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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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angemessene Arbeit für sie haben sollten oder sie selbst doch ihnen keinen Dienst
oder keine Arbeit gewähren wollen; daß aber auch zugleich allen Arbeitgebern
bei einer Strafe von fünfzig Thaler für jeden Contraventionsfall -- von welcher
Strafe dem Denuncianten die Hälfte zuzusprechen -- verboten werde, lediglvsen,
mit einem obrigkeitlichen Arbeitsschein versehenen Leuten Arbeit in Tagelohn
oder Accordarbeit zu gewähren."

Die Herren v. Pertz und Klockmann hatten ihren, von der Ritterschaft
des Amtes Güstrow eingebrachten Antrag mit dem Motto geschmückt: "Aus
den Höhlen der Unsittlichkeit strömen stets schlagende Wetter; es darf daher die
Freiheit nur Hand in Hand gehen mit der Sittlichkeit und Bildung, und daher
der bezeichnende Ausdruck: gemäßigter, besonnener Fortschritt." In der Ein¬
leitung treten wiederum die Klagen auf, daß die Arbeiter, statt dem Guts¬
herrn um billigen Jahreslohn als Knechte zu dienen. es vorziehen, außerhalb
des Gutes Arbeit für höheren Lohn zu suchen und dadurch mehr Geld zu er¬
werben. "Man könnte freilich denken," bemerken sie, "dies stehe jedem Menschen
völlig frei, in dieser Beziehung könne eine Beschränkung nicht wohl eintreten,
vielmehr ein freier Mann könne arbeiten, wo er wolle; allein dies Verhältniß
hat in staatlicher Beziehung doch große Bedenken und ist mit namhaften Nach-,
theilen verknüpft." Diese Nachtheile treffen, wie Von den beiden Patrioten
dann weiter ausgeführt wird, zunächst den Gutsbesitzer. Ihm werden die
nöthigen Arbeitskräfte entzogen, er kann nur mit Mühe Knechte bekommen, er
muß halberwachsene Bursche bei seinen Gespannen anstellen, welche dieselben
oft ungeschickt behandeln und durch Verwahrlosung großen Schaden anrichten.
Die Nachtheile treffen aber auch den Arbeiter: das ungebundene Leben übt eine
entsittlichende Wirkung und schwächt die Gesundheit; die Entbehrungen, welche
der Arbeiter sich auferlegt, die oft übermäßige Anstrengung bei der Accordarbeit,
wirken in derselben gesundheitsfeindlichen Richtung. Als Mittel, die "Freiheit"
mit der "Sittlichkeit und Bildung" in Einklang zu bringen und den "gemäßigten,
besonnenen Fortschritt" an diesem Punkte, zum Wohle beider, des Gutsbesitzers
und des Arbeiters, sicher zu stellen, wird dann verlangt: daß es von dem Er¬
messen der Heimathsbehörde abhängig gemacht werde, ob sie dem Ortsange¬
höriger Erlaubniß ertheilen wolle, auf eine bestimmt ausgedrückte Zeit aus¬
wärtige Accordarbeit zu übernehmen. Auch soll die Gensdarmerie darüber wachen,
"daß junge Leute nicht müßig bei den Eltern und Angehörigen zu ihrem eigenen
und der Ersteren Verderben und gegen das Interesse der Armenkassen, der öffent¬
lichen Sicherheit und des Eigenthums umherliegen, die dann angewiesen werden,
innerhalb kurzer Zeit ein Dienstverhältniß einzugehen, eventuell gegen einen
billigen Lohn zu vermiethen sind." Ferner soll der Accordarbeiter, durch
Vorzeigen der Quittung, dem Gensdarmen den Nachweis geben, daß er die
Eontribution zur Verfallzeit richtig bezahlt hat. "In entgegengesetzten Fällen


angemessene Arbeit für sie haben sollten oder sie selbst doch ihnen keinen Dienst
oder keine Arbeit gewähren wollen; daß aber auch zugleich allen Arbeitgebern
bei einer Strafe von fünfzig Thaler für jeden Contraventionsfall — von welcher
Strafe dem Denuncianten die Hälfte zuzusprechen — verboten werde, lediglvsen,
mit einem obrigkeitlichen Arbeitsschein versehenen Leuten Arbeit in Tagelohn
oder Accordarbeit zu gewähren."

Die Herren v. Pertz und Klockmann hatten ihren, von der Ritterschaft
des Amtes Güstrow eingebrachten Antrag mit dem Motto geschmückt: „Aus
den Höhlen der Unsittlichkeit strömen stets schlagende Wetter; es darf daher die
Freiheit nur Hand in Hand gehen mit der Sittlichkeit und Bildung, und daher
der bezeichnende Ausdruck: gemäßigter, besonnener Fortschritt." In der Ein¬
leitung treten wiederum die Klagen auf, daß die Arbeiter, statt dem Guts¬
herrn um billigen Jahreslohn als Knechte zu dienen. es vorziehen, außerhalb
des Gutes Arbeit für höheren Lohn zu suchen und dadurch mehr Geld zu er¬
werben. „Man könnte freilich denken," bemerken sie, „dies stehe jedem Menschen
völlig frei, in dieser Beziehung könne eine Beschränkung nicht wohl eintreten,
vielmehr ein freier Mann könne arbeiten, wo er wolle; allein dies Verhältniß
hat in staatlicher Beziehung doch große Bedenken und ist mit namhaften Nach-,
theilen verknüpft." Diese Nachtheile treffen, wie Von den beiden Patrioten
dann weiter ausgeführt wird, zunächst den Gutsbesitzer. Ihm werden die
nöthigen Arbeitskräfte entzogen, er kann nur mit Mühe Knechte bekommen, er
muß halberwachsene Bursche bei seinen Gespannen anstellen, welche dieselben
oft ungeschickt behandeln und durch Verwahrlosung großen Schaden anrichten.
Die Nachtheile treffen aber auch den Arbeiter: das ungebundene Leben übt eine
entsittlichende Wirkung und schwächt die Gesundheit; die Entbehrungen, welche
der Arbeiter sich auferlegt, die oft übermäßige Anstrengung bei der Accordarbeit,
wirken in derselben gesundheitsfeindlichen Richtung. Als Mittel, die „Freiheit"
mit der „Sittlichkeit und Bildung" in Einklang zu bringen und den „gemäßigten,
besonnenen Fortschritt" an diesem Punkte, zum Wohle beider, des Gutsbesitzers
und des Arbeiters, sicher zu stellen, wird dann verlangt: daß es von dem Er¬
messen der Heimathsbehörde abhängig gemacht werde, ob sie dem Ortsange¬
höriger Erlaubniß ertheilen wolle, auf eine bestimmt ausgedrückte Zeit aus¬
wärtige Accordarbeit zu übernehmen. Auch soll die Gensdarmerie darüber wachen,
„daß junge Leute nicht müßig bei den Eltern und Angehörigen zu ihrem eigenen
und der Ersteren Verderben und gegen das Interesse der Armenkassen, der öffent¬
lichen Sicherheit und des Eigenthums umherliegen, die dann angewiesen werden,
innerhalb kurzer Zeit ein Dienstverhältniß einzugehen, eventuell gegen einen
billigen Lohn zu vermiethen sind." Ferner soll der Accordarbeiter, durch
Vorzeigen der Quittung, dem Gensdarmen den Nachweis geben, daß er die
Eontribution zur Verfallzeit richtig bezahlt hat. „In entgegengesetzten Fällen


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[0378] angemessene Arbeit für sie haben sollten oder sie selbst doch ihnen keinen Dienst oder keine Arbeit gewähren wollen; daß aber auch zugleich allen Arbeitgebern bei einer Strafe von fünfzig Thaler für jeden Contraventionsfall — von welcher Strafe dem Denuncianten die Hälfte zuzusprechen — verboten werde, lediglvsen, mit einem obrigkeitlichen Arbeitsschein versehenen Leuten Arbeit in Tagelohn oder Accordarbeit zu gewähren." Die Herren v. Pertz und Klockmann hatten ihren, von der Ritterschaft des Amtes Güstrow eingebrachten Antrag mit dem Motto geschmückt: „Aus den Höhlen der Unsittlichkeit strömen stets schlagende Wetter; es darf daher die Freiheit nur Hand in Hand gehen mit der Sittlichkeit und Bildung, und daher der bezeichnende Ausdruck: gemäßigter, besonnener Fortschritt." In der Ein¬ leitung treten wiederum die Klagen auf, daß die Arbeiter, statt dem Guts¬ herrn um billigen Jahreslohn als Knechte zu dienen. es vorziehen, außerhalb des Gutes Arbeit für höheren Lohn zu suchen und dadurch mehr Geld zu er¬ werben. „Man könnte freilich denken," bemerken sie, „dies stehe jedem Menschen völlig frei, in dieser Beziehung könne eine Beschränkung nicht wohl eintreten, vielmehr ein freier Mann könne arbeiten, wo er wolle; allein dies Verhältniß hat in staatlicher Beziehung doch große Bedenken und ist mit namhaften Nach-, theilen verknüpft." Diese Nachtheile treffen, wie Von den beiden Patrioten dann weiter ausgeführt wird, zunächst den Gutsbesitzer. Ihm werden die nöthigen Arbeitskräfte entzogen, er kann nur mit Mühe Knechte bekommen, er muß halberwachsene Bursche bei seinen Gespannen anstellen, welche dieselben oft ungeschickt behandeln und durch Verwahrlosung großen Schaden anrichten. Die Nachtheile treffen aber auch den Arbeiter: das ungebundene Leben übt eine entsittlichende Wirkung und schwächt die Gesundheit; die Entbehrungen, welche der Arbeiter sich auferlegt, die oft übermäßige Anstrengung bei der Accordarbeit, wirken in derselben gesundheitsfeindlichen Richtung. Als Mittel, die „Freiheit" mit der „Sittlichkeit und Bildung" in Einklang zu bringen und den „gemäßigten, besonnenen Fortschritt" an diesem Punkte, zum Wohle beider, des Gutsbesitzers und des Arbeiters, sicher zu stellen, wird dann verlangt: daß es von dem Er¬ messen der Heimathsbehörde abhängig gemacht werde, ob sie dem Ortsange¬ höriger Erlaubniß ertheilen wolle, auf eine bestimmt ausgedrückte Zeit aus¬ wärtige Accordarbeit zu übernehmen. Auch soll die Gensdarmerie darüber wachen, „daß junge Leute nicht müßig bei den Eltern und Angehörigen zu ihrem eigenen und der Ersteren Verderben und gegen das Interesse der Armenkassen, der öffent¬ lichen Sicherheit und des Eigenthums umherliegen, die dann angewiesen werden, innerhalb kurzer Zeit ein Dienstverhältniß einzugehen, eventuell gegen einen billigen Lohn zu vermiethen sind." Ferner soll der Accordarbeiter, durch Vorzeigen der Quittung, dem Gensdarmen den Nachweis geben, daß er die Eontribution zur Verfallzeit richtig bezahlt hat. „In entgegengesetzten Fällen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/378>, abgerufen am 24.07.2024.