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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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umherschlichen, um Holz und gelegentlich einen Braten für ihr Wachtfeuer zu
erspähen. Einmal sah ich drei Burschen von der Infanterie ein ganzes Scheunen¬
thor bringen, andere kamen beladen mit Heckpfählen, Giebelbretern und Zaun¬
stecken, zweimal bemerkte ich, wie einer derselben ein Kaninchen einfing und
mit einem Schlag ins Genick tödtete. Den Bauer Tittjens, bei dem wir zu¬
erst einquartiert gewesen, hatten sie alles Holzwerk, was nicht niet- und nagel¬
fest, aus seinem Gehöft entführt, und auch von dem Geflügel des Dorfes soll
manches Stück verschwunden sein. Werfen wir deshalb nicht zu große Steine
auf die guten Jungen. Erstens steckt dem östreichischen Soldaten der Lands¬
knecht noch mehr oder minder in den Gliedern. Dann waren die Leute meist
aus Gegenden gebürtig, wo die Begriffe von Mein und Dein noch in der Ab¬
klärung begriffen sind und die Menschheit überhaupt noch mit der Selbstorien-
tirung beschäftigt ist. Ferner ist zu beachten, daß diese Ruthenen, Slowaken,
Kumanier u. s. w. jedenfalls der Ansicht waren, in Feindesland zu sein. End¬
lich und vor allem entschuldigte diese kleinen Plünderungen die starke Kälte,
die das Campiren im Freien^sehr unbequem machte. "Schaun's, Noth bricht halt
Eisen", würde unser artiger und sprichwörterreicher Lieutenant von gestern Mittag
sich über die Sache ausgedrückt haben.

Wiederholt waren Ordonnanzen und Adjutanten auf den Hof gesprengt und
hatten Meldungen für den General gebracht. Mehrmals hieß es, jeden Augen¬
blick sei das Alarmsignal zu erwarten. Die Dragoner im Lager draußen auf
der Koppel hielten ihre Pferde gesattelt. Auch in unserm Gehöft bereitete man
sich offenbar zum Aufbruch vor. Plötzlich -- es war gegen elf Uhr -- sprengte
ein preußischer Dragvncrofsizicr auf den Hof und rief den Oestreichern zu:
"Die Preußen srnd über die Schlei gegangen, die Dänen haben
das Dannewerk geräumt."

Das war eine doppelt frohe Botschaft. Sie bedeutete die Befreiung Schles¬
wigs und zugleich die unsere. Eine kleine halbe Stunde noch -- der General
war vermuthlich gerade über dem Truthcchn und so ohne Zeit für uns -- dann
wurde die Wache von unsrer Thür weggezogen, und nach weiteren zehn Minu¬
ten erschien der General, ein großer, wohlgenährter, gutmüthig aussehender
Herr auf dem Hose, um uns zu entlassen, was er vermöge einer kleinen Rede
that. "Es thut mir leid, meine Herren," begann er, daß ich S' hab' ein¬
sperren müssen. Allein 's ist halt so Kriegsgebrauch, und vielen andern auf der
ganzen Linie ists nicht besser ergangen."

Letzteres war vollkommen richtig; denn in Fleckebv hatte man ebenfalls
gegen dreißig Civilpersonen saisirt, und in Kösel sowie bis nach Kavpeln hin
waren gleiche Maßregeln verfügt und vollzogen worden.

Man fragte, was für Fortschritte die Oestreicher in den letzten Tagen ge¬
macht und erhielt Auskunft. Es wären verschiedene Vorwerke der dänischen


umherschlichen, um Holz und gelegentlich einen Braten für ihr Wachtfeuer zu
erspähen. Einmal sah ich drei Burschen von der Infanterie ein ganzes Scheunen¬
thor bringen, andere kamen beladen mit Heckpfählen, Giebelbretern und Zaun¬
stecken, zweimal bemerkte ich, wie einer derselben ein Kaninchen einfing und
mit einem Schlag ins Genick tödtete. Den Bauer Tittjens, bei dem wir zu¬
erst einquartiert gewesen, hatten sie alles Holzwerk, was nicht niet- und nagel¬
fest, aus seinem Gehöft entführt, und auch von dem Geflügel des Dorfes soll
manches Stück verschwunden sein. Werfen wir deshalb nicht zu große Steine
auf die guten Jungen. Erstens steckt dem östreichischen Soldaten der Lands¬
knecht noch mehr oder minder in den Gliedern. Dann waren die Leute meist
aus Gegenden gebürtig, wo die Begriffe von Mein und Dein noch in der Ab¬
klärung begriffen sind und die Menschheit überhaupt noch mit der Selbstorien-
tirung beschäftigt ist. Ferner ist zu beachten, daß diese Ruthenen, Slowaken,
Kumanier u. s. w. jedenfalls der Ansicht waren, in Feindesland zu sein. End¬
lich und vor allem entschuldigte diese kleinen Plünderungen die starke Kälte,
die das Campiren im Freien^sehr unbequem machte. „Schaun's, Noth bricht halt
Eisen", würde unser artiger und sprichwörterreicher Lieutenant von gestern Mittag
sich über die Sache ausgedrückt haben.

Wiederholt waren Ordonnanzen und Adjutanten auf den Hof gesprengt und
hatten Meldungen für den General gebracht. Mehrmals hieß es, jeden Augen¬
blick sei das Alarmsignal zu erwarten. Die Dragoner im Lager draußen auf
der Koppel hielten ihre Pferde gesattelt. Auch in unserm Gehöft bereitete man
sich offenbar zum Aufbruch vor. Plötzlich — es war gegen elf Uhr — sprengte
ein preußischer Dragvncrofsizicr auf den Hof und rief den Oestreichern zu:
„Die Preußen srnd über die Schlei gegangen, die Dänen haben
das Dannewerk geräumt."

Das war eine doppelt frohe Botschaft. Sie bedeutete die Befreiung Schles¬
wigs und zugleich die unsere. Eine kleine halbe Stunde noch — der General
war vermuthlich gerade über dem Truthcchn und so ohne Zeit für uns — dann
wurde die Wache von unsrer Thür weggezogen, und nach weiteren zehn Minu¬
ten erschien der General, ein großer, wohlgenährter, gutmüthig aussehender
Herr auf dem Hose, um uns zu entlassen, was er vermöge einer kleinen Rede
that. „Es thut mir leid, meine Herren," begann er, daß ich S' hab' ein¬
sperren müssen. Allein 's ist halt so Kriegsgebrauch, und vielen andern auf der
ganzen Linie ists nicht besser ergangen."

Letzteres war vollkommen richtig; denn in Fleckebv hatte man ebenfalls
gegen dreißig Civilpersonen saisirt, und in Kösel sowie bis nach Kavpeln hin
waren gleiche Maßregeln verfügt und vollzogen worden.

Man fragte, was für Fortschritte die Oestreicher in den letzten Tagen ge¬
macht und erhielt Auskunft. Es wären verschiedene Vorwerke der dänischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/350>, abgerufen am 29.06.2024.