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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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der Landesverwaltung dasjenige, was vollends das Verhältniß derselben zu dem
Volke zu einem unseligen machte -- die Verfolgungen gegen Personen. Schaaren-
weise, ohne Urtheil und Recht, wurden die patriotischen Beamten abgesetzt oder
durch systematische Plackereien zum Rücktritt genöthigt; an ihre Stelle kamen
zum Theil solche, welche um ihrer dänischen Gesinnung willen von der provi¬
sorischen Regierung entfernt worden waren; dann aber -- da achtbare Männer
sich nicht in gehöriger Zahl zur Verfügung stellten -- Subjecte des übelsten
Leumunds. Brachte doch gegen vier in Apenrade Angestellte die Bürgerschaft
unter Anderm vor, daß der eine von ihnen wegen Nothzucht in Untersuchung,
ein zweiter eines gebrochenen, schriftlichen Ehrenwortes schuldig, ein dritter
als Hehler veruntreuter Sachen bestraft sei. Wegen der Absetzung der alten
Beamten, wegen der Einsetzung der neuen gerieth dann die Landesverwaltung,
wegen Führung der Aemter das neue Beamtenpersonal selbst mit der Bevöl¬
kerung, und hier und da mit der höchsten Justizbehörde des Landes, mit dem
Obergerichte zu Schleswig, in die ärgerlichsten Conflicte. Die Durchsetzung des
Beabsichtigten erreichte die Landesverwaltung zum Theil nur unter den empö¬
rendsten Auftritten. In Husum wurde der bisherige Bürgermeister durch einen
neuen, dänisch gesinnten ersetzt; da niemand mit demselben in Verkehr treten
wollte, entwich er; daraus kam militärische Execution und an den Magistrat
die Zumuthung, den Vertriebenen durch eine Ehrendeputation wieder einzuholen;
die Weigerung der MaaMratspersonen zog neue Absetzungen nach sich. Unter
militärischer Escorte ward der Ernannte eingeführt. Das Obergericht, an wel¬
ches sich die Bürgerschaft wendete, erklärte die Einsetzung sür ungiltig; die
Landesverwaltung hielt den Eingesetzten nach wie vor aufrecht. In Flensburg
dagegen übte der dänische Pöbel den ärgsten Terrorismus gegen die Deutsch¬
gesinnten und keine Obrigkeit schien an seine Zügelung zu denken, bis das Ein¬
rücken schwedischer Besatzung dem Tumult und den Verwüstungen ein Ende machte.
Als ein großer Theil der Geistlichkeit gegen die willkürliche Abänderung der kirch¬
lichen Fürbitte protestirte, dehnte sich die Verfolgung auch auf sie und weiterhin
auf die Lehrer aus; geborne Dänen, nationale Fanatiker, kamen auf die Kan¬
zeln und in die Lehrämter; in Apenrade wurde dreizehn Wochen kein deutscher
Gottesdienst gehalten; in Hadersleben blieben, wegen der Suspension der
Lehrer, 7--800 Kinder ohne Unterricht.

Aber keineswegs im ganzen Schleswig übte die Landesverwaltung solche
Herrschaft aus. Hauptsächlich der Norden, wo sie in einem Theil der Bevöl¬
kerung eine dänische Partei und in den schwedisch-norwegischen Truppen ein
dienstfertiges Werkzeug für sich besaß, war der Schauplatz ihres durchgreifenden
Wirkens. Im Süden gab es einen friedlichen Kampf gegen sie, unbezwinglich
und bewundernswerth wegen des festen Einmuthes und der Gemessenheit, mit
der er geführt wurde. Man erkannte der Landesverwaltung nicht das Recht


der Landesverwaltung dasjenige, was vollends das Verhältniß derselben zu dem
Volke zu einem unseligen machte — die Verfolgungen gegen Personen. Schaaren-
weise, ohne Urtheil und Recht, wurden die patriotischen Beamten abgesetzt oder
durch systematische Plackereien zum Rücktritt genöthigt; an ihre Stelle kamen
zum Theil solche, welche um ihrer dänischen Gesinnung willen von der provi¬
sorischen Regierung entfernt worden waren; dann aber — da achtbare Männer
sich nicht in gehöriger Zahl zur Verfügung stellten — Subjecte des übelsten
Leumunds. Brachte doch gegen vier in Apenrade Angestellte die Bürgerschaft
unter Anderm vor, daß der eine von ihnen wegen Nothzucht in Untersuchung,
ein zweiter eines gebrochenen, schriftlichen Ehrenwortes schuldig, ein dritter
als Hehler veruntreuter Sachen bestraft sei. Wegen der Absetzung der alten
Beamten, wegen der Einsetzung der neuen gerieth dann die Landesverwaltung,
wegen Führung der Aemter das neue Beamtenpersonal selbst mit der Bevöl¬
kerung, und hier und da mit der höchsten Justizbehörde des Landes, mit dem
Obergerichte zu Schleswig, in die ärgerlichsten Conflicte. Die Durchsetzung des
Beabsichtigten erreichte die Landesverwaltung zum Theil nur unter den empö¬
rendsten Auftritten. In Husum wurde der bisherige Bürgermeister durch einen
neuen, dänisch gesinnten ersetzt; da niemand mit demselben in Verkehr treten
wollte, entwich er; daraus kam militärische Execution und an den Magistrat
die Zumuthung, den Vertriebenen durch eine Ehrendeputation wieder einzuholen;
die Weigerung der MaaMratspersonen zog neue Absetzungen nach sich. Unter
militärischer Escorte ward der Ernannte eingeführt. Das Obergericht, an wel¬
ches sich die Bürgerschaft wendete, erklärte die Einsetzung sür ungiltig; die
Landesverwaltung hielt den Eingesetzten nach wie vor aufrecht. In Flensburg
dagegen übte der dänische Pöbel den ärgsten Terrorismus gegen die Deutsch¬
gesinnten und keine Obrigkeit schien an seine Zügelung zu denken, bis das Ein¬
rücken schwedischer Besatzung dem Tumult und den Verwüstungen ein Ende machte.
Als ein großer Theil der Geistlichkeit gegen die willkürliche Abänderung der kirch¬
lichen Fürbitte protestirte, dehnte sich die Verfolgung auch auf sie und weiterhin
auf die Lehrer aus; geborne Dänen, nationale Fanatiker, kamen auf die Kan¬
zeln und in die Lehrämter; in Apenrade wurde dreizehn Wochen kein deutscher
Gottesdienst gehalten; in Hadersleben blieben, wegen der Suspension der
Lehrer, 7—800 Kinder ohne Unterricht.

Aber keineswegs im ganzen Schleswig übte die Landesverwaltung solche
Herrschaft aus. Hauptsächlich der Norden, wo sie in einem Theil der Bevöl¬
kerung eine dänische Partei und in den schwedisch-norwegischen Truppen ein
dienstfertiges Werkzeug für sich besaß, war der Schauplatz ihres durchgreifenden
Wirkens. Im Süden gab es einen friedlichen Kampf gegen sie, unbezwinglich
und bewundernswerth wegen des festen Einmuthes und der Gemessenheit, mit
der er geführt wurde. Man erkannte der Landesverwaltung nicht das Recht


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[0272] der Landesverwaltung dasjenige, was vollends das Verhältniß derselben zu dem Volke zu einem unseligen machte — die Verfolgungen gegen Personen. Schaaren- weise, ohne Urtheil und Recht, wurden die patriotischen Beamten abgesetzt oder durch systematische Plackereien zum Rücktritt genöthigt; an ihre Stelle kamen zum Theil solche, welche um ihrer dänischen Gesinnung willen von der provi¬ sorischen Regierung entfernt worden waren; dann aber — da achtbare Männer sich nicht in gehöriger Zahl zur Verfügung stellten — Subjecte des übelsten Leumunds. Brachte doch gegen vier in Apenrade Angestellte die Bürgerschaft unter Anderm vor, daß der eine von ihnen wegen Nothzucht in Untersuchung, ein zweiter eines gebrochenen, schriftlichen Ehrenwortes schuldig, ein dritter als Hehler veruntreuter Sachen bestraft sei. Wegen der Absetzung der alten Beamten, wegen der Einsetzung der neuen gerieth dann die Landesverwaltung, wegen Führung der Aemter das neue Beamtenpersonal selbst mit der Bevöl¬ kerung, und hier und da mit der höchsten Justizbehörde des Landes, mit dem Obergerichte zu Schleswig, in die ärgerlichsten Conflicte. Die Durchsetzung des Beabsichtigten erreichte die Landesverwaltung zum Theil nur unter den empö¬ rendsten Auftritten. In Husum wurde der bisherige Bürgermeister durch einen neuen, dänisch gesinnten ersetzt; da niemand mit demselben in Verkehr treten wollte, entwich er; daraus kam militärische Execution und an den Magistrat die Zumuthung, den Vertriebenen durch eine Ehrendeputation wieder einzuholen; die Weigerung der MaaMratspersonen zog neue Absetzungen nach sich. Unter militärischer Escorte ward der Ernannte eingeführt. Das Obergericht, an wel¬ ches sich die Bürgerschaft wendete, erklärte die Einsetzung sür ungiltig; die Landesverwaltung hielt den Eingesetzten nach wie vor aufrecht. In Flensburg dagegen übte der dänische Pöbel den ärgsten Terrorismus gegen die Deutsch¬ gesinnten und keine Obrigkeit schien an seine Zügelung zu denken, bis das Ein¬ rücken schwedischer Besatzung dem Tumult und den Verwüstungen ein Ende machte. Als ein großer Theil der Geistlichkeit gegen die willkürliche Abänderung der kirch¬ lichen Fürbitte protestirte, dehnte sich die Verfolgung auch auf sie und weiterhin auf die Lehrer aus; geborne Dänen, nationale Fanatiker, kamen auf die Kan¬ zeln und in die Lehrämter; in Apenrade wurde dreizehn Wochen kein deutscher Gottesdienst gehalten; in Hadersleben blieben, wegen der Suspension der Lehrer, 7—800 Kinder ohne Unterricht. Aber keineswegs im ganzen Schleswig übte die Landesverwaltung solche Herrschaft aus. Hauptsächlich der Norden, wo sie in einem Theil der Bevöl¬ kerung eine dänische Partei und in den schwedisch-norwegischen Truppen ein dienstfertiges Werkzeug für sich besaß, war der Schauplatz ihres durchgreifenden Wirkens. Im Süden gab es einen friedlichen Kampf gegen sie, unbezwinglich und bewundernswerth wegen des festen Einmuthes und der Gemessenheit, mit der er geführt wurde. Man erkannte der Landesverwaltung nicht das Recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/272>, abgerufen am 01.07.2024.