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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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in Preußen, um Mitte Juni, das camphausenschc Ministerium auf, und in dem
neuen, auerswald-hansemannschen Cabinet fehlte es der Schleswig-holsteinischen
Sache an einem so entschiedenen Vertreter wie der Baron Heinrich von Arnim
in dem früheren gewesen. Jetzt steigerten sich die Zumuthungen Englands
an Preußen in der Waffenstillstandsangelegenheit bedeutend; Preußen Hinwider
hielt es gerathener, durch eine Annäherung an Schweden und Rußland sich
wo möglich diese Mächte günstiger zu stimmen; und so geschah es, daß gegen
Ende des Juni die südschwedische Stadt Malmö, nach der sich der König Oskar
begeben hatte, zu dem Orte wurde, wo preußische und dänische Diplomaten
zur Verhandlung des Waffenstillstands unter schwedischer Vermittlung zusammen¬
treten. Eine neue Bewegung auf dem Kriegschauplatze war hiervon die nächste
Folge. Es verstand sich nämlich von selbst, daß die Stellungen, die jeder der
kriegführenden Theile im Augenblicke des Abschlusses einnähme, in mancher Rück¬
sicht von Wichtigkeit werden konnten; außerdem drängten, von Frankfurt her,
Bundestag und Nationalversammlung zu einer Verjagung der Dänen aus dem
nördlichen Schleswig. Da nun der Grund, um deswillen sich Wrangel vor vier
Wochen nach dem Süden gezogen, ohnehin durch die inzwischen erhaltenen Verstär¬
kungen sowie durch den Umstand hinwegficl, daß seitdem der größte Theil der däni¬
schen Streitkräfte von der Insel Alsen nach dem nördlichen Schleswig übergesetzt
war, so rückte Wrangel wieder gegen den Norden vor. Die Dänen wichen
zurück, indem sie nur, am 29. Juni bei Hadersleben, den Schleswig-holsteinischen
Truppen eine Gelegenheit gaben ihre Tapferkeit an den Tag zu legen; ohne son¬
derliche Anstrengung gelangte der deutsche Feldherr bis an die jütländische Grenze,
diesmal freilich an derselben Halt machend. Was aber inzwischen zu Malmö ab¬
gehandelt wurde, das entsprach nicht diesem neuen Beweise von der Ueberlegenheit
der deutschen Waffen, sondern legte vielmehr nur einen neuen Beweis ab für
den Wunsch der preußischen Regierung, um jeden Preis des Krieges los zu werden.

Das Verschiedenartigste wirkte jetzt in Berlin zusammen. Mehr und mehr
lernte man den Krieg als einen solchen betrachten, mit dessen Führung Preußen
sein eigenes Interesse der deutschen Sache opferte. In den preußischen Küsten¬
städten begann man über die Handelsbeschwerdcn um so lebhafter zu klagen,
je mehr die Hoffnung verschwand, durch glänzende Kriegsthaten Befreiung oder
Genugthuung zu erhalten. Die preußische Regierung fühlte sich durch die
Haltung der deutschen Nationalversammlung, insbesondere durch die Behandlung,
welche in den Debatten über die Herstellung einer provisorischen Centralgewalt der
preußische Staat erfahren hatte, auss empfindlichste verletzt und daher doppelt
abgeneigt, um des guten Einvernehmens mit der Nationalversammlung willen
und im Vertrauen auf dasselbe sich dem Drängen und Drohen der europäischen
Mächte zu widersetzen. Aber alles dieß reicht doch kaum hin, um einen Waffen-
stillstandsentwurs, wie er am 2. Juli zu Malmö aufs Papier gebracht wurde,


Grenzboten I. 1864. 27

in Preußen, um Mitte Juni, das camphausenschc Ministerium auf, und in dem
neuen, auerswald-hansemannschen Cabinet fehlte es der Schleswig-holsteinischen
Sache an einem so entschiedenen Vertreter wie der Baron Heinrich von Arnim
in dem früheren gewesen. Jetzt steigerten sich die Zumuthungen Englands
an Preußen in der Waffenstillstandsangelegenheit bedeutend; Preußen Hinwider
hielt es gerathener, durch eine Annäherung an Schweden und Rußland sich
wo möglich diese Mächte günstiger zu stimmen; und so geschah es, daß gegen
Ende des Juni die südschwedische Stadt Malmö, nach der sich der König Oskar
begeben hatte, zu dem Orte wurde, wo preußische und dänische Diplomaten
zur Verhandlung des Waffenstillstands unter schwedischer Vermittlung zusammen¬
treten. Eine neue Bewegung auf dem Kriegschauplatze war hiervon die nächste
Folge. Es verstand sich nämlich von selbst, daß die Stellungen, die jeder der
kriegführenden Theile im Augenblicke des Abschlusses einnähme, in mancher Rück¬
sicht von Wichtigkeit werden konnten; außerdem drängten, von Frankfurt her,
Bundestag und Nationalversammlung zu einer Verjagung der Dänen aus dem
nördlichen Schleswig. Da nun der Grund, um deswillen sich Wrangel vor vier
Wochen nach dem Süden gezogen, ohnehin durch die inzwischen erhaltenen Verstär¬
kungen sowie durch den Umstand hinwegficl, daß seitdem der größte Theil der däni¬
schen Streitkräfte von der Insel Alsen nach dem nördlichen Schleswig übergesetzt
war, so rückte Wrangel wieder gegen den Norden vor. Die Dänen wichen
zurück, indem sie nur, am 29. Juni bei Hadersleben, den Schleswig-holsteinischen
Truppen eine Gelegenheit gaben ihre Tapferkeit an den Tag zu legen; ohne son¬
derliche Anstrengung gelangte der deutsche Feldherr bis an die jütländische Grenze,
diesmal freilich an derselben Halt machend. Was aber inzwischen zu Malmö ab¬
gehandelt wurde, das entsprach nicht diesem neuen Beweise von der Ueberlegenheit
der deutschen Waffen, sondern legte vielmehr nur einen neuen Beweis ab für
den Wunsch der preußischen Regierung, um jeden Preis des Krieges los zu werden.

Das Verschiedenartigste wirkte jetzt in Berlin zusammen. Mehr und mehr
lernte man den Krieg als einen solchen betrachten, mit dessen Führung Preußen
sein eigenes Interesse der deutschen Sache opferte. In den preußischen Küsten¬
städten begann man über die Handelsbeschwerdcn um so lebhafter zu klagen,
je mehr die Hoffnung verschwand, durch glänzende Kriegsthaten Befreiung oder
Genugthuung zu erhalten. Die preußische Regierung fühlte sich durch die
Haltung der deutschen Nationalversammlung, insbesondere durch die Behandlung,
welche in den Debatten über die Herstellung einer provisorischen Centralgewalt der
preußische Staat erfahren hatte, auss empfindlichste verletzt und daher doppelt
abgeneigt, um des guten Einvernehmens mit der Nationalversammlung willen
und im Vertrauen auf dasselbe sich dem Drängen und Drohen der europäischen
Mächte zu widersetzen. Aber alles dieß reicht doch kaum hin, um einen Waffen-
stillstandsentwurs, wie er am 2. Juli zu Malmö aufs Papier gebracht wurde,


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[0219] in Preußen, um Mitte Juni, das camphausenschc Ministerium auf, und in dem neuen, auerswald-hansemannschen Cabinet fehlte es der Schleswig-holsteinischen Sache an einem so entschiedenen Vertreter wie der Baron Heinrich von Arnim in dem früheren gewesen. Jetzt steigerten sich die Zumuthungen Englands an Preußen in der Waffenstillstandsangelegenheit bedeutend; Preußen Hinwider hielt es gerathener, durch eine Annäherung an Schweden und Rußland sich wo möglich diese Mächte günstiger zu stimmen; und so geschah es, daß gegen Ende des Juni die südschwedische Stadt Malmö, nach der sich der König Oskar begeben hatte, zu dem Orte wurde, wo preußische und dänische Diplomaten zur Verhandlung des Waffenstillstands unter schwedischer Vermittlung zusammen¬ treten. Eine neue Bewegung auf dem Kriegschauplatze war hiervon die nächste Folge. Es verstand sich nämlich von selbst, daß die Stellungen, die jeder der kriegführenden Theile im Augenblicke des Abschlusses einnähme, in mancher Rück¬ sicht von Wichtigkeit werden konnten; außerdem drängten, von Frankfurt her, Bundestag und Nationalversammlung zu einer Verjagung der Dänen aus dem nördlichen Schleswig. Da nun der Grund, um deswillen sich Wrangel vor vier Wochen nach dem Süden gezogen, ohnehin durch die inzwischen erhaltenen Verstär¬ kungen sowie durch den Umstand hinwegficl, daß seitdem der größte Theil der däni¬ schen Streitkräfte von der Insel Alsen nach dem nördlichen Schleswig übergesetzt war, so rückte Wrangel wieder gegen den Norden vor. Die Dänen wichen zurück, indem sie nur, am 29. Juni bei Hadersleben, den Schleswig-holsteinischen Truppen eine Gelegenheit gaben ihre Tapferkeit an den Tag zu legen; ohne son¬ derliche Anstrengung gelangte der deutsche Feldherr bis an die jütländische Grenze, diesmal freilich an derselben Halt machend. Was aber inzwischen zu Malmö ab¬ gehandelt wurde, das entsprach nicht diesem neuen Beweise von der Ueberlegenheit der deutschen Waffen, sondern legte vielmehr nur einen neuen Beweis ab für den Wunsch der preußischen Regierung, um jeden Preis des Krieges los zu werden. Das Verschiedenartigste wirkte jetzt in Berlin zusammen. Mehr und mehr lernte man den Krieg als einen solchen betrachten, mit dessen Führung Preußen sein eigenes Interesse der deutschen Sache opferte. In den preußischen Küsten¬ städten begann man über die Handelsbeschwerdcn um so lebhafter zu klagen, je mehr die Hoffnung verschwand, durch glänzende Kriegsthaten Befreiung oder Genugthuung zu erhalten. Die preußische Regierung fühlte sich durch die Haltung der deutschen Nationalversammlung, insbesondere durch die Behandlung, welche in den Debatten über die Herstellung einer provisorischen Centralgewalt der preußische Staat erfahren hatte, auss empfindlichste verletzt und daher doppelt abgeneigt, um des guten Einvernehmens mit der Nationalversammlung willen und im Vertrauen auf dasselbe sich dem Drängen und Drohen der europäischen Mächte zu widersetzen. Aber alles dieß reicht doch kaum hin, um einen Waffen- stillstandsentwurs, wie er am 2. Juli zu Malmö aufs Papier gebracht wurde, Grenzboten I. 1864. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/219>, abgerufen am 24.07.2024.