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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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"Man werde -- hieß es damals -- neben dem Schaden auch die unaus¬
löschliche Blanc haben, daß man nicht aufrichtig gehandelt, sondern jetzt, wo
die Hülfe am meisten nöthig sei, die Bedrohten schändlich verlassen habe."

In staunenswerther Knienden war König Karl Gustav von Schweden nach
Fühnen und von da über das Eis nach Langeland, Laaland und Seeland ge¬
gangen. Mit 1600 Mann zu Fuß und 3000 Pferden zog Karl Gustav vor
Kopenhagen und zwang Dänemark, ihm die Provinzen Schonen, Blekingen
Halland, Drontheim und Bornholm abzutreten und den gottorpcr Fürsten die
Souverainetät über Schleswig einzuräumen.

Oestreich wies in Frankfurt, wo die Kaiscrwahl bevorstand, in höchst
sorgenvoller Weise auf die Gefahr eines Reichskrieges hin, den Brandenburg
begierig sei herbeizuführen und den man schon haben würde, wenn Oestreich
den Kurfürsten nicht von dem Einfall in Holstein zurückhalte.

Aber der große Kurfürst und feine höchsten Räthe waren Männer, die eine
schwächliche Politik verderblich, nicht ehrenvoll, undeutsch fanden. Sie waren
nicht gemeint, das Wohl des Reiches (saiutem impkiii) aus den Augen zu
setzen. Brandenburg ließ über gewisse flensburgcr Vorgänge 1658 eine Druck¬
schrift veröffentlichen, in welcher es "dem ehrlichen Deutschen" die ganze Schmach
und Gefahr, die vom Schweden dem Reiche drohe, darlegt.

"Dein edles Vaterland ist -- heißt es in dieser brandenburgischen Denk¬
schrift -- vom letzten Kriege gar jämmerlich zugerichtet und an Mark und Bein
dermaßen ausgesogen, daß von dem einst so herrlichen Körper schon nichts mehr
übrig ist, als das Skelett; wem noch deutsches Blut im Herzen warm ist, muß
darüber weinen; gedenke ein jeder, was er für die Ehre des deutschen Namens
zu thun habe, um sich gegen sein eigenes Blut und sein einst vor allen Nationen
berühmtes Vaterland nicht zu versündigen. Gedenke, daß du ein Deutscher bist.
Wir sind mit dem letzten Kriege schier Dienstknechte fremder Nationen geworden;
was sind Rhein, Weser, Elbe, Oderstrom anders als fremder Nationen Ge¬
fangene? was ist unsere Freiheit und Religion mehr, als daß andere damit
spielen?"

So großartig dachte man damals in Kurbrandenburg, wo es die Ehre des
deutschen Namens galt, wo es sich darum handelte, sich nicht gegen sein eigenes
Blut und sein Vaterland zu versündigen. Kurbrandenburg forderte zu einer
"guten Calvicade nach Holstein" Oestreich auf. Oestreich folgte endlich dem
Rufe. Statt eines Kriegsmanifcstes veröffentlichte man jene denkwürdige Staats¬
schrift "an den ehrlichen Deutschen". Unter dem preußischen General Pfuel
und dem östreichischen General Spork ging es flugs über Mölln auf Oldesloe,
die Schweden zogen sich schnell vor Rendsburg zusammen und schlossen die
tapfere Festung ein; die Besatzung, die Bürger sprachen, sie hätten bisher dem
Feinde männiglich in die Augen gesehen, sie wollten als ehrliche Leute das


„Man werde — hieß es damals — neben dem Schaden auch die unaus¬
löschliche Blanc haben, daß man nicht aufrichtig gehandelt, sondern jetzt, wo
die Hülfe am meisten nöthig sei, die Bedrohten schändlich verlassen habe."

In staunenswerther Knienden war König Karl Gustav von Schweden nach
Fühnen und von da über das Eis nach Langeland, Laaland und Seeland ge¬
gangen. Mit 1600 Mann zu Fuß und 3000 Pferden zog Karl Gustav vor
Kopenhagen und zwang Dänemark, ihm die Provinzen Schonen, Blekingen
Halland, Drontheim und Bornholm abzutreten und den gottorpcr Fürsten die
Souverainetät über Schleswig einzuräumen.

Oestreich wies in Frankfurt, wo die Kaiscrwahl bevorstand, in höchst
sorgenvoller Weise auf die Gefahr eines Reichskrieges hin, den Brandenburg
begierig sei herbeizuführen und den man schon haben würde, wenn Oestreich
den Kurfürsten nicht von dem Einfall in Holstein zurückhalte.

Aber der große Kurfürst und feine höchsten Räthe waren Männer, die eine
schwächliche Politik verderblich, nicht ehrenvoll, undeutsch fanden. Sie waren
nicht gemeint, das Wohl des Reiches (saiutem impkiii) aus den Augen zu
setzen. Brandenburg ließ über gewisse flensburgcr Vorgänge 1658 eine Druck¬
schrift veröffentlichen, in welcher es „dem ehrlichen Deutschen" die ganze Schmach
und Gefahr, die vom Schweden dem Reiche drohe, darlegt.

„Dein edles Vaterland ist — heißt es in dieser brandenburgischen Denk¬
schrift — vom letzten Kriege gar jämmerlich zugerichtet und an Mark und Bein
dermaßen ausgesogen, daß von dem einst so herrlichen Körper schon nichts mehr
übrig ist, als das Skelett; wem noch deutsches Blut im Herzen warm ist, muß
darüber weinen; gedenke ein jeder, was er für die Ehre des deutschen Namens
zu thun habe, um sich gegen sein eigenes Blut und sein einst vor allen Nationen
berühmtes Vaterland nicht zu versündigen. Gedenke, daß du ein Deutscher bist.
Wir sind mit dem letzten Kriege schier Dienstknechte fremder Nationen geworden;
was sind Rhein, Weser, Elbe, Oderstrom anders als fremder Nationen Ge¬
fangene? was ist unsere Freiheit und Religion mehr, als daß andere damit
spielen?"

So großartig dachte man damals in Kurbrandenburg, wo es die Ehre des
deutschen Namens galt, wo es sich darum handelte, sich nicht gegen sein eigenes
Blut und sein Vaterland zu versündigen. Kurbrandenburg forderte zu einer
„guten Calvicade nach Holstein" Oestreich auf. Oestreich folgte endlich dem
Rufe. Statt eines Kriegsmanifcstes veröffentlichte man jene denkwürdige Staats¬
schrift „an den ehrlichen Deutschen". Unter dem preußischen General Pfuel
und dem östreichischen General Spork ging es flugs über Mölln auf Oldesloe,
die Schweden zogen sich schnell vor Rendsburg zusammen und schlossen die
tapfere Festung ein; die Besatzung, die Bürger sprachen, sie hätten bisher dem
Feinde männiglich in die Augen gesehen, sie wollten als ehrliche Leute das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/240>, abgerufen am 01.07.2024.