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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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"Es thut mir leid, meine Herren," hub der Lieutnant an, "es thut mir
sehr leid. Aber ich muß Sie in die Mühle bringen. Es sind noch zwanzig
draußen, und die haben hier nicht Raum."

Wir packten unsre Siebensachen zusammen, folgten dem Offizier vor das
Haus und sahen hier wirklich einen ganzen Trupp andere in Haft Genommene.
Man führte uns aber dann nicht, wie wir gehofft, in die comfortable Müller¬
wohnung, sondern in die daneben liegende halbverfallene Wassermühle, wo die
Oestreicher, die wir kurz vorher von unserem ersten Haftlvcale aus in langen
Reihen hatten vorüberziehen sehen, uns wieder in Empfang nahmen, uns einen
Posten mit geladenem Gewehr und aufgepflanzten Bajonnet vor die Thür stellten
und uns im Uebrigen unsern Sternen überließen.

Die Mühle war ein altes Gebäude voller Löcher und Nisse, General de
Meza mit seiner Scheu vor Zugluft hätte sich bei ihrem bloßen Anblick auf den
Tod erkältet. Auch die neuen Leidensgefährten waren Anfangs nicht nach unsern
Geschmack, und so stiegen wir ursprünglichen Acht, während sie im Erdgeschoß
neben dem Triebwerk der Mühle Platz nahmen, nach einer Art Bodenraum
hinauf und etablirten daselbst im gewissen Sinne das Oberhaus der Versammlung.
Auf dem Boden lag hier ein Haufen Kaff d. h. Hülsen von Buchweizengrütze,
von den Dachsparren hingen wie lange weiße Bärte Spinneweben herab, in
die sich Mehlstaub gesetzt hatte. Ein schmales Fensterchen ohne Rahmen und
Scheibe" gewährte Aussicht auf den Hos des Mühlenguts und einen Theil des
Dorfes Holm.

Anfangs war das Unterhaus, d. h. die zwanzig unten einquartirten Herr¬
schaften, noch ziemlich hoffnungsvoll, und wiederholt versuchte man mit Hilfe
vorübergehender Offiziere Unterhandlungen wegen sofortiger Befreiung anzu¬
knüpfen. Der Müller wurde als Gesandter an den General abgeschickt, um
sür diesen Zweck zu wirken. Berathungen tumultarischer Art wurden wegen
einer Deputation beider Häuser an denselben gepflogen. Alles ohne Resultat,
der Herr General, hieß es, habe keine Zeit, weder zum Empfang des Gesandten
noch der Deputation.

So kam die Dunkelheit, und jetzt wäre eine Entlassung von wenig Werth
gewesen, da sie aller Wahrscheinlichkeit mit einer Arretirung an andrer Stelle
geendigt haben würde. Man machte sich daher bereit, eine Nacht hier zuzu¬
bringen. Müller Nisums Knecht besorgte sür Geld und gute Worte einige
Schütten Stroh, wie er vorher jedem der Mitglieder des Oberhauses eine Tasse
warmen Kaffee besorgt hatte. Als Kopfkissen und Unterbett diente der Haufen
Kaff, und wenn die Kälte nicht einschlafen ließ, so gab es verschiedene Unter¬
haltung bis tief in die Nacht hinein. Buckle man unten zur Thür hinaus, so
bot sich ein prächtiges Schauspiel. Auf einer Koppel hinter dem Dorfe lagerten
die Schwadronen der Windischgrätz-Dragoner. Hoch loderten die rothen Wacht-


„Es thut mir leid, meine Herren," hub der Lieutnant an, „es thut mir
sehr leid. Aber ich muß Sie in die Mühle bringen. Es sind noch zwanzig
draußen, und die haben hier nicht Raum."

Wir packten unsre Siebensachen zusammen, folgten dem Offizier vor das
Haus und sahen hier wirklich einen ganzen Trupp andere in Haft Genommene.
Man führte uns aber dann nicht, wie wir gehofft, in die comfortable Müller¬
wohnung, sondern in die daneben liegende halbverfallene Wassermühle, wo die
Oestreicher, die wir kurz vorher von unserem ersten Haftlvcale aus in langen
Reihen hatten vorüberziehen sehen, uns wieder in Empfang nahmen, uns einen
Posten mit geladenem Gewehr und aufgepflanzten Bajonnet vor die Thür stellten
und uns im Uebrigen unsern Sternen überließen.

Die Mühle war ein altes Gebäude voller Löcher und Nisse, General de
Meza mit seiner Scheu vor Zugluft hätte sich bei ihrem bloßen Anblick auf den
Tod erkältet. Auch die neuen Leidensgefährten waren Anfangs nicht nach unsern
Geschmack, und so stiegen wir ursprünglichen Acht, während sie im Erdgeschoß
neben dem Triebwerk der Mühle Platz nahmen, nach einer Art Bodenraum
hinauf und etablirten daselbst im gewissen Sinne das Oberhaus der Versammlung.
Auf dem Boden lag hier ein Haufen Kaff d. h. Hülsen von Buchweizengrütze,
von den Dachsparren hingen wie lange weiße Bärte Spinneweben herab, in
die sich Mehlstaub gesetzt hatte. Ein schmales Fensterchen ohne Rahmen und
Scheibe» gewährte Aussicht auf den Hos des Mühlenguts und einen Theil des
Dorfes Holm.

Anfangs war das Unterhaus, d. h. die zwanzig unten einquartirten Herr¬
schaften, noch ziemlich hoffnungsvoll, und wiederholt versuchte man mit Hilfe
vorübergehender Offiziere Unterhandlungen wegen sofortiger Befreiung anzu¬
knüpfen. Der Müller wurde als Gesandter an den General abgeschickt, um
sür diesen Zweck zu wirken. Berathungen tumultarischer Art wurden wegen
einer Deputation beider Häuser an denselben gepflogen. Alles ohne Resultat,
der Herr General, hieß es, habe keine Zeit, weder zum Empfang des Gesandten
noch der Deputation.

So kam die Dunkelheit, und jetzt wäre eine Entlassung von wenig Werth
gewesen, da sie aller Wahrscheinlichkeit mit einer Arretirung an andrer Stelle
geendigt haben würde. Man machte sich daher bereit, eine Nacht hier zuzu¬
bringen. Müller Nisums Knecht besorgte sür Geld und gute Worte einige
Schütten Stroh, wie er vorher jedem der Mitglieder des Oberhauses eine Tasse
warmen Kaffee besorgt hatte. Als Kopfkissen und Unterbett diente der Haufen
Kaff, und wenn die Kälte nicht einschlafen ließ, so gab es verschiedene Unter¬
haltung bis tief in die Nacht hinein. Buckle man unten zur Thür hinaus, so
bot sich ein prächtiges Schauspiel. Auf einer Koppel hinter dem Dorfe lagerten
die Schwadronen der Windischgrätz-Dragoner. Hoch loderten die rothen Wacht-


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[0348] „Es thut mir leid, meine Herren," hub der Lieutnant an, „es thut mir sehr leid. Aber ich muß Sie in die Mühle bringen. Es sind noch zwanzig draußen, und die haben hier nicht Raum." Wir packten unsre Siebensachen zusammen, folgten dem Offizier vor das Haus und sahen hier wirklich einen ganzen Trupp andere in Haft Genommene. Man führte uns aber dann nicht, wie wir gehofft, in die comfortable Müller¬ wohnung, sondern in die daneben liegende halbverfallene Wassermühle, wo die Oestreicher, die wir kurz vorher von unserem ersten Haftlvcale aus in langen Reihen hatten vorüberziehen sehen, uns wieder in Empfang nahmen, uns einen Posten mit geladenem Gewehr und aufgepflanzten Bajonnet vor die Thür stellten und uns im Uebrigen unsern Sternen überließen. Die Mühle war ein altes Gebäude voller Löcher und Nisse, General de Meza mit seiner Scheu vor Zugluft hätte sich bei ihrem bloßen Anblick auf den Tod erkältet. Auch die neuen Leidensgefährten waren Anfangs nicht nach unsern Geschmack, und so stiegen wir ursprünglichen Acht, während sie im Erdgeschoß neben dem Triebwerk der Mühle Platz nahmen, nach einer Art Bodenraum hinauf und etablirten daselbst im gewissen Sinne das Oberhaus der Versammlung. Auf dem Boden lag hier ein Haufen Kaff d. h. Hülsen von Buchweizengrütze, von den Dachsparren hingen wie lange weiße Bärte Spinneweben herab, in die sich Mehlstaub gesetzt hatte. Ein schmales Fensterchen ohne Rahmen und Scheibe» gewährte Aussicht auf den Hos des Mühlenguts und einen Theil des Dorfes Holm. Anfangs war das Unterhaus, d. h. die zwanzig unten einquartirten Herr¬ schaften, noch ziemlich hoffnungsvoll, und wiederholt versuchte man mit Hilfe vorübergehender Offiziere Unterhandlungen wegen sofortiger Befreiung anzu¬ knüpfen. Der Müller wurde als Gesandter an den General abgeschickt, um sür diesen Zweck zu wirken. Berathungen tumultarischer Art wurden wegen einer Deputation beider Häuser an denselben gepflogen. Alles ohne Resultat, der Herr General, hieß es, habe keine Zeit, weder zum Empfang des Gesandten noch der Deputation. So kam die Dunkelheit, und jetzt wäre eine Entlassung von wenig Werth gewesen, da sie aller Wahrscheinlichkeit mit einer Arretirung an andrer Stelle geendigt haben würde. Man machte sich daher bereit, eine Nacht hier zuzu¬ bringen. Müller Nisums Knecht besorgte sür Geld und gute Worte einige Schütten Stroh, wie er vorher jedem der Mitglieder des Oberhauses eine Tasse warmen Kaffee besorgt hatte. Als Kopfkissen und Unterbett diente der Haufen Kaff, und wenn die Kälte nicht einschlafen ließ, so gab es verschiedene Unter¬ haltung bis tief in die Nacht hinein. Buckle man unten zur Thür hinaus, so bot sich ein prächtiges Schauspiel. Auf einer Koppel hinter dem Dorfe lagerten die Schwadronen der Windischgrätz-Dragoner. Hoch loderten die rothen Wacht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/348>, abgerufen am 04.07.2024.