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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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die Treene schlagen gewollt. Gegen meine Erwartung erklärte sich Groß-Kräh-
winkel auch mit dieser gelinden Strafe der Preußen einverstanden.

Der Freund Preußens beklagte die Gefallnen. Dennoch war die Nachricht
auch ihm eine frohe Botschaft. Ein schwerer Stein fiel ihm vom Herzen. Es
war Blut geflossen -- es war Ernst geworden.

Nachdem ich in Altona die Ehre gehabt, in einem Hotel mit dem Befehls¬
haber der hannöverschen Executionstruppen die Nacht zuzubringen, sah ich am
Morgen, aus dem Fenster blickend, zum ersten Mal in >der Nähe und bei
Sonnenlicht das erwachte und befreite Schleswig-Holstein und daneben das
Uniformgewimmel des Kriegs. Unmittelbar vor mir der Bahnhof mit deut¬
schen und Schleswig-holsteinischen Tricvloren. Davor auf dem Platze hannö-
versche Jäger und Reiter, preußische Helme, Nachzügler der Garden, die Tags
vorher durchpassirt, östreichische Offiziere und Gemeine der verschiedensten Waffen¬
gattungen, Husaren, Dragoner, Infanterie, Artillerie, Trainsoldaten, Krethi
und Plethi, allerlei Volk von allerlei Zungen und Gesichtstypen.

Früh sieben Uhr ging ich mit dem Zuge nach Kiel. Alle Passagiere des
gedrängt vollen Coup6s trugen die blaurothweiße Kokarde, viele das kleine
Eisenkreuz, welches den ehemaligen Soldaten der Schleswig-holsteinischen Armee
bezeichnet, alle Ortschaften, an denen uns die Locomotive vorüberführte, prang¬
ten im Schmuck der deutschen und der Landesfarben. Ueberall auf den Bahn¬
höfen Detachements von Bundestruppen, blinkende Bajonnete und Säbelgerassel.
Bei Elmshvrn die ersten dänischen Schanzen, jetzt natürlich verlassen und theil¬
weise zerstört. Wieder saß das mythenbildende Princip mit im Wagen, unsicht¬
bar zwar, aber um so lauter. Bei Pinneberg hatte es das Gerücht gesponnen,
daß Herzog Friedrich diesen Morgen nach Altona kommen werde, um über
zweitausend Mann von der neuen Schleswig-holsteinischen Armee Revue zu hal¬
ten. Bei Neumünster schickte es uns den Schaffner an den Wagenschlag, um
uns mit der wohlverbürgter, soeben warm mit einem Zug von Kiel uns ent¬
gegengekommenen Kunde zu überraschen: "Meine Herren, der Herzog ist an¬
erkannt -- er hat bereits eine preußische Ehrenwache!" Große Freude aus allen
Gesichtern, lautes Hurrah, selbst die öde rostbraune Haide draußen vor dem
Fenster schien einen Augenblick zu leuchten und zu lächeln. Der nächste Moment
freilich führte aus der Erfüllung in die Hoffnung Zurück. Die Nachricht war
zu gut gewesen, um kritischen Gemüthern lange gefallen zu können.

Nicht so wichtig wie aus den ersten Blick diese prächtige Seifenblase ge¬
schienen, war eine Meldung, die bald nachher durch Neueinsteigende zu uns
gelangte. Doch hatte dieselbe dafür den Vorzug, daß sie keine Seifenblase
war. Der dänische Vogt in Eckernförde, Polizeimeister Leisner, von Schleswig
her schon berüchtigt, dann durch allerhand Willküracte in Eckernförde und
namentlich durch die grausame öffentliche Züchtigung eines zwölfjährigen Knaben


die Treene schlagen gewollt. Gegen meine Erwartung erklärte sich Groß-Kräh-
winkel auch mit dieser gelinden Strafe der Preußen einverstanden.

Der Freund Preußens beklagte die Gefallnen. Dennoch war die Nachricht
auch ihm eine frohe Botschaft. Ein schwerer Stein fiel ihm vom Herzen. Es
war Blut geflossen — es war Ernst geworden.

Nachdem ich in Altona die Ehre gehabt, in einem Hotel mit dem Befehls¬
haber der hannöverschen Executionstruppen die Nacht zuzubringen, sah ich am
Morgen, aus dem Fenster blickend, zum ersten Mal in >der Nähe und bei
Sonnenlicht das erwachte und befreite Schleswig-Holstein und daneben das
Uniformgewimmel des Kriegs. Unmittelbar vor mir der Bahnhof mit deut¬
schen und Schleswig-holsteinischen Tricvloren. Davor auf dem Platze hannö-
versche Jäger und Reiter, preußische Helme, Nachzügler der Garden, die Tags
vorher durchpassirt, östreichische Offiziere und Gemeine der verschiedensten Waffen¬
gattungen, Husaren, Dragoner, Infanterie, Artillerie, Trainsoldaten, Krethi
und Plethi, allerlei Volk von allerlei Zungen und Gesichtstypen.

Früh sieben Uhr ging ich mit dem Zuge nach Kiel. Alle Passagiere des
gedrängt vollen Coup6s trugen die blaurothweiße Kokarde, viele das kleine
Eisenkreuz, welches den ehemaligen Soldaten der Schleswig-holsteinischen Armee
bezeichnet, alle Ortschaften, an denen uns die Locomotive vorüberführte, prang¬
ten im Schmuck der deutschen und der Landesfarben. Ueberall auf den Bahn¬
höfen Detachements von Bundestruppen, blinkende Bajonnete und Säbelgerassel.
Bei Elmshvrn die ersten dänischen Schanzen, jetzt natürlich verlassen und theil¬
weise zerstört. Wieder saß das mythenbildende Princip mit im Wagen, unsicht¬
bar zwar, aber um so lauter. Bei Pinneberg hatte es das Gerücht gesponnen,
daß Herzog Friedrich diesen Morgen nach Altona kommen werde, um über
zweitausend Mann von der neuen Schleswig-holsteinischen Armee Revue zu hal¬
ten. Bei Neumünster schickte es uns den Schaffner an den Wagenschlag, um
uns mit der wohlverbürgter, soeben warm mit einem Zug von Kiel uns ent¬
gegengekommenen Kunde zu überraschen: „Meine Herren, der Herzog ist an¬
erkannt — er hat bereits eine preußische Ehrenwache!" Große Freude aus allen
Gesichtern, lautes Hurrah, selbst die öde rostbraune Haide draußen vor dem
Fenster schien einen Augenblick zu leuchten und zu lächeln. Der nächste Moment
freilich führte aus der Erfüllung in die Hoffnung Zurück. Die Nachricht war
zu gut gewesen, um kritischen Gemüthern lange gefallen zu können.

Nicht so wichtig wie aus den ersten Blick diese prächtige Seifenblase ge¬
schienen, war eine Meldung, die bald nachher durch Neueinsteigende zu uns
gelangte. Doch hatte dieselbe dafür den Vorzug, daß sie keine Seifenblase
war. Der dänische Vogt in Eckernförde, Polizeimeister Leisner, von Schleswig
her schon berüchtigt, dann durch allerhand Willküracte in Eckernförde und
namentlich durch die grausame öffentliche Züchtigung eines zwölfjährigen Knaben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/336>, abgerufen am 24.07.2024.