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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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die Handlung des beginnenden Auszugs einführt. Drei dieser Entreacts haben
daher keinen vollkommenen musikalischen Abschluß, sondern endigen bei schon
offener Scene mit einem charakteristischen Halbschluß. Die Ausführung der
Musik, wie sie Beethoven wollte, setzt allerdings eine sehr genau berechnete und
sorgfältige Jnscenirung voraus. Um dem gewöhnlichen Schlendrian zu Hilfe zu
kommen und auch für andere Fälle die Entreacts brauchbar zu machen, waren
vollständig abschließende Anhängsel wünschenswert!) erschienen, und Beethoven
hatte -- ein seltener Fall -- sich dem "praktischen Bedürfniß" gefügt und zu¬
gestanden, daß der musikalische Corrector in Leipzig derartige Schlüsse hinzusetze.
Diese wurden nach damaliger Weise ohne jede Erklärung mit abgedruckt und
galten mithin für authentisch, obgleich sie die ursprünglichen Intentionen des
Componisten theilweise vernichteten. Es versteht sich, daß sie in der neuen Aus¬
gabe gänzlich beseitigt sind.

Hier durfte man nur einfach auf Beethovens Handschrift zurückgehen, wie
bei einer Berichtigung im letzten Quartett (0p. 135), die einen wirklich un¬
erhörten Fall bildet. Im letzten Satz desselben sind nämlich in der ersten
Violine einmal zwei Tacte ausgefallen; daß das Ganze nun nicht zusammen¬
stimmte, mußte man freilich beim Druck der Partitur bemerken, der Corrector
aber suchte den Fehler nicht da, wo er wirklich steckte, sondern ließ die erste
Geigenstimme verkehrt wie sie war und änderte in andern Stimmen so viel
daß die Stelle allenfalls anzuhören war, obwohl sie nun gründlicher verderbt
war, als wenn der ursprüngliche Fehler unberührt geblieben wäre. Die Ver-
gleichung mit dem Autograph ergab sofort das Richtige, und so ist denn eine
Stelle, die höchst wunderlich und bedenklich erschienen war, die man aber nicht
hatte bessern können, weil der wirkliche Fehler durch falsches Corrigiren verdeckt
war, jetzt in ihrer echten Gestalt ganz klar und verständlich geworden.

Daß ein solches Berdcrbniß'Platz greifen und unberichtigt bleiben konnte,
erklärt sich freilich nur dadurch, daß dieses Quartett erst nach seinem Tode er¬
schienen ist. Denn Beethoven war mit derselben Sorgfalt, welche er den Ab¬
schriften zuwandte, auch für die Correctheit der gedruckten Ausgaben
thätig. Soweit es irgend möglich war, überwachte er selbst die Correctur und
nahm es damit außerordentlich genau. In der Correspondenz mit seinen Ver¬
legern spielt die Verbesserung der Druckfehler, welche ihn in den heftigsten Zorn
versetzen konnten, eine große Rolle; auch nach der Herausgabe von ihm wahr¬
genommene Versehen theilte er mit und drang auf deren nachträgliche Berichtigung.
Die setzte er freilich selten durch, wie das Beispiel der e-moll-S y my h o n i e
zeigt, oder die große Messe, in welcher unter anderen Fehlern, welche er
brieflich rüg e, die Angabe des Tempo für das Keiwäietus ganz fortgeblieben
war. Obgleich also auch die von Beethoven besorgten Ausgaben nicht fehler¬
frei sind, bieten sie doch einsehr wichtiges Hilfsmittel dar, ja sie können selbst


die Handlung des beginnenden Auszugs einführt. Drei dieser Entreacts haben
daher keinen vollkommenen musikalischen Abschluß, sondern endigen bei schon
offener Scene mit einem charakteristischen Halbschluß. Die Ausführung der
Musik, wie sie Beethoven wollte, setzt allerdings eine sehr genau berechnete und
sorgfältige Jnscenirung voraus. Um dem gewöhnlichen Schlendrian zu Hilfe zu
kommen und auch für andere Fälle die Entreacts brauchbar zu machen, waren
vollständig abschließende Anhängsel wünschenswert!) erschienen, und Beethoven
hatte — ein seltener Fall — sich dem „praktischen Bedürfniß" gefügt und zu¬
gestanden, daß der musikalische Corrector in Leipzig derartige Schlüsse hinzusetze.
Diese wurden nach damaliger Weise ohne jede Erklärung mit abgedruckt und
galten mithin für authentisch, obgleich sie die ursprünglichen Intentionen des
Componisten theilweise vernichteten. Es versteht sich, daß sie in der neuen Aus¬
gabe gänzlich beseitigt sind.

Hier durfte man nur einfach auf Beethovens Handschrift zurückgehen, wie
bei einer Berichtigung im letzten Quartett (0p. 135), die einen wirklich un¬
erhörten Fall bildet. Im letzten Satz desselben sind nämlich in der ersten
Violine einmal zwei Tacte ausgefallen; daß das Ganze nun nicht zusammen¬
stimmte, mußte man freilich beim Druck der Partitur bemerken, der Corrector
aber suchte den Fehler nicht da, wo er wirklich steckte, sondern ließ die erste
Geigenstimme verkehrt wie sie war und änderte in andern Stimmen so viel
daß die Stelle allenfalls anzuhören war, obwohl sie nun gründlicher verderbt
war, als wenn der ursprüngliche Fehler unberührt geblieben wäre. Die Ver-
gleichung mit dem Autograph ergab sofort das Richtige, und so ist denn eine
Stelle, die höchst wunderlich und bedenklich erschienen war, die man aber nicht
hatte bessern können, weil der wirkliche Fehler durch falsches Corrigiren verdeckt
war, jetzt in ihrer echten Gestalt ganz klar und verständlich geworden.

Daß ein solches Berdcrbniß'Platz greifen und unberichtigt bleiben konnte,
erklärt sich freilich nur dadurch, daß dieses Quartett erst nach seinem Tode er¬
schienen ist. Denn Beethoven war mit derselben Sorgfalt, welche er den Ab¬
schriften zuwandte, auch für die Correctheit der gedruckten Ausgaben
thätig. Soweit es irgend möglich war, überwachte er selbst die Correctur und
nahm es damit außerordentlich genau. In der Correspondenz mit seinen Ver¬
legern spielt die Verbesserung der Druckfehler, welche ihn in den heftigsten Zorn
versetzen konnten, eine große Rolle; auch nach der Herausgabe von ihm wahr¬
genommene Versehen theilte er mit und drang auf deren nachträgliche Berichtigung.
Die setzte er freilich selten durch, wie das Beispiel der e-moll-S y my h o n i e
zeigt, oder die große Messe, in welcher unter anderen Fehlern, welche er
brieflich rüg e, die Angabe des Tempo für das Keiwäietus ganz fortgeblieben
war. Obgleich also auch die von Beethoven besorgten Ausgaben nicht fehler¬
frei sind, bieten sie doch einsehr wichtiges Hilfsmittel dar, ja sie können selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/358>, abgerufen am 24.07.2024.