Die erste hochwichtige Angelegenheit, die mir da unter die Hände kam,
war ein Gesuch des Reichserbmarschalls Grafen von Pappenheim, daß unter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/40>, abgerufen am 24.07.2024.