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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Gerippe liegen lassen, deren man von Kameelen, Eseln und andern Vier¬
füßlern unzählige findet. -- Gegen sieden Uhr sendet die Sonne schon so heiße
Strahlen, daß unsere turbanartig umwundenen Hüte und unsere weißen Schirme
nicht mehr genügen; dann eilt man zurück unter das mäßig stützende Dach
der Hütte und begegnet langen Kameelzügen und vielen Wanderern zu Fuß und
zu Esel, welche von der Küste kommen, oder dahin eilen.

Nun werden die Vorräthe für den Tag geprüft und das Frühstück be¬
reitet, zu dem sich die ganze Gesellschaft gegen zehn Uhr unter der Veranda
versammelt; da giebt es Reis oder Nudeln, Fische oder etwas Fleisch, dürres
Obst und Thee oder Kaffee. Gegen elf Uhr zieht sich jedes zurück, um sich
nach Belieben zu beschäftigen oder auch um zu schlafen. Ich genoß diese
Stunden des Tages mit besonderer Freude, weil ich mich der Correspondenz,
meinen Zeichnungen und meinen kleinen Sammlungen an Pflanzen und Thieren
ungestört hingeben konnte; auch fehlte es nicht an häuslichen Arbeiten.

Eine liebliche Erheiterung bietet mir meine zarte Rasele, auf Arabisch:
Gazelle, die mir der Pascha von Massaua geschenkt hat. Dieses liebe, sanfte
Thierchen ist mir eine treue Gefährtin geworden; sie ruht neben mir. zupft
mich am Ohrläppchen, sieht mich mit ihren klugen Augen freundlich an und hat
es gar gern, wenn man sie streichelt und liebkost.

Zuweilen kommen die Kinder aus den benachbarten Dörfern, um sich mit
Kleinigkeiten beschenken zu lassen, oder es erscheinen zwei ersehnte schwarze Ge¬
stalten, Boten aus den Bergen, die uns gute Nachrichten von den Jägern
bringen. Nach vier Uhr wird mitunter ein wenig ausgegangen und geritten,
wenn die Schwüle der Luft nicht allzudrückend ist; nach sechs Uhr jedoch geht die
Sonne das ganze Jahr hindurch ohne vorhergehende Dämmerung unter, und
man kehrt deshalb eilig in die Wohnungen zurück. Gegen sieben Uhr genießen
wir ähnliche Kost wie am Morgen und ergötzen uns dann noch eine Weile an
dem unvergleichlich klaren Sternenhimmel, an dem "südlichen Kreuz" und dem
"Canopus", welche unsere besondere Bewunderung erregen. Um halb neun Uhr
ist gewöhnlich das letzte Laternchen ausgelöscht. So ist die Tagesordnung in
M'Kulin.

Die Tage, welche wir hier verlebten, waren keine Idylle in der Weise der
lieben Heimath, es war für uns verwöhnte Culturkinder Manches recht schwer
zu überwinden; aber es war doch ein Stillleben voll von großen Eindrücken,
und die Erinnerung daran möchte wohl Keiner von uns missen. Wer einmal
im Schein der tropischen Sonne auf Himmel, Land und Meer geblickt hat.
der wird die Farbenpracht der Natur und die gehobene Stimmung, welche sie
dem Menschen verleiht, nie mehr vergessen. Was Licht heißt und glühende
Farbenschönheit, das erfährt man erst im Süden. Und die Einwirkung dieser
Fülle von Licht und Farbe, die großen Contraste, welche ohne Dämmerung-


Gerippe liegen lassen, deren man von Kameelen, Eseln und andern Vier¬
füßlern unzählige findet. — Gegen sieden Uhr sendet die Sonne schon so heiße
Strahlen, daß unsere turbanartig umwundenen Hüte und unsere weißen Schirme
nicht mehr genügen; dann eilt man zurück unter das mäßig stützende Dach
der Hütte und begegnet langen Kameelzügen und vielen Wanderern zu Fuß und
zu Esel, welche von der Küste kommen, oder dahin eilen.

Nun werden die Vorräthe für den Tag geprüft und das Frühstück be¬
reitet, zu dem sich die ganze Gesellschaft gegen zehn Uhr unter der Veranda
versammelt; da giebt es Reis oder Nudeln, Fische oder etwas Fleisch, dürres
Obst und Thee oder Kaffee. Gegen elf Uhr zieht sich jedes zurück, um sich
nach Belieben zu beschäftigen oder auch um zu schlafen. Ich genoß diese
Stunden des Tages mit besonderer Freude, weil ich mich der Correspondenz,
meinen Zeichnungen und meinen kleinen Sammlungen an Pflanzen und Thieren
ungestört hingeben konnte; auch fehlte es nicht an häuslichen Arbeiten.

Eine liebliche Erheiterung bietet mir meine zarte Rasele, auf Arabisch:
Gazelle, die mir der Pascha von Massaua geschenkt hat. Dieses liebe, sanfte
Thierchen ist mir eine treue Gefährtin geworden; sie ruht neben mir. zupft
mich am Ohrläppchen, sieht mich mit ihren klugen Augen freundlich an und hat
es gar gern, wenn man sie streichelt und liebkost.

Zuweilen kommen die Kinder aus den benachbarten Dörfern, um sich mit
Kleinigkeiten beschenken zu lassen, oder es erscheinen zwei ersehnte schwarze Ge¬
stalten, Boten aus den Bergen, die uns gute Nachrichten von den Jägern
bringen. Nach vier Uhr wird mitunter ein wenig ausgegangen und geritten,
wenn die Schwüle der Luft nicht allzudrückend ist; nach sechs Uhr jedoch geht die
Sonne das ganze Jahr hindurch ohne vorhergehende Dämmerung unter, und
man kehrt deshalb eilig in die Wohnungen zurück. Gegen sieben Uhr genießen
wir ähnliche Kost wie am Morgen und ergötzen uns dann noch eine Weile an
dem unvergleichlich klaren Sternenhimmel, an dem „südlichen Kreuz" und dem
„Canopus", welche unsere besondere Bewunderung erregen. Um halb neun Uhr
ist gewöhnlich das letzte Laternchen ausgelöscht. So ist die Tagesordnung in
M'Kulin.

Die Tage, welche wir hier verlebten, waren keine Idylle in der Weise der
lieben Heimath, es war für uns verwöhnte Culturkinder Manches recht schwer
zu überwinden; aber es war doch ein Stillleben voll von großen Eindrücken,
und die Erinnerung daran möchte wohl Keiner von uns missen. Wer einmal
im Schein der tropischen Sonne auf Himmel, Land und Meer geblickt hat.
der wird die Farbenpracht der Natur und die gehobene Stimmung, welche sie
dem Menschen verleiht, nie mehr vergessen. Was Licht heißt und glühende
Farbenschönheit, das erfährt man erst im Süden. Und die Einwirkung dieser
Fülle von Licht und Farbe, die großen Contraste, welche ohne Dämmerung-


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[0259] Gerippe liegen lassen, deren man von Kameelen, Eseln und andern Vier¬ füßlern unzählige findet. — Gegen sieden Uhr sendet die Sonne schon so heiße Strahlen, daß unsere turbanartig umwundenen Hüte und unsere weißen Schirme nicht mehr genügen; dann eilt man zurück unter das mäßig stützende Dach der Hütte und begegnet langen Kameelzügen und vielen Wanderern zu Fuß und zu Esel, welche von der Küste kommen, oder dahin eilen. Nun werden die Vorräthe für den Tag geprüft und das Frühstück be¬ reitet, zu dem sich die ganze Gesellschaft gegen zehn Uhr unter der Veranda versammelt; da giebt es Reis oder Nudeln, Fische oder etwas Fleisch, dürres Obst und Thee oder Kaffee. Gegen elf Uhr zieht sich jedes zurück, um sich nach Belieben zu beschäftigen oder auch um zu schlafen. Ich genoß diese Stunden des Tages mit besonderer Freude, weil ich mich der Correspondenz, meinen Zeichnungen und meinen kleinen Sammlungen an Pflanzen und Thieren ungestört hingeben konnte; auch fehlte es nicht an häuslichen Arbeiten. Eine liebliche Erheiterung bietet mir meine zarte Rasele, auf Arabisch: Gazelle, die mir der Pascha von Massaua geschenkt hat. Dieses liebe, sanfte Thierchen ist mir eine treue Gefährtin geworden; sie ruht neben mir. zupft mich am Ohrläppchen, sieht mich mit ihren klugen Augen freundlich an und hat es gar gern, wenn man sie streichelt und liebkost. Zuweilen kommen die Kinder aus den benachbarten Dörfern, um sich mit Kleinigkeiten beschenken zu lassen, oder es erscheinen zwei ersehnte schwarze Ge¬ stalten, Boten aus den Bergen, die uns gute Nachrichten von den Jägern bringen. Nach vier Uhr wird mitunter ein wenig ausgegangen und geritten, wenn die Schwüle der Luft nicht allzudrückend ist; nach sechs Uhr jedoch geht die Sonne das ganze Jahr hindurch ohne vorhergehende Dämmerung unter, und man kehrt deshalb eilig in die Wohnungen zurück. Gegen sieben Uhr genießen wir ähnliche Kost wie am Morgen und ergötzen uns dann noch eine Weile an dem unvergleichlich klaren Sternenhimmel, an dem „südlichen Kreuz" und dem „Canopus", welche unsere besondere Bewunderung erregen. Um halb neun Uhr ist gewöhnlich das letzte Laternchen ausgelöscht. So ist die Tagesordnung in M'Kulin. Die Tage, welche wir hier verlebten, waren keine Idylle in der Weise der lieben Heimath, es war für uns verwöhnte Culturkinder Manches recht schwer zu überwinden; aber es war doch ein Stillleben voll von großen Eindrücken, und die Erinnerung daran möchte wohl Keiner von uns missen. Wer einmal im Schein der tropischen Sonne auf Himmel, Land und Meer geblickt hat. der wird die Farbenpracht der Natur und die gehobene Stimmung, welche sie dem Menschen verleiht, nie mehr vergessen. Was Licht heißt und glühende Farbenschönheit, das erfährt man erst im Süden. Und die Einwirkung dieser Fülle von Licht und Farbe, die großen Contraste, welche ohne Dämmerung-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/259>, abgerufen am 24.07.2024.