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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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bindungen gegen das eigne Interesse bezeichnen die berliner Politik, und ein
Etwas wie die Ahnung eines großen Falles beschleicht schon seit Wochen viele
der Gemüther, welche auf Preußen ihre Hoffnung setzten.

Herr v. Bismarck hat am 22. Januar im Abgeordnetenhause unter andern
kühnen Behauptungen die aufgestellt, ein Minister, der sich das Vertrauen dieses
Hauses erwerben wollte, müßte gegen die geschichtlichen Traditionen Preußens
handeln. Vergleichen wir damit das Folgende. Was damals Schweden war,
ist heute Dänemark, was damals der Herzog von Schleswig-Holstein glück-
städter Linie war, das ist jetzt der Herzog von Schleswig-Holstein augustenburger
Linie.

In einer soeben erschienenen Flugschrift A. v. Warnstedts*) lesen wir nach¬
stehende Ausführung:

Noch nicht ein Jahrzehnt nach Beendigung des dreißigjährigen Krieges
empfand man in ganz Deutschland den übermäßigen Druck, den der westphälische
Frieden der Krone Schweden durch Einräumung mehrer deutschen Küstenlande
möglich gemacht hatte.

Der große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg erkannte die ganze
Gefahr dieses Uebergewichts Schwedens, welches bei enger Verbindung mit
Frankreich die deutschen Verhältnisse beherrschte, "Confusion ins Reich brachte".
Er that es mit dem Bewußtsein des Zusammenhanges, welchen der Kampf, dem
er entgegenging, mit dem Wohl und Wehe des ganzen deutschen Wesens hatte.

Er ergriff ein großes deutsches Interesse, indem er sein eigenes vertrat.
Brandenburg wandte sich an Oestreich, welches anfänglich Bedenken trug,
"soweit in die septcntrionalischcn Lande sich Vorzuthun". Endlich schlössen
Brandenburg und Oestreich am 15. Februar 1638 ein Bündniß, nach welchem
unter dem persönlichen Befehle des Kurfürsten ein Heer von 32,000 Mann nach
Holstein gehen und dem Feinde, um den Krieg desto eher zu endigen, dort eine
Batcnlle liefern sollte.

Es galt den Schutz des Königs von Dänemark, Herzogs von Schleswig-
Holstein glückstädtischer Linie. Dieser war von den Schweden und den mit
ihm verbündeten holstein-gottorpischen Fürsten stark bedroht. Es galt die höchste
Eile, aber Zögerungen traten ein.

Der große Kurfürst rief Gott zum Zeugen an, daß er nicht Schuld an der
Verzögerung sei, Gott solle ihn strafen, wenn er eine Ader an seinem Leibe
habe, die nicht mit der größten Ungeduld verlange, den Feind anzugreifen.



-) Rendsburg, die preußische Politik von 16S8, 1848 und ihr Gegensatz 18V8. Hanno¬
ver, schmort und v. Seefeld, 1864. Der Verfasser gehört der hochconscrvativen Partei an
und ist mehre Jahre lang preußischer Beamter gewesen, ist aber, eben um seines konservativen
Denkens willen, ein eifriger Schleswig-Holsteiner.

bindungen gegen das eigne Interesse bezeichnen die berliner Politik, und ein
Etwas wie die Ahnung eines großen Falles beschleicht schon seit Wochen viele
der Gemüther, welche auf Preußen ihre Hoffnung setzten.

Herr v. Bismarck hat am 22. Januar im Abgeordnetenhause unter andern
kühnen Behauptungen die aufgestellt, ein Minister, der sich das Vertrauen dieses
Hauses erwerben wollte, müßte gegen die geschichtlichen Traditionen Preußens
handeln. Vergleichen wir damit das Folgende. Was damals Schweden war,
ist heute Dänemark, was damals der Herzog von Schleswig-Holstein glück-
städter Linie war, das ist jetzt der Herzog von Schleswig-Holstein augustenburger
Linie.

In einer soeben erschienenen Flugschrift A. v. Warnstedts*) lesen wir nach¬
stehende Ausführung:

Noch nicht ein Jahrzehnt nach Beendigung des dreißigjährigen Krieges
empfand man in ganz Deutschland den übermäßigen Druck, den der westphälische
Frieden der Krone Schweden durch Einräumung mehrer deutschen Küstenlande
möglich gemacht hatte.

Der große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg erkannte die ganze
Gefahr dieses Uebergewichts Schwedens, welches bei enger Verbindung mit
Frankreich die deutschen Verhältnisse beherrschte, „Confusion ins Reich brachte".
Er that es mit dem Bewußtsein des Zusammenhanges, welchen der Kampf, dem
er entgegenging, mit dem Wohl und Wehe des ganzen deutschen Wesens hatte.

Er ergriff ein großes deutsches Interesse, indem er sein eigenes vertrat.
Brandenburg wandte sich an Oestreich, welches anfänglich Bedenken trug,
„soweit in die septcntrionalischcn Lande sich Vorzuthun". Endlich schlössen
Brandenburg und Oestreich am 15. Februar 1638 ein Bündniß, nach welchem
unter dem persönlichen Befehle des Kurfürsten ein Heer von 32,000 Mann nach
Holstein gehen und dem Feinde, um den Krieg desto eher zu endigen, dort eine
Batcnlle liefern sollte.

Es galt den Schutz des Königs von Dänemark, Herzogs von Schleswig-
Holstein glückstädtischer Linie. Dieser war von den Schweden und den mit
ihm verbündeten holstein-gottorpischen Fürsten stark bedroht. Es galt die höchste
Eile, aber Zögerungen traten ein.

Der große Kurfürst rief Gott zum Zeugen an, daß er nicht Schuld an der
Verzögerung sei, Gott solle ihn strafen, wenn er eine Ader an seinem Leibe
habe, die nicht mit der größten Ungeduld verlange, den Feind anzugreifen.



-) Rendsburg, die preußische Politik von 16S8, 1848 und ihr Gegensatz 18V8. Hanno¬
ver, schmort und v. Seefeld, 1864. Der Verfasser gehört der hochconscrvativen Partei an
und ist mehre Jahre lang preußischer Beamter gewesen, ist aber, eben um seines konservativen
Denkens willen, ein eifriger Schleswig-Holsteiner.
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[0239] bindungen gegen das eigne Interesse bezeichnen die berliner Politik, und ein Etwas wie die Ahnung eines großen Falles beschleicht schon seit Wochen viele der Gemüther, welche auf Preußen ihre Hoffnung setzten. Herr v. Bismarck hat am 22. Januar im Abgeordnetenhause unter andern kühnen Behauptungen die aufgestellt, ein Minister, der sich das Vertrauen dieses Hauses erwerben wollte, müßte gegen die geschichtlichen Traditionen Preußens handeln. Vergleichen wir damit das Folgende. Was damals Schweden war, ist heute Dänemark, was damals der Herzog von Schleswig-Holstein glück- städter Linie war, das ist jetzt der Herzog von Schleswig-Holstein augustenburger Linie. In einer soeben erschienenen Flugschrift A. v. Warnstedts*) lesen wir nach¬ stehende Ausführung: Noch nicht ein Jahrzehnt nach Beendigung des dreißigjährigen Krieges empfand man in ganz Deutschland den übermäßigen Druck, den der westphälische Frieden der Krone Schweden durch Einräumung mehrer deutschen Küstenlande möglich gemacht hatte. Der große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg erkannte die ganze Gefahr dieses Uebergewichts Schwedens, welches bei enger Verbindung mit Frankreich die deutschen Verhältnisse beherrschte, „Confusion ins Reich brachte". Er that es mit dem Bewußtsein des Zusammenhanges, welchen der Kampf, dem er entgegenging, mit dem Wohl und Wehe des ganzen deutschen Wesens hatte. Er ergriff ein großes deutsches Interesse, indem er sein eigenes vertrat. Brandenburg wandte sich an Oestreich, welches anfänglich Bedenken trug, „soweit in die septcntrionalischcn Lande sich Vorzuthun". Endlich schlössen Brandenburg und Oestreich am 15. Februar 1638 ein Bündniß, nach welchem unter dem persönlichen Befehle des Kurfürsten ein Heer von 32,000 Mann nach Holstein gehen und dem Feinde, um den Krieg desto eher zu endigen, dort eine Batcnlle liefern sollte. Es galt den Schutz des Königs von Dänemark, Herzogs von Schleswig- Holstein glückstädtischer Linie. Dieser war von den Schweden und den mit ihm verbündeten holstein-gottorpischen Fürsten stark bedroht. Es galt die höchste Eile, aber Zögerungen traten ein. Der große Kurfürst rief Gott zum Zeugen an, daß er nicht Schuld an der Verzögerung sei, Gott solle ihn strafen, wenn er eine Ader an seinem Leibe habe, die nicht mit der größten Ungeduld verlange, den Feind anzugreifen. -) Rendsburg, die preußische Politik von 16S8, 1848 und ihr Gegensatz 18V8. Hanno¬ ver, schmort und v. Seefeld, 1864. Der Verfasser gehört der hochconscrvativen Partei an und ist mehre Jahre lang preußischer Beamter gewesen, ist aber, eben um seines konservativen Denkens willen, ein eifriger Schleswig-Holsteiner.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/239>, abgerufen am 04.07.2024.