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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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mit Projecten in dieser Richtung trug, so schwächte man damit die Kräfte der
Agitation, indem man sie eine Zeit lang auf ein falsches Ziel und von derjenigen
Aufgabe ablenkte, der sie wirklich gewachsen war. Bis heute sind die Regie¬
rungen noch nicht zu einer Entscheidung am Bunde vermocht worden. Schwerlich
sind die Bevölkerungen oder vielmehr die Leiter der Bewegung von aller Schuld
hierfür freizusprechen.

Nach außen mochten Wohl die Versammlungen, die Kundgebungen aller
Art, zu denen sich die verschiedensten Parteien vereinigten, die "unmuthigen
Kammerbeschlüsse, die abgenöthigten Zugeständnisse der Regierungen an den natio¬
nalen Willen etwas Jmponirendes haben. Es war hier, konnte man sagen,
ein gutes Drittel von Deutschland einig in seinem Wollen, erfüllt von patrio¬
tischem Thatendrang, es brauchte blos noch den Entschluß zum Handeln und
auch dieser schien nicht zu fehlen. Betrachtete man sich aber jene Vorgänge in
der Nähe, so mußten sie doch viel von ihrem Schimmer verlieren. Vor allem
muß gesagt werden, daß -- hier in Schwaben -- die Bewegung ihrem Cha¬
rakter nach eine wesentlich conservative war. Einigkeit der Parteien war von
Anfang an das Losungswort, sie sollte um jeden Preis festgehalten werden.
Natürlich gingen aber die conservativen Schattirungen nur so weit als ihnen
räthlich schien, und sie wurden somit ebenso ein hemmendes als ein förderndes
Element -- fördernd, sofern allerdings jene einmüthigen Beschlüsse zu Stande
kamen, welche auf die Regierung von einigem Gewicht waren, hemmend, sofern
es ihr Interesse war, die Begeisterung stets in gewissen Schranken zu halten
und die Regierung wohl zu drängen, aber es nicht mit ihr zu verderben.

Aber auch jene Einmüthigkeit war nicht immer von der Art, wie sie sich
nach außen in den wiederholten Kammerbeschlüssen darstellte. Kamen bei den
Voden keine dissentirenden Stimmen zu Tage, so fehlte es in den Debatten
nicht an solchen, von denen abgesehen, welche nur schweigend zu Votiren vor¬
zogen. In der Sitzung vom 19. Januar, wo die Mobilmachung der würtem-
bergischen Armee beantragt wurde, stimmten die Einen ausdrücklich dafür, weil
die Spitze des Antrags nicht gegen Preußen und Oestreich gekehrt sei, die
Andern ausdrücklich deshalb, weil nach ihrer Ansicht der Antrag eben diese Spitze
hatte. Und wenn sonst alle Redner das Verfahren der beiden Großmächte aufs
rücksichtsloseste angriffen, so machte doch sich eine Stimme geltend, welche dasselbe
zu vertheidigen suchte, während wieder ein Anderer die Mobilmachung als eine
nutzlose Demonstration erklärte. Gleichwohl wurde jener Antrag einstimmig an¬
genommen! Eine solche Einstimmigkeit konnte den Nachdruck der Beschlüsse nur
schwächen. Und wie im Ständesaal so war es außerhalb desselben.. Es war
viel guter Wille vorhanden, zumal auf dem . Lande. Aber es fehlte der Be¬
wegung durchaus jene entschlossene Sicherheit, das Selbstvertrauen, das nach¬
haltige Feuer, welches allein auch der Negierung -- vorausgesetzt sie hätte den


mit Projecten in dieser Richtung trug, so schwächte man damit die Kräfte der
Agitation, indem man sie eine Zeit lang auf ein falsches Ziel und von derjenigen
Aufgabe ablenkte, der sie wirklich gewachsen war. Bis heute sind die Regie¬
rungen noch nicht zu einer Entscheidung am Bunde vermocht worden. Schwerlich
sind die Bevölkerungen oder vielmehr die Leiter der Bewegung von aller Schuld
hierfür freizusprechen.

Nach außen mochten Wohl die Versammlungen, die Kundgebungen aller
Art, zu denen sich die verschiedensten Parteien vereinigten, die «unmuthigen
Kammerbeschlüsse, die abgenöthigten Zugeständnisse der Regierungen an den natio¬
nalen Willen etwas Jmponirendes haben. Es war hier, konnte man sagen,
ein gutes Drittel von Deutschland einig in seinem Wollen, erfüllt von patrio¬
tischem Thatendrang, es brauchte blos noch den Entschluß zum Handeln und
auch dieser schien nicht zu fehlen. Betrachtete man sich aber jene Vorgänge in
der Nähe, so mußten sie doch viel von ihrem Schimmer verlieren. Vor allem
muß gesagt werden, daß — hier in Schwaben — die Bewegung ihrem Cha¬
rakter nach eine wesentlich conservative war. Einigkeit der Parteien war von
Anfang an das Losungswort, sie sollte um jeden Preis festgehalten werden.
Natürlich gingen aber die conservativen Schattirungen nur so weit als ihnen
räthlich schien, und sie wurden somit ebenso ein hemmendes als ein förderndes
Element — fördernd, sofern allerdings jene einmüthigen Beschlüsse zu Stande
kamen, welche auf die Regierung von einigem Gewicht waren, hemmend, sofern
es ihr Interesse war, die Begeisterung stets in gewissen Schranken zu halten
und die Regierung wohl zu drängen, aber es nicht mit ihr zu verderben.

Aber auch jene Einmüthigkeit war nicht immer von der Art, wie sie sich
nach außen in den wiederholten Kammerbeschlüssen darstellte. Kamen bei den
Voden keine dissentirenden Stimmen zu Tage, so fehlte es in den Debatten
nicht an solchen, von denen abgesehen, welche nur schweigend zu Votiren vor¬
zogen. In der Sitzung vom 19. Januar, wo die Mobilmachung der würtem-
bergischen Armee beantragt wurde, stimmten die Einen ausdrücklich dafür, weil
die Spitze des Antrags nicht gegen Preußen und Oestreich gekehrt sei, die
Andern ausdrücklich deshalb, weil nach ihrer Ansicht der Antrag eben diese Spitze
hatte. Und wenn sonst alle Redner das Verfahren der beiden Großmächte aufs
rücksichtsloseste angriffen, so machte doch sich eine Stimme geltend, welche dasselbe
zu vertheidigen suchte, während wieder ein Anderer die Mobilmachung als eine
nutzlose Demonstration erklärte. Gleichwohl wurde jener Antrag einstimmig an¬
genommen! Eine solche Einstimmigkeit konnte den Nachdruck der Beschlüsse nur
schwächen. Und wie im Ständesaal so war es außerhalb desselben.. Es war
viel guter Wille vorhanden, zumal auf dem . Lande. Aber es fehlte der Be¬
wegung durchaus jene entschlossene Sicherheit, das Selbstvertrauen, das nach¬
haltige Feuer, welches allein auch der Negierung — vorausgesetzt sie hätte den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/328>, abgerufen am 04.07.2024.