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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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bot seine Handschrift immer wieder neue Schwierigkeiten, und in zweifelhaften
Fällen das Nichtige zu treffen, war bei Beethovens Eigenthümlichkeit selbst für
einen musikalisch gebildeten eine bedenkliche Sache. Die Revision, welche er
mit dem Copisten vornahm, führte daher gewöhnlich zu sehr lebhaften Scenen
und dieser mußte in scherzhaften und ernsthaften Vorwürfen starke Dinge über
sich ergehen lassen; aber trotz der heftigsten Ungeduld nahm Beethoven es mit
diesen Correcturen äußerst genau, und alle von ihm selbst durchgesehenen Ab¬
schriften legen von der Gewissenhaftigkeit Zeugniß ab, mit welcher er für Rich¬
tigkeit und Deutlichkeit derselben besorgt war. Es ist daher begreiflich, daß in
diesen Copien einzelne im Original etwa übersehen" Flüchtigkeiten und Un>
genauigkeiten verbessert erscheinen, wiewohl , auch hier wiederum gelegentlich
Versehen sich eingeschlichen haben, welche aus jenen zu verbessern sind, so daß
beide zur gegenseitigen Controle dienen, und in Zweifelsfällen das abwägende
Urtheil des Kritikers entscheiden muß.

Von großer Bedeutung können Stimmen sein, welche bei Aufführungen
gebraucht worden sind, die unter Beethovens Leitung Statt fanden. Zwar
weiß jeder Erfahrene, daß die in den Proben bemerkten Fehler keineswegs immer
in den Stimmen genau corrigirt werden, aber wo eine Correctur eingetragen
ist, da kann man annehmen, daß sie ausdrücklich so gewollt und vorgeschrieben
ist. Auch in einer vielbesprochenen Controverse haben die Stimmen eine freilich
kaum mehr nöthige Bestätigung gegeben. Bekanntlich wurde auf Mendelssohns
Veranlassung im Jahre 1846 ein Brief Beethovens vom 21. August 1810 be¬
kannt gemacht, worin er den Verlegern mittheilt, daß in den eben gestochenen
Stimmen der e-moll-Symphonie im Scherzo zwei Tacte zu viel seien, sie also
gestrichen werden müßten. Die Verbesserung unterblieb, jene zwei Tacte gingen
in die gedruckte Partitur, die Stimmen und alle Arrangements über, und als
jene Berichtigung erschien, fand Beethovens eigene kategorische Erklärung sonder¬
bar genug aus äußeren und innern Gründen Widerspruch. Ein Blick auf die
Originalpartitur -- welche im Besitz Mendelssohns war -- zeigte deutlich, wie
das Versehen entstanden war; der Copist der für den Druck bestimmten Abschrift
hatte eine Aenderung Beetliovens mißverstanden und dieser das Versehen bei
der Correctur übersehen. Zum Ueberfluß haben die Orchesterstimmen, nach
welchen die Symphonie unter Beethovens Leitung zuerst und wiederholt gespielt
worden ist, die fraglichen Tacte gar nicht, und es kann also kein Zweifel sein,
daß er sie nicht gewollt hat; natürlich sind sie in der neuen Ausgabe aus¬
gemerzt.

Von entstellenden Zusätzen erscheint jetzt auch die Musik zu Egmont be¬
freit. Beethoven hat bei den Entreacts sein Augenmerk wesentlich darauf ge¬
richtet, durch die Musik den Schluß des einen Actes mit dem Anfang des fol¬
genden so zu vermitteln, daß er anknüpfend an die Schlußsituation unmittelbar in


bot seine Handschrift immer wieder neue Schwierigkeiten, und in zweifelhaften
Fällen das Nichtige zu treffen, war bei Beethovens Eigenthümlichkeit selbst für
einen musikalisch gebildeten eine bedenkliche Sache. Die Revision, welche er
mit dem Copisten vornahm, führte daher gewöhnlich zu sehr lebhaften Scenen
und dieser mußte in scherzhaften und ernsthaften Vorwürfen starke Dinge über
sich ergehen lassen; aber trotz der heftigsten Ungeduld nahm Beethoven es mit
diesen Correcturen äußerst genau, und alle von ihm selbst durchgesehenen Ab¬
schriften legen von der Gewissenhaftigkeit Zeugniß ab, mit welcher er für Rich¬
tigkeit und Deutlichkeit derselben besorgt war. Es ist daher begreiflich, daß in
diesen Copien einzelne im Original etwa übersehen« Flüchtigkeiten und Un>
genauigkeiten verbessert erscheinen, wiewohl , auch hier wiederum gelegentlich
Versehen sich eingeschlichen haben, welche aus jenen zu verbessern sind, so daß
beide zur gegenseitigen Controle dienen, und in Zweifelsfällen das abwägende
Urtheil des Kritikers entscheiden muß.

Von großer Bedeutung können Stimmen sein, welche bei Aufführungen
gebraucht worden sind, die unter Beethovens Leitung Statt fanden. Zwar
weiß jeder Erfahrene, daß die in den Proben bemerkten Fehler keineswegs immer
in den Stimmen genau corrigirt werden, aber wo eine Correctur eingetragen
ist, da kann man annehmen, daß sie ausdrücklich so gewollt und vorgeschrieben
ist. Auch in einer vielbesprochenen Controverse haben die Stimmen eine freilich
kaum mehr nöthige Bestätigung gegeben. Bekanntlich wurde auf Mendelssohns
Veranlassung im Jahre 1846 ein Brief Beethovens vom 21. August 1810 be¬
kannt gemacht, worin er den Verlegern mittheilt, daß in den eben gestochenen
Stimmen der e-moll-Symphonie im Scherzo zwei Tacte zu viel seien, sie also
gestrichen werden müßten. Die Verbesserung unterblieb, jene zwei Tacte gingen
in die gedruckte Partitur, die Stimmen und alle Arrangements über, und als
jene Berichtigung erschien, fand Beethovens eigene kategorische Erklärung sonder¬
bar genug aus äußeren und innern Gründen Widerspruch. Ein Blick auf die
Originalpartitur — welche im Besitz Mendelssohns war — zeigte deutlich, wie
das Versehen entstanden war; der Copist der für den Druck bestimmten Abschrift
hatte eine Aenderung Beetliovens mißverstanden und dieser das Versehen bei
der Correctur übersehen. Zum Ueberfluß haben die Orchesterstimmen, nach
welchen die Symphonie unter Beethovens Leitung zuerst und wiederholt gespielt
worden ist, die fraglichen Tacte gar nicht, und es kann also kein Zweifel sein,
daß er sie nicht gewollt hat; natürlich sind sie in der neuen Ausgabe aus¬
gemerzt.

Von entstellenden Zusätzen erscheint jetzt auch die Musik zu Egmont be¬
freit. Beethoven hat bei den Entreacts sein Augenmerk wesentlich darauf ge¬
richtet, durch die Musik den Schluß des einen Actes mit dem Anfang des fol¬
genden so zu vermitteln, daß er anknüpfend an die Schlußsituation unmittelbar in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/357>, abgerufen am 04.07.2024.