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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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mit Ruthenhieben in aller Mund gekommen, war nach dem Einrücken der Preu¬
ßen von der Bürgerschaft aufgefordert worden, Stadt und Amt zu räumen,
und hatte nach vergeblichem Sträuben gehorchen müssen. Auf der Fahrt nach
Hamburg war ihm, da Telegramme ihm vorauseilten, an einigen Orten ein
Empfang bereitet worden, der ziemlich warm, aber durchaus nicht schmeichelhaft
niav, und der auf einer der Eisenbahnstationen darin bestand, daß dreißig bis
vierzig Knaben ihn erwarteten und ihm Ruthen ins Coupe warfen. Schlim¬
meres war glücklicherweise verhütet worden. Das Beste an der Sache aber
schien uns allen zu sein, daß der preußische Commandeur Major v. Zimmer¬
mann die Vertreibung des dänischen Beamten nicht gehindert hatte. Als Leis-
ner ihn um Schutz ersucht, hatte er erwidert, er sei Militär und kümmere sich
nicht um Communalangelegenheiten. Dies war die Wahrheit und, wie ich meine,
gut genug. Frau Fama aber hatte es doch nicht völlig gut genug gefunden.
Es mußte pathetischer, grandioser klingen, und so wußte denn auch ein anderer
Erzähler der Affaire, der Preuße habe dem Polizeimeister auf seine Bitte um
Schutz entgegnet: "Der beste Schirm des Mannes ist die Achtung seiner Mit¬
bürger." Mich wunderte, daß der tapfere Major nicht lieber gleich in tra¬
gischen Versmaß geantwortet haben sollte.

Unter diesen und ähnlichen Gesprächen erreichten wir Kiel-,, wo ich im
Eisenbahnhotel abstieg, und von wo an die Blätter meines Tagebuchs weiter
erzählen mögen.

-- Das gute alte Kiel ist nicht wiederzuerkennen. Die fried¬
lichen Straßen von 1833 schnauben Krieg, alles starrt von Waffen. Vor dem
Hotel und die halbe Holstenstraße hinauf ein Getümmel von requirirtcn Wagen,
welche der Armee Vorräthe nachschaffen sollen, von Ordonnanzen und Staffetten
von vorbeimarschirenden Pickelhauben der verschiedensten Regimenter. Commando-
rufe, Hornsignale, die Trompeten der Reiterei lassen sich hören. Dazwischen
Säbelgeklirr auf dem Pflaster und gelegentlich das Hufgetrappel einer Schwadron
Kürassiere. Das gesammte Militär trägt um den rechten Arm eine weiße Binde,
der Messingschmuck der Helme ist in diesem Feldzug nicht überschwärzt, was
nicht recht praktisch ist, aber um so ritterlicher aussieht, namentlich im Vergleich
mit den Tschackos der Kameraden aus Oestreich, die durch keinerlei glänzende
Auszeichnung dem feindlichen Schützen ein Ziel bieten. Im Uebrigen sind die
Preußen vortrefflich ausgerüstet, die Bekleidung ist geschmackvoll, solid und der
Jahreszeit angepaßt, das Fußzeug derb und tüchtig. Auch die Pferde der
Cavallerie und des Fuhrwesens verdienen Lob; doch ist man freilich erst am
Anfang des Krieges. Im Ganzen machen die Truppen König Wilhelms mit
dem, was ich bisher von den Oestreichern sah, verglichen, mehr den Eindruck
des Gediegnen als des leicht Beweglichen. Ihre Mannschaften sind beinahe
durchweg kräftiger gebaut, aber auch stärker belastet wie die der Alliirten aus


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mit Ruthenhieben in aller Mund gekommen, war nach dem Einrücken der Preu¬
ßen von der Bürgerschaft aufgefordert worden, Stadt und Amt zu räumen,
und hatte nach vergeblichem Sträuben gehorchen müssen. Auf der Fahrt nach
Hamburg war ihm, da Telegramme ihm vorauseilten, an einigen Orten ein
Empfang bereitet worden, der ziemlich warm, aber durchaus nicht schmeichelhaft
niav, und der auf einer der Eisenbahnstationen darin bestand, daß dreißig bis
vierzig Knaben ihn erwarteten und ihm Ruthen ins Coupe warfen. Schlim¬
meres war glücklicherweise verhütet worden. Das Beste an der Sache aber
schien uns allen zu sein, daß der preußische Commandeur Major v. Zimmer¬
mann die Vertreibung des dänischen Beamten nicht gehindert hatte. Als Leis-
ner ihn um Schutz ersucht, hatte er erwidert, er sei Militär und kümmere sich
nicht um Communalangelegenheiten. Dies war die Wahrheit und, wie ich meine,
gut genug. Frau Fama aber hatte es doch nicht völlig gut genug gefunden.
Es mußte pathetischer, grandioser klingen, und so wußte denn auch ein anderer
Erzähler der Affaire, der Preuße habe dem Polizeimeister auf seine Bitte um
Schutz entgegnet: „Der beste Schirm des Mannes ist die Achtung seiner Mit¬
bürger." Mich wunderte, daß der tapfere Major nicht lieber gleich in tra¬
gischen Versmaß geantwortet haben sollte.

Unter diesen und ähnlichen Gesprächen erreichten wir Kiel-,, wo ich im
Eisenbahnhotel abstieg, und von wo an die Blätter meines Tagebuchs weiter
erzählen mögen.

— Das gute alte Kiel ist nicht wiederzuerkennen. Die fried¬
lichen Straßen von 1833 schnauben Krieg, alles starrt von Waffen. Vor dem
Hotel und die halbe Holstenstraße hinauf ein Getümmel von requirirtcn Wagen,
welche der Armee Vorräthe nachschaffen sollen, von Ordonnanzen und Staffetten
von vorbeimarschirenden Pickelhauben der verschiedensten Regimenter. Commando-
rufe, Hornsignale, die Trompeten der Reiterei lassen sich hören. Dazwischen
Säbelgeklirr auf dem Pflaster und gelegentlich das Hufgetrappel einer Schwadron
Kürassiere. Das gesammte Militär trägt um den rechten Arm eine weiße Binde,
der Messingschmuck der Helme ist in diesem Feldzug nicht überschwärzt, was
nicht recht praktisch ist, aber um so ritterlicher aussieht, namentlich im Vergleich
mit den Tschackos der Kameraden aus Oestreich, die durch keinerlei glänzende
Auszeichnung dem feindlichen Schützen ein Ziel bieten. Im Uebrigen sind die
Preußen vortrefflich ausgerüstet, die Bekleidung ist geschmackvoll, solid und der
Jahreszeit angepaßt, das Fußzeug derb und tüchtig. Auch die Pferde der
Cavallerie und des Fuhrwesens verdienen Lob; doch ist man freilich erst am
Anfang des Krieges. Im Ganzen machen die Truppen König Wilhelms mit
dem, was ich bisher von den Oestreichern sah, verglichen, mehr den Eindruck
des Gediegnen als des leicht Beweglichen. Ihre Mannschaften sind beinahe
durchweg kräftiger gebaut, aber auch stärker belastet wie die der Alliirten aus


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[0337] mit Ruthenhieben in aller Mund gekommen, war nach dem Einrücken der Preu¬ ßen von der Bürgerschaft aufgefordert worden, Stadt und Amt zu räumen, und hatte nach vergeblichem Sträuben gehorchen müssen. Auf der Fahrt nach Hamburg war ihm, da Telegramme ihm vorauseilten, an einigen Orten ein Empfang bereitet worden, der ziemlich warm, aber durchaus nicht schmeichelhaft niav, und der auf einer der Eisenbahnstationen darin bestand, daß dreißig bis vierzig Knaben ihn erwarteten und ihm Ruthen ins Coupe warfen. Schlim¬ meres war glücklicherweise verhütet worden. Das Beste an der Sache aber schien uns allen zu sein, daß der preußische Commandeur Major v. Zimmer¬ mann die Vertreibung des dänischen Beamten nicht gehindert hatte. Als Leis- ner ihn um Schutz ersucht, hatte er erwidert, er sei Militär und kümmere sich nicht um Communalangelegenheiten. Dies war die Wahrheit und, wie ich meine, gut genug. Frau Fama aber hatte es doch nicht völlig gut genug gefunden. Es mußte pathetischer, grandioser klingen, und so wußte denn auch ein anderer Erzähler der Affaire, der Preuße habe dem Polizeimeister auf seine Bitte um Schutz entgegnet: „Der beste Schirm des Mannes ist die Achtung seiner Mit¬ bürger." Mich wunderte, daß der tapfere Major nicht lieber gleich in tra¬ gischen Versmaß geantwortet haben sollte. Unter diesen und ähnlichen Gesprächen erreichten wir Kiel-,, wo ich im Eisenbahnhotel abstieg, und von wo an die Blätter meines Tagebuchs weiter erzählen mögen. — Das gute alte Kiel ist nicht wiederzuerkennen. Die fried¬ lichen Straßen von 1833 schnauben Krieg, alles starrt von Waffen. Vor dem Hotel und die halbe Holstenstraße hinauf ein Getümmel von requirirtcn Wagen, welche der Armee Vorräthe nachschaffen sollen, von Ordonnanzen und Staffetten von vorbeimarschirenden Pickelhauben der verschiedensten Regimenter. Commando- rufe, Hornsignale, die Trompeten der Reiterei lassen sich hören. Dazwischen Säbelgeklirr auf dem Pflaster und gelegentlich das Hufgetrappel einer Schwadron Kürassiere. Das gesammte Militär trägt um den rechten Arm eine weiße Binde, der Messingschmuck der Helme ist in diesem Feldzug nicht überschwärzt, was nicht recht praktisch ist, aber um so ritterlicher aussieht, namentlich im Vergleich mit den Tschackos der Kameraden aus Oestreich, die durch keinerlei glänzende Auszeichnung dem feindlichen Schützen ein Ziel bieten. Im Uebrigen sind die Preußen vortrefflich ausgerüstet, die Bekleidung ist geschmackvoll, solid und der Jahreszeit angepaßt, das Fußzeug derb und tüchtig. Auch die Pferde der Cavallerie und des Fuhrwesens verdienen Lob; doch ist man freilich erst am Anfang des Krieges. Im Ganzen machen die Truppen König Wilhelms mit dem, was ich bisher von den Oestreichern sah, verglichen, mehr den Eindruck des Gediegnen als des leicht Beweglichen. Ihre Mannschaften sind beinahe durchweg kräftiger gebaut, aber auch stärker belastet wie die der Alliirten aus 42*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/337>, abgerufen am 24.07.2024.