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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Hat die Kriegswoche allgemein die Wirkung gehabt, welche nach ermüdenden
unfruchtbaren Debatten die luftreinigende That hervorzubringen pflegt, so kehren
jetzt, nachdem die Hauptsache der militärischen Action vorüber ist, der Zweifel,
das Mißtrauen, die Anklage gegen die auf unredlichen Voraussetzungen beruhende
Action der Großmächte in verstärktem Maße wieder, die Frage: was nun nach
erfolgter Besetzung Schleswigs, wozu die blutigen Opfer? lähmt die Freude
an dem Erfolg der deutschen Waffen. Dennoch hat der Krieg auch in die
Wagschale einer deutschen Lösung des Streits gewichtige Stücke gelegt: die
Opfer der Gefallenen zumal, und die Ehre der verbündeten Heere, die That¬
sache der Befreiung der Herzogthümer, die Constatirung ihres cinmüthigen
Willens, von Dänemark getrennt zu werden. Werden diese Momente im Stande
sein, die in anderem Sinne begonnene Action schließlich zu ihrem Dienste zu
zwingen und die Schale des Rechts sinken zu machen gegen kalte deutschfeind¬
liche Berechnung in Wien, gegen abenteuerliche Projecte in Berlin? wohin wird
das Zünglein sich neigen, und soll das deutsche Volk dazu verurtheilt sein, dem
Spiel der Wage als ruhiger Beobachter zuzusehen?

Wiederum sind die Blicke auf die Regierungen der Mittel- und Kleinstaaten
gewandt, noch einmal tritt an sie eine Frage heran, deren Beantwortung
schwer in das Gedächtniß ihrer Völker sich graben wird. Freilich die Erwar¬
tungen sind bescheidener geworden, die überschwengliche Phraseologie von dem
deutschen Beruf der Mittel- und Kleinstaaten ist seit dem 14. Januar verstummt.
Hat man früher übertriebene Anforderungen an sie gestellt, so ist heute das
Mißtrauen erklärlich, ob sie auch nur zu dem.sich aufraffen können, was hiezu
thun wirklich im Stande und nach eignen Erklärungen verpflichtet sind. Zwischen
heute und damals liegen traurige Erfahrungen, die freilich nur den überraschen
konnten, der Wollen und Können der kleineren Staaten überschätzt hatte.

Die lebhafte Agitation in den kleinern Staaten hatte die große Bedeutung,
einmal die Mehrzahl der Regierungen in der Rechtsfrage günstig zu stimmen
und dann die Bewegung im Volke selbst warm zu halten und wo möglich so
zu steigern, daß sie über die Grenzen des preußischen Staats hinübergriff und
hier stark genug wurde, einen Umschwung des Systems herbeizuführen. War
sie letzteres nicht im Stande, so konnte bei dem Widerspruch der vereinigten bei¬
den Großmächte noch weniger die factische Durchführung des Rechts der Herzog¬
thümer in der Hand der kleinern Staaten liegen. Wenn man gleichwohl sich


Grenzboten I. 1864. 41

Hat die Kriegswoche allgemein die Wirkung gehabt, welche nach ermüdenden
unfruchtbaren Debatten die luftreinigende That hervorzubringen pflegt, so kehren
jetzt, nachdem die Hauptsache der militärischen Action vorüber ist, der Zweifel,
das Mißtrauen, die Anklage gegen die auf unredlichen Voraussetzungen beruhende
Action der Großmächte in verstärktem Maße wieder, die Frage: was nun nach
erfolgter Besetzung Schleswigs, wozu die blutigen Opfer? lähmt die Freude
an dem Erfolg der deutschen Waffen. Dennoch hat der Krieg auch in die
Wagschale einer deutschen Lösung des Streits gewichtige Stücke gelegt: die
Opfer der Gefallenen zumal, und die Ehre der verbündeten Heere, die That¬
sache der Befreiung der Herzogthümer, die Constatirung ihres cinmüthigen
Willens, von Dänemark getrennt zu werden. Werden diese Momente im Stande
sein, die in anderem Sinne begonnene Action schließlich zu ihrem Dienste zu
zwingen und die Schale des Rechts sinken zu machen gegen kalte deutschfeind¬
liche Berechnung in Wien, gegen abenteuerliche Projecte in Berlin? wohin wird
das Zünglein sich neigen, und soll das deutsche Volk dazu verurtheilt sein, dem
Spiel der Wage als ruhiger Beobachter zuzusehen?

Wiederum sind die Blicke auf die Regierungen der Mittel- und Kleinstaaten
gewandt, noch einmal tritt an sie eine Frage heran, deren Beantwortung
schwer in das Gedächtniß ihrer Völker sich graben wird. Freilich die Erwar¬
tungen sind bescheidener geworden, die überschwengliche Phraseologie von dem
deutschen Beruf der Mittel- und Kleinstaaten ist seit dem 14. Januar verstummt.
Hat man früher übertriebene Anforderungen an sie gestellt, so ist heute das
Mißtrauen erklärlich, ob sie auch nur zu dem.sich aufraffen können, was hiezu
thun wirklich im Stande und nach eignen Erklärungen verpflichtet sind. Zwischen
heute und damals liegen traurige Erfahrungen, die freilich nur den überraschen
konnten, der Wollen und Können der kleineren Staaten überschätzt hatte.

Die lebhafte Agitation in den kleinern Staaten hatte die große Bedeutung,
einmal die Mehrzahl der Regierungen in der Rechtsfrage günstig zu stimmen
und dann die Bewegung im Volke selbst warm zu halten und wo möglich so
zu steigern, daß sie über die Grenzen des preußischen Staats hinübergriff und
hier stark genug wurde, einen Umschwung des Systems herbeizuführen. War
sie letzteres nicht im Stande, so konnte bei dem Widerspruch der vereinigten bei¬
den Großmächte noch weniger die factische Durchführung des Rechts der Herzog¬
thümer in der Hand der kleinern Staaten liegen. Wenn man gleichwohl sich


Grenzboten I. 1864. 41
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[0327] Hat die Kriegswoche allgemein die Wirkung gehabt, welche nach ermüdenden unfruchtbaren Debatten die luftreinigende That hervorzubringen pflegt, so kehren jetzt, nachdem die Hauptsache der militärischen Action vorüber ist, der Zweifel, das Mißtrauen, die Anklage gegen die auf unredlichen Voraussetzungen beruhende Action der Großmächte in verstärktem Maße wieder, die Frage: was nun nach erfolgter Besetzung Schleswigs, wozu die blutigen Opfer? lähmt die Freude an dem Erfolg der deutschen Waffen. Dennoch hat der Krieg auch in die Wagschale einer deutschen Lösung des Streits gewichtige Stücke gelegt: die Opfer der Gefallenen zumal, und die Ehre der verbündeten Heere, die That¬ sache der Befreiung der Herzogthümer, die Constatirung ihres cinmüthigen Willens, von Dänemark getrennt zu werden. Werden diese Momente im Stande sein, die in anderem Sinne begonnene Action schließlich zu ihrem Dienste zu zwingen und die Schale des Rechts sinken zu machen gegen kalte deutschfeind¬ liche Berechnung in Wien, gegen abenteuerliche Projecte in Berlin? wohin wird das Zünglein sich neigen, und soll das deutsche Volk dazu verurtheilt sein, dem Spiel der Wage als ruhiger Beobachter zuzusehen? Wiederum sind die Blicke auf die Regierungen der Mittel- und Kleinstaaten gewandt, noch einmal tritt an sie eine Frage heran, deren Beantwortung schwer in das Gedächtniß ihrer Völker sich graben wird. Freilich die Erwar¬ tungen sind bescheidener geworden, die überschwengliche Phraseologie von dem deutschen Beruf der Mittel- und Kleinstaaten ist seit dem 14. Januar verstummt. Hat man früher übertriebene Anforderungen an sie gestellt, so ist heute das Mißtrauen erklärlich, ob sie auch nur zu dem.sich aufraffen können, was hiezu thun wirklich im Stande und nach eignen Erklärungen verpflichtet sind. Zwischen heute und damals liegen traurige Erfahrungen, die freilich nur den überraschen konnten, der Wollen und Können der kleineren Staaten überschätzt hatte. Die lebhafte Agitation in den kleinern Staaten hatte die große Bedeutung, einmal die Mehrzahl der Regierungen in der Rechtsfrage günstig zu stimmen und dann die Bewegung im Volke selbst warm zu halten und wo möglich so zu steigern, daß sie über die Grenzen des preußischen Staats hinübergriff und hier stark genug wurde, einen Umschwung des Systems herbeizuführen. War sie letzteres nicht im Stande, so konnte bei dem Widerspruch der vereinigten bei¬ den Großmächte noch weniger die factische Durchführung des Rechts der Herzog¬ thümer in der Hand der kleinern Staaten liegen. Wenn man gleichwohl sich Grenzboten I. 1864. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/327>, abgerufen am 04.07.2024.