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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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gestern die Friedensbotschaft verkündigt hatte. Es war ein stattlicher Jäger
dabei, den ich fragte, wem die Equipage gehöre, und der meine Vermuthung
bestätigte. Der Minister kehrte von der Kaiserin nach Paris zurück. Ich er¬
kundigte mich, wie lange er sich wohl hier aufhalten werde? "Nicht lange,"
meinte er, "er frühstückt ein bischen, etwa eine halbe Stunde." Ich lief nun
flink nach einem Kittel av rÄi'rÄieKissömöirt, das ich auf der Municipalität er¬
hielt, und fand bald meinen Wirth. Nachdem ich um etwas Brod und Wein ge¬
beten, trank ich letzteren, das Brod aber nahm ich in die Hand, ein Stück
Käse auch, und so wandte ich mich dem Thore zu, sah die Equipage richtig
noch vor der Post halten und schritt nun auf der schönen, mit lauter viereckigen
Steinen gepflasterten großen Straße vorwärts. Als ich den Wagen zuerst ge¬
sehen, war mir der Gedanke durch den Kopf geschossen: wenn er doch nach
Paris führe und ich mit könnte, und als ich erfahren, wer der Besitzer sei,
halte ich einen Augenblick die Idee, den Minister zu bitten, mich mitzunehmen
verwarf sie aber gleich wieder, indem ich eine abschlägige Antwort fürchtete,
und machte mir einen andern Plan. Ich mochte ohngefähr eine halbe Stunde
gegangen sein, als der Wagen mich einholte. Behend sprang ich hinten auf,
und fort ging es theils im Galopp, theils im raschen Trabe; denn die fran¬
zösischen Posten fahren sehr schnell. Das hielt ich ohngefähr eine Stunde aus,
da erhob ich mich und stellte mich wie ein Diener hinten auf, die Erschütterung
war aber noch schlimmer als im Sitzen, und so versuchte ich es, auf den Zehen
zu stehen, und siehe da, es war jetzt zum Aushalten.

So habe ich den ganzen Tag abwechselnd gesessen und gestanden. Kamen wir
an ein Städtchen, wo nach meiner Vermuthung die Pferde gewechselt wurden, so
sprang ich ab, ging so geschwind als möglich durch den Ort und aus der Chaussee
wieder voran, und so -- es mochte nach meiner Rechnung fünf Uhr sein -- kamen
wir endlich in die hübsche kleine Stadt Chartres. Ich war sehr hungrig und
beschloß, hier zu Mittag zu essen. Ich fuhr diesmal mit bis vor das Posthaus,
sprang ab, als der Wagen hielt, und ging einige Schritte zurück, während der
Jäger vom Bock und der Minister ausstieg. Der erstere bemerkte mich, sagte
aber nichts, obgleich er mich etwas verwundert anblickte. Hierdurch zuversicht¬
lich gemacht, fragte ich ihn, ob die Excellenz vielleicht hier diniren würde?
Er bejahte es ganz artig, und nun lief ich wieder nach der Municipalitö, ließ
mir ein Billet geben, auf welchem zu meiner Genugthuung und Verwunderung
"pour amor" stand. Auch hatte mich ein gutes Loos getroffen, bei einem an¬
ständigen Bürger, wo ich vorzüglich gut aß und ein nettes Glas Wein dazu bekam.
Ich unterhielt mich ein wenig mit dem Wirth, der ganz glücklich über den
Frieden war, und eilte dann, durch das Mahl gestärkt, schnell auf die pariser
Chaussee, um meinen Minister nicht zu verpassen. Der holte mich denn auch
bald ein, und nun fuhr ich noch bis nach Rambouillet, wo ich, da der Tag


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gestern die Friedensbotschaft verkündigt hatte. Es war ein stattlicher Jäger
dabei, den ich fragte, wem die Equipage gehöre, und der meine Vermuthung
bestätigte. Der Minister kehrte von der Kaiserin nach Paris zurück. Ich er¬
kundigte mich, wie lange er sich wohl hier aufhalten werde? „Nicht lange,"
meinte er, „er frühstückt ein bischen, etwa eine halbe Stunde." Ich lief nun
flink nach einem Kittel av rÄi'rÄieKissömöirt, das ich auf der Municipalität er¬
hielt, und fand bald meinen Wirth. Nachdem ich um etwas Brod und Wein ge¬
beten, trank ich letzteren, das Brod aber nahm ich in die Hand, ein Stück
Käse auch, und so wandte ich mich dem Thore zu, sah die Equipage richtig
noch vor der Post halten und schritt nun auf der schönen, mit lauter viereckigen
Steinen gepflasterten großen Straße vorwärts. Als ich den Wagen zuerst ge¬
sehen, war mir der Gedanke durch den Kopf geschossen: wenn er doch nach
Paris führe und ich mit könnte, und als ich erfahren, wer der Besitzer sei,
halte ich einen Augenblick die Idee, den Minister zu bitten, mich mitzunehmen
verwarf sie aber gleich wieder, indem ich eine abschlägige Antwort fürchtete,
und machte mir einen andern Plan. Ich mochte ohngefähr eine halbe Stunde
gegangen sein, als der Wagen mich einholte. Behend sprang ich hinten auf,
und fort ging es theils im Galopp, theils im raschen Trabe; denn die fran¬
zösischen Posten fahren sehr schnell. Das hielt ich ohngefähr eine Stunde aus,
da erhob ich mich und stellte mich wie ein Diener hinten auf, die Erschütterung
war aber noch schlimmer als im Sitzen, und so versuchte ich es, auf den Zehen
zu stehen, und siehe da, es war jetzt zum Aushalten.

So habe ich den ganzen Tag abwechselnd gesessen und gestanden. Kamen wir
an ein Städtchen, wo nach meiner Vermuthung die Pferde gewechselt wurden, so
sprang ich ab, ging so geschwind als möglich durch den Ort und aus der Chaussee
wieder voran, und so — es mochte nach meiner Rechnung fünf Uhr sein — kamen
wir endlich in die hübsche kleine Stadt Chartres. Ich war sehr hungrig und
beschloß, hier zu Mittag zu essen. Ich fuhr diesmal mit bis vor das Posthaus,
sprang ab, als der Wagen hielt, und ging einige Schritte zurück, während der
Jäger vom Bock und der Minister ausstieg. Der erstere bemerkte mich, sagte
aber nichts, obgleich er mich etwas verwundert anblickte. Hierdurch zuversicht¬
lich gemacht, fragte ich ihn, ob die Excellenz vielleicht hier diniren würde?
Er bejahte es ganz artig, und nun lief ich wieder nach der Municipalitö, ließ
mir ein Billet geben, auf welchem zu meiner Genugthuung und Verwunderung
„pour amor" stand. Auch hatte mich ein gutes Loos getroffen, bei einem an¬
ständigen Bürger, wo ich vorzüglich gut aß und ein nettes Glas Wein dazu bekam.
Ich unterhielt mich ein wenig mit dem Wirth, der ganz glücklich über den
Frieden war, und eilte dann, durch das Mahl gestärkt, schnell auf die pariser
Chaussee, um meinen Minister nicht zu verpassen. Der holte mich denn auch
bald ein, und nun fuhr ich noch bis nach Rambouillet, wo ich, da der Tag


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/197>, abgerufen am 29.06.2024.