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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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feuer auf dem weiten weißen Schneefelde. Schwarze Schatten umstanden sie
in Gruppen. Andere Schattengestalren führten Schattenpferde an ihnen vor¬
bei. Durch das Stimmengewirr des Lagers schmetterte bisweilen ein Signal.

Im Innern unsres Gefängnisses fehlte es auch nicht an Zeitvertreib. Nach¬
dem man sich in sein Schicksal gefunden, herrschte unter den Herren des Unter¬
hauses ungemein viel gute Laune. Ein Seemann aus Kiel spielte bald in
Hochdeutsch, bald in Platt den Lustigmacher der Gesellschaft, und manche seiner
Possen war in der That recht drollig. Dazwischen ertönte Gesang, erst "Schles¬
wig-Holstein meerumschlungen", dann von einer empsindungsreichen Stimme,
die nicht zu wissen schien, wie komisch sie unter den obwaltenden Umständen
wirkte, "Freiheit, die ich meine". zuletzt gar: "Hinaus in die Ferne mit lautem
Hörnerklang".

Es war inzwischen kälter und immer kälter geworden, und vielen schien
es wie mir zu gehen, sie vermochten vor Frost nicht zu schlafen. Doch wurde
auch das mit Humor getragen. "Du zitterst ja," hörte ich einen Mitleidigen
unter mir zu seinem Schlafgenossen im Stroh sagen. "Ach nein." war die
Antwort. "Ich mache mir blos ein bischen Bewegung." Nach Mitternacht
brachten Soldaten einen neuen Gefangenen ein. "Nix da," rief ihm einen
kräftige Baßstimme entgegen. "Muß erst über ihn ballotirt werden; denn wir
sind 'ne geschlossene Gesellschaft" ein Spaß, den Unter- und Oberhaus mit
einem allgemeinen Gelächter approbirte.

So graute endlich der Morgen. Die Gefangenschaft, die man sich bisher
als ein ziemlich drolliges, wenn auch etwas zu kühles Abenteuer hatte gefallen
lassen, sing an langweilig zu werden. Die Ungewißheit über die Zeit unsrer
Losgebung quälte jeden mehr oder minder. Von Toilette machen war nicht
die Rede, von dem gewohnten respektablen Frühstück ebenso wenig. Ich hätte
von dem, was des Müllers Sorge nach dieser Richtung hin lieferte, da man
unten darum ein nicht gerade gelindes Ringen zu bestehen hatte, vermuthlich gar
nichts bekommen, wenn der eine Eckernförder nicht die erforderliche Energie für
mich mit besessen hätte. So gelang es, eine halbe Tasse schwarzen Kaffee von
der zweiten oder dritten Auflage und bald daraus noch einige Schlucke warme
Milch zu erbeuten. Habe Dank dafür, Tonis Kruse, mein Rabe, und ebenso
für die vier Kartoffeln mit Montur, welche du mir als zweites Frühstück er¬
obertest, und die wir uns mit den Zähnen und Fingern schälten. Sie waren
ein sehr willkommnes Gericht, und wir ließen uns ihren Geschmack nicht ver¬
bittern, als der Neid uns auf die Schulter klopfte und uns in den Hof Hinab¬
fehen ließ, wo sie für den beim Müller einquartirten General einen fetten
Truthahn schlachteten und aus dem Küchenwagen die nothwendige Weinbefeuchtung
dazu holten.

Andere Bilder am Fenster waren östreichische Graumäntel, die im Dorfe


feuer auf dem weiten weißen Schneefelde. Schwarze Schatten umstanden sie
in Gruppen. Andere Schattengestalren führten Schattenpferde an ihnen vor¬
bei. Durch das Stimmengewirr des Lagers schmetterte bisweilen ein Signal.

Im Innern unsres Gefängnisses fehlte es auch nicht an Zeitvertreib. Nach¬
dem man sich in sein Schicksal gefunden, herrschte unter den Herren des Unter¬
hauses ungemein viel gute Laune. Ein Seemann aus Kiel spielte bald in
Hochdeutsch, bald in Platt den Lustigmacher der Gesellschaft, und manche seiner
Possen war in der That recht drollig. Dazwischen ertönte Gesang, erst „Schles¬
wig-Holstein meerumschlungen", dann von einer empsindungsreichen Stimme,
die nicht zu wissen schien, wie komisch sie unter den obwaltenden Umständen
wirkte, „Freiheit, die ich meine". zuletzt gar: „Hinaus in die Ferne mit lautem
Hörnerklang".

Es war inzwischen kälter und immer kälter geworden, und vielen schien
es wie mir zu gehen, sie vermochten vor Frost nicht zu schlafen. Doch wurde
auch das mit Humor getragen. „Du zitterst ja," hörte ich einen Mitleidigen
unter mir zu seinem Schlafgenossen im Stroh sagen. „Ach nein." war die
Antwort. „Ich mache mir blos ein bischen Bewegung." Nach Mitternacht
brachten Soldaten einen neuen Gefangenen ein. „Nix da," rief ihm einen
kräftige Baßstimme entgegen. „Muß erst über ihn ballotirt werden; denn wir
sind 'ne geschlossene Gesellschaft" ein Spaß, den Unter- und Oberhaus mit
einem allgemeinen Gelächter approbirte.

So graute endlich der Morgen. Die Gefangenschaft, die man sich bisher
als ein ziemlich drolliges, wenn auch etwas zu kühles Abenteuer hatte gefallen
lassen, sing an langweilig zu werden. Die Ungewißheit über die Zeit unsrer
Losgebung quälte jeden mehr oder minder. Von Toilette machen war nicht
die Rede, von dem gewohnten respektablen Frühstück ebenso wenig. Ich hätte
von dem, was des Müllers Sorge nach dieser Richtung hin lieferte, da man
unten darum ein nicht gerade gelindes Ringen zu bestehen hatte, vermuthlich gar
nichts bekommen, wenn der eine Eckernförder nicht die erforderliche Energie für
mich mit besessen hätte. So gelang es, eine halbe Tasse schwarzen Kaffee von
der zweiten oder dritten Auflage und bald daraus noch einige Schlucke warme
Milch zu erbeuten. Habe Dank dafür, Tonis Kruse, mein Rabe, und ebenso
für die vier Kartoffeln mit Montur, welche du mir als zweites Frühstück er¬
obertest, und die wir uns mit den Zähnen und Fingern schälten. Sie waren
ein sehr willkommnes Gericht, und wir ließen uns ihren Geschmack nicht ver¬
bittern, als der Neid uns auf die Schulter klopfte und uns in den Hof Hinab¬
fehen ließ, wo sie für den beim Müller einquartirten General einen fetten
Truthahn schlachteten und aus dem Küchenwagen die nothwendige Weinbefeuchtung
dazu holten.

Andere Bilder am Fenster waren östreichische Graumäntel, die im Dorfe


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[0349] feuer auf dem weiten weißen Schneefelde. Schwarze Schatten umstanden sie in Gruppen. Andere Schattengestalren führten Schattenpferde an ihnen vor¬ bei. Durch das Stimmengewirr des Lagers schmetterte bisweilen ein Signal. Im Innern unsres Gefängnisses fehlte es auch nicht an Zeitvertreib. Nach¬ dem man sich in sein Schicksal gefunden, herrschte unter den Herren des Unter¬ hauses ungemein viel gute Laune. Ein Seemann aus Kiel spielte bald in Hochdeutsch, bald in Platt den Lustigmacher der Gesellschaft, und manche seiner Possen war in der That recht drollig. Dazwischen ertönte Gesang, erst „Schles¬ wig-Holstein meerumschlungen", dann von einer empsindungsreichen Stimme, die nicht zu wissen schien, wie komisch sie unter den obwaltenden Umständen wirkte, „Freiheit, die ich meine". zuletzt gar: „Hinaus in die Ferne mit lautem Hörnerklang". Es war inzwischen kälter und immer kälter geworden, und vielen schien es wie mir zu gehen, sie vermochten vor Frost nicht zu schlafen. Doch wurde auch das mit Humor getragen. „Du zitterst ja," hörte ich einen Mitleidigen unter mir zu seinem Schlafgenossen im Stroh sagen. „Ach nein." war die Antwort. „Ich mache mir blos ein bischen Bewegung." Nach Mitternacht brachten Soldaten einen neuen Gefangenen ein. „Nix da," rief ihm einen kräftige Baßstimme entgegen. „Muß erst über ihn ballotirt werden; denn wir sind 'ne geschlossene Gesellschaft" ein Spaß, den Unter- und Oberhaus mit einem allgemeinen Gelächter approbirte. So graute endlich der Morgen. Die Gefangenschaft, die man sich bisher als ein ziemlich drolliges, wenn auch etwas zu kühles Abenteuer hatte gefallen lassen, sing an langweilig zu werden. Die Ungewißheit über die Zeit unsrer Losgebung quälte jeden mehr oder minder. Von Toilette machen war nicht die Rede, von dem gewohnten respektablen Frühstück ebenso wenig. Ich hätte von dem, was des Müllers Sorge nach dieser Richtung hin lieferte, da man unten darum ein nicht gerade gelindes Ringen zu bestehen hatte, vermuthlich gar nichts bekommen, wenn der eine Eckernförder nicht die erforderliche Energie für mich mit besessen hätte. So gelang es, eine halbe Tasse schwarzen Kaffee von der zweiten oder dritten Auflage und bald daraus noch einige Schlucke warme Milch zu erbeuten. Habe Dank dafür, Tonis Kruse, mein Rabe, und ebenso für die vier Kartoffeln mit Montur, welche du mir als zweites Frühstück er¬ obertest, und die wir uns mit den Zähnen und Fingern schälten. Sie waren ein sehr willkommnes Gericht, und wir ließen uns ihren Geschmack nicht ver¬ bittern, als der Neid uns auf die Schulter klopfte und uns in den Hof Hinab¬ fehen ließ, wo sie für den beim Müller einquartirten General einen fetten Truthahn schlachteten und aus dem Küchenwagen die nothwendige Weinbefeuchtung dazu holten. Andere Bilder am Fenster waren östreichische Graumäntel, die im Dorfe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/349>, abgerufen am 01.07.2024.