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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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zu Ende ging und ich weder mehr zu fitzen noch zu stehen im Stande war.
Nachtquartier zu machen beschloß. In der That, mein Sitzorgan that mir
fabelhaft weh. Ich bekam auch ein gutes Quartier mit einem sehr saubern
Bett, in welchem ich bis an den hellen Morgen schlief. Gleich nach dem Früh¬
stück brach ich auf und marschirte bis Versailles, das etwa vier Lieues von
Rambouillet ist. Als ich mich der Stadt näherte, holte mich ein großer zwei-
rädriger Karren ein, auf welchem meine Kameraden saßen. Sie waren nicht
wenig verwundert, mich zu sehen und konnten nicht begreifen, wo ich so früh
schon herkam. Das Beste aber war. daß sie noch einen Platz frei hatten und
ihn mir anboten.

In Versailles blieben wir die Nacht, und am folgenden Tage wurde
Paris erreicht. Es war gegen zehn Uhr Vormittags, als wir vor der Stadt
anlangten, und gleich nachdem wir die Barriere passirt hatten, erblickte ich
den Generalintendanten der Armee Staatsrath v. Ribbentrop, den ich in
Troyes kennen gelernt. Ich sprang sofort vom Wagen, begrüßte ihn und
sagte: "Das ist ja ein großes Glück, Herr Generalintendant, daß wir bei
unserm Eintritt in Paris gleich Ihnen begegnen, dem Mann, der uns in
unserer Noth helfen kann und wird." Er erwiderte freundlich meine Ansprache
und erkundigte sich, wo wir herkämen, worauf ich ihm denn in aller Kürze die
Abenteuer meiner abermaligen Gefangenschaft mittheilte. Er wünschte uns
Glück zu unsrer Befreiung, bedauerte aber, daß er uns nichts nützen könne,
da er leider noch kein Geld habe, uns also auch nichts geben könne. Er ent¬
ließ mich und hatte noch die Güte mir zu sagen: daß wir auf der Municipali¬
tät auch den Commandanten von Paris, Obersten Graf v. d. G. finden würden.

Wir begaben uns nun nach der Manie, wo wir nach dem Commandanten
fragten und in ein großes Zimmer gewiesen wurden, in dem wir einen Offi¬
zier vom Generalstabe -- ich glaube es war ein Hauptmann -- fanden, der
uns nach unserm Begehren fragte. Wir sagten, wer wir wären und wo wir
herkämen, und baten um Quartier sowie um Mittel, uns wieder vffiziermäßig
zu arrangiren. Er erwiderte zu unserm großen Erstaunen, Quartier könnten
wir nicht bekommen; nur die Garden würden einquartiert, das sei gemessener
königlicher Befehl. Da nun alle verstummten, auch der Hauptmann, unser
Commandeur vom Marschbataillon, so nahm ich das Wort und entgegnete:
"Das glaube ich nicht, das ist unmöglich; für Offiziere in unserer Lage müssen
Ausnahmen stattfinden." Barsch antwortete er: es sei so und er könne uns
nicht helfen. "Nun denn," sagte ich, "so bleiben wir hier in der Stube, hier
ist es warm, und wo Sie essen, werden wohl auch wir satt werden." Hierauf
wurde er grob und gebot uns, das Zimmer zu verlassen, er habe mehr zu
thun. Während dieses Wortwechsels, der ziemlich laut geworden war, kam
aus einem Zimmer daneben der Oberst Gras v. d. G. selbst und fragte, was


zu Ende ging und ich weder mehr zu fitzen noch zu stehen im Stande war.
Nachtquartier zu machen beschloß. In der That, mein Sitzorgan that mir
fabelhaft weh. Ich bekam auch ein gutes Quartier mit einem sehr saubern
Bett, in welchem ich bis an den hellen Morgen schlief. Gleich nach dem Früh¬
stück brach ich auf und marschirte bis Versailles, das etwa vier Lieues von
Rambouillet ist. Als ich mich der Stadt näherte, holte mich ein großer zwei-
rädriger Karren ein, auf welchem meine Kameraden saßen. Sie waren nicht
wenig verwundert, mich zu sehen und konnten nicht begreifen, wo ich so früh
schon herkam. Das Beste aber war. daß sie noch einen Platz frei hatten und
ihn mir anboten.

In Versailles blieben wir die Nacht, und am folgenden Tage wurde
Paris erreicht. Es war gegen zehn Uhr Vormittags, als wir vor der Stadt
anlangten, und gleich nachdem wir die Barriere passirt hatten, erblickte ich
den Generalintendanten der Armee Staatsrath v. Ribbentrop, den ich in
Troyes kennen gelernt. Ich sprang sofort vom Wagen, begrüßte ihn und
sagte: „Das ist ja ein großes Glück, Herr Generalintendant, daß wir bei
unserm Eintritt in Paris gleich Ihnen begegnen, dem Mann, der uns in
unserer Noth helfen kann und wird." Er erwiderte freundlich meine Ansprache
und erkundigte sich, wo wir herkämen, worauf ich ihm denn in aller Kürze die
Abenteuer meiner abermaligen Gefangenschaft mittheilte. Er wünschte uns
Glück zu unsrer Befreiung, bedauerte aber, daß er uns nichts nützen könne,
da er leider noch kein Geld habe, uns also auch nichts geben könne. Er ent¬
ließ mich und hatte noch die Güte mir zu sagen: daß wir auf der Municipali¬
tät auch den Commandanten von Paris, Obersten Graf v. d. G. finden würden.

Wir begaben uns nun nach der Manie, wo wir nach dem Commandanten
fragten und in ein großes Zimmer gewiesen wurden, in dem wir einen Offi¬
zier vom Generalstabe — ich glaube es war ein Hauptmann — fanden, der
uns nach unserm Begehren fragte. Wir sagten, wer wir wären und wo wir
herkämen, und baten um Quartier sowie um Mittel, uns wieder vffiziermäßig
zu arrangiren. Er erwiderte zu unserm großen Erstaunen, Quartier könnten
wir nicht bekommen; nur die Garden würden einquartiert, das sei gemessener
königlicher Befehl. Da nun alle verstummten, auch der Hauptmann, unser
Commandeur vom Marschbataillon, so nahm ich das Wort und entgegnete:
„Das glaube ich nicht, das ist unmöglich; für Offiziere in unserer Lage müssen
Ausnahmen stattfinden." Barsch antwortete er: es sei so und er könne uns
nicht helfen. „Nun denn," sagte ich, „so bleiben wir hier in der Stube, hier
ist es warm, und wo Sie essen, werden wohl auch wir satt werden." Hierauf
wurde er grob und gebot uns, das Zimmer zu verlassen, er habe mehr zu
thun. Während dieses Wortwechsels, der ziemlich laut geworden war, kam
aus einem Zimmer daneben der Oberst Gras v. d. G. selbst und fragte, was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/198>, abgerufen am 01.07.2024.