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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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kosten durch den Notenstich im Verhältniß zu der durchschnittlichen Absatzfähig¬
keit theurer sind als beim Bücherdruck, hängt doch auch mit diesen Verhältnissen
zusammen. Denn die Beschaffenheit des Publicums bringt es mit sich, daß
große Auflagen im Musik'alienverlag eine seltene Ausnahme bilden und daß
die Verlagsartikel,, welche gänzlich liegen bleiben oder in sehr wenigen Exem¬
plaren verbreitet werden, im Verhältniß zu denen, welche gehen, doch wohl
noch zahlreicher sind, als im Buchhandel. Es muß daher ein guter Verlags¬
artikel die Verluste sehr vieler nicht eingeschlagener decken, und daß die händ¬
lerisch guten Werke nicht immer die künstlerisch guten sind, bedarf keiner Er¬
wähnung. Ein Nachdrucker kann demnach leicht billige Preise machen, da er
kein Honorar zahlt und nur das druckt, was erfahrungemäßig viel gekauft wird,
ohne daß er diese Erfahrung durch Unternehmungen, die den Herstellungsauf¬
wand nicht decken, zu erkaufen nöthig hat. Der theure Preis hängt freilich
auch mit dem unverhältnißmäßig hohen Rabatt zusammen, welcher den Sorti-
mentern bewilligt zu werden pflegt ; allein er wird wenigstens theilweise durch
die eigenthümliche Stellung des musikalisch-dilettantischen Publicums bedingt.
Ganz allgemein übernehmen die Musiklehrer die Vermittlung zwischen dem Mu¬
sikalienhändler und dem laufenden Publicum, die Provision, welche sie in An¬
spruch nehmen, ist allmälig für sie ein wohlerworbenes Recht, wenigstens eine
schwer zu entbehrende Einnahme geworden, die zu behaupten sie auch hinreichen¬
den Einfluß besitzen, und es ist begreiflich, daß bei solchen Abzügen der Laden¬
preis sehr hoch fixirt werden muß.

Wenn man annehmen darf, daß das. was von Büchern gedruckt wird, im
Wesentlichen den Stand der wissenschaftlichen und künstlerischen Production in
der Literatur richtig repräsentirt, so kann man das von der Musik in gleicher
Weise keineswegs sagen. Bis zum letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts
wurden in Deutschland, wie in Italien, Compositionen ganz überwiegend nur
in Abschriften verbreitet, also in jeder Beziehung sehr ungenügend; es kam wohl
vor, daß die Komponisten selbst ihre Werke in Kupfer radirten, um für deren
Publication zu sorgen, wie dies z. B. von Bach und Telemann bekannt ist.
Zufällige Umstände haben daher damals den allergrößten Einfluß darauf geübt,
welche Musikstücke seiner Zeit in weiten Kreisen bekannt geworden, und welche
für eine spätere Zeit aufbewahrt und zugänglich geblieben sind. Den unsichersten
Maßstab für die Würdigung eines Meisters geben daher seine gedruckten Com¬
positionen; man darf weder annehmen, daß die Werke der vorzüglichsten
Componisten, noch daß ihre vorzüglichsten Werke durch den Druck publicirt
wurden. Ein schlagendes Beispiel bietet Joh. Seb. Bach, von dem bei Leb¬
zeiten sehr wenig gedruckt wurde, und nicht seine großen Meisterwerke,
sondern die Jnstrumentalcomposttionen, bei welchen allenfalls auf ein größeres
Publicum von Clavier- und Orgelspielern gerechnet werden konnte. Erst


kosten durch den Notenstich im Verhältniß zu der durchschnittlichen Absatzfähig¬
keit theurer sind als beim Bücherdruck, hängt doch auch mit diesen Verhältnissen
zusammen. Denn die Beschaffenheit des Publicums bringt es mit sich, daß
große Auflagen im Musik'alienverlag eine seltene Ausnahme bilden und daß
die Verlagsartikel,, welche gänzlich liegen bleiben oder in sehr wenigen Exem¬
plaren verbreitet werden, im Verhältniß zu denen, welche gehen, doch wohl
noch zahlreicher sind, als im Buchhandel. Es muß daher ein guter Verlags¬
artikel die Verluste sehr vieler nicht eingeschlagener decken, und daß die händ¬
lerisch guten Werke nicht immer die künstlerisch guten sind, bedarf keiner Er¬
wähnung. Ein Nachdrucker kann demnach leicht billige Preise machen, da er
kein Honorar zahlt und nur das druckt, was erfahrungemäßig viel gekauft wird,
ohne daß er diese Erfahrung durch Unternehmungen, die den Herstellungsauf¬
wand nicht decken, zu erkaufen nöthig hat. Der theure Preis hängt freilich
auch mit dem unverhältnißmäßig hohen Rabatt zusammen, welcher den Sorti-
mentern bewilligt zu werden pflegt ; allein er wird wenigstens theilweise durch
die eigenthümliche Stellung des musikalisch-dilettantischen Publicums bedingt.
Ganz allgemein übernehmen die Musiklehrer die Vermittlung zwischen dem Mu¬
sikalienhändler und dem laufenden Publicum, die Provision, welche sie in An¬
spruch nehmen, ist allmälig für sie ein wohlerworbenes Recht, wenigstens eine
schwer zu entbehrende Einnahme geworden, die zu behaupten sie auch hinreichen¬
den Einfluß besitzen, und es ist begreiflich, daß bei solchen Abzügen der Laden¬
preis sehr hoch fixirt werden muß.

Wenn man annehmen darf, daß das. was von Büchern gedruckt wird, im
Wesentlichen den Stand der wissenschaftlichen und künstlerischen Production in
der Literatur richtig repräsentirt, so kann man das von der Musik in gleicher
Weise keineswegs sagen. Bis zum letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts
wurden in Deutschland, wie in Italien, Compositionen ganz überwiegend nur
in Abschriften verbreitet, also in jeder Beziehung sehr ungenügend; es kam wohl
vor, daß die Komponisten selbst ihre Werke in Kupfer radirten, um für deren
Publication zu sorgen, wie dies z. B. von Bach und Telemann bekannt ist.
Zufällige Umstände haben daher damals den allergrößten Einfluß darauf geübt,
welche Musikstücke seiner Zeit in weiten Kreisen bekannt geworden, und welche
für eine spätere Zeit aufbewahrt und zugänglich geblieben sind. Den unsichersten
Maßstab für die Würdigung eines Meisters geben daher seine gedruckten Com¬
positionen; man darf weder annehmen, daß die Werke der vorzüglichsten
Componisten, noch daß ihre vorzüglichsten Werke durch den Druck publicirt
wurden. Ein schlagendes Beispiel bietet Joh. Seb. Bach, von dem bei Leb¬
zeiten sehr wenig gedruckt wurde, und nicht seine großen Meisterwerke,
sondern die Jnstrumentalcomposttionen, bei welchen allenfalls auf ein größeres
Publicum von Clavier- und Orgelspielern gerechnet werden konnte. Erst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/283>, abgerufen am 24.07.2024.