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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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das für ein Lärmen sei? Der Generalstabsoffizier meldete ihm nun den Vor¬
gang in entstellter und übertriebener Weise, indem er sagte, wir hätten auf
eine wenig bescheidene Art Quartier und Mittel gefordert, und als er uns be¬
merkt, das konnten wir nicht erhalten, weil dies der Befehl des Königs, habe
ich geäußert, dies sei nicht zu glauben. Der Oberst sagte, es sei so, gleich¬
viel ob wir es glauben wollten oder nicht, worauf ich erwiderte: "Nun gut,
dann bleiben wir hier und gehen nicht von der Stelle, bis uns ein Unter¬
kommen und Existenzmittel angewiesen werden." Da wurde auch der Oberst un¬
willig und drohte, mich arretiren zu lassen. Ich antwortete gelassen: "Thun
Sie es doch nur; wir verlangen nichts Besseres, denn da müssen Sie uns doch
Obdach geben, und verhungern können Sie uns auch nicht lassen." Hierauf
befahl er dem Generalstabsvsfizicr, für uns fünf eine Anweisung auf Quartier
für fünf Tage mit Verpflegung zu geben. Wir dankten ihm und, auf das
Billetamt gewiesen, welches in demselben Hause war, erhielten wir eine Quar¬
tieranweisung bei einem NvuLikur I'ourllisi-, ^ii-rclinier tieuristö ruf Le. ^ii^nos
uro. 59. Diese Scene ist so lebhaft in meinem Gedächtniß eingegraben,
daß ich nicht ein Jota davon vergessen habe, ich hatte mich gar zu schmählich
geärgert. Unsern Wagen hatten wir, weil wir ohne alles Gepäck waren --
aus der Gefangenschaft bringt man in der Regel nichts mit -- fahren lassen,
wir mußten also in dem großen Paris unser Quartier zu Fuß aufsuchen; denn
einen Fiaker zu nehmen, hatten wir kein Geld, alle nicht einen Sou, das
Quartier aber war eine Stunde weit.

Wir wurden von unserm Wirth, der sehr wohlhabend zu sein schien, freund¬
lich aufgenommen, erhielten zwei sauber eingerichtete Zimmer angewiesen und
bald wurde auch ein sehr anständiges Gabelfrühstück aufgetragen. Als wir un¬
sere Zimmer mit unserm Ajustement verglichen, war der Contrast so, daß wir
beschlossen, zwar bei Tage in diesen Gemächern zu bleiben, von den schönen
reinen Betten aber keinen Gebrauch zu machen. Nach dem Mittagocssen, bei wel¬
chem unser Wirth (er war früher in Ungarn beim Fürsten Esterhazv gewesen)
sich sehr lebhaft mit uns unterhielt und sich äußerst befriedigt über den Sturz
Napoleons aussprach, rief ich ihn demnach bei Seite und bat ihn, uns ein
ruhiges Kämmerchen anzuweisen, worin er uns von einigen Bund Stroh ein
Lager bereiten lassen wolle; wir wären daran gewöhnt und wollten ihm, da
er so freundlich und anständig gegen uns sei, nicht zum Dank seine Betten ver¬
unreinigen; eher hofften wir morgen von diesen Gebrauch zu machen, wenn
wir wieder wie civilisirte Menschen beschaffen wären. Nach vielem Weigern
willfahrte er uns; wir bekamen ein hübsches Stübchen und eine schöne Streu
und zogen uns gar nicht erst aus, sondern schliefen wie wir waren ganz präch¬
tig, es war ja doch golden gegen das Liegen auf den Steinfliesen in den
Kirchen.


das für ein Lärmen sei? Der Generalstabsoffizier meldete ihm nun den Vor¬
gang in entstellter und übertriebener Weise, indem er sagte, wir hätten auf
eine wenig bescheidene Art Quartier und Mittel gefordert, und als er uns be¬
merkt, das konnten wir nicht erhalten, weil dies der Befehl des Königs, habe
ich geäußert, dies sei nicht zu glauben. Der Oberst sagte, es sei so, gleich¬
viel ob wir es glauben wollten oder nicht, worauf ich erwiderte: „Nun gut,
dann bleiben wir hier und gehen nicht von der Stelle, bis uns ein Unter¬
kommen und Existenzmittel angewiesen werden." Da wurde auch der Oberst un¬
willig und drohte, mich arretiren zu lassen. Ich antwortete gelassen: „Thun
Sie es doch nur; wir verlangen nichts Besseres, denn da müssen Sie uns doch
Obdach geben, und verhungern können Sie uns auch nicht lassen." Hierauf
befahl er dem Generalstabsvsfizicr, für uns fünf eine Anweisung auf Quartier
für fünf Tage mit Verpflegung zu geben. Wir dankten ihm und, auf das
Billetamt gewiesen, welches in demselben Hause war, erhielten wir eine Quar¬
tieranweisung bei einem NvuLikur I'ourllisi-, ^ii-rclinier tieuristö ruf Le. ^ii^nos
uro. 59. Diese Scene ist so lebhaft in meinem Gedächtniß eingegraben,
daß ich nicht ein Jota davon vergessen habe, ich hatte mich gar zu schmählich
geärgert. Unsern Wagen hatten wir, weil wir ohne alles Gepäck waren —
aus der Gefangenschaft bringt man in der Regel nichts mit — fahren lassen,
wir mußten also in dem großen Paris unser Quartier zu Fuß aufsuchen; denn
einen Fiaker zu nehmen, hatten wir kein Geld, alle nicht einen Sou, das
Quartier aber war eine Stunde weit.

Wir wurden von unserm Wirth, der sehr wohlhabend zu sein schien, freund¬
lich aufgenommen, erhielten zwei sauber eingerichtete Zimmer angewiesen und
bald wurde auch ein sehr anständiges Gabelfrühstück aufgetragen. Als wir un¬
sere Zimmer mit unserm Ajustement verglichen, war der Contrast so, daß wir
beschlossen, zwar bei Tage in diesen Gemächern zu bleiben, von den schönen
reinen Betten aber keinen Gebrauch zu machen. Nach dem Mittagocssen, bei wel¬
chem unser Wirth (er war früher in Ungarn beim Fürsten Esterhazv gewesen)
sich sehr lebhaft mit uns unterhielt und sich äußerst befriedigt über den Sturz
Napoleons aussprach, rief ich ihn demnach bei Seite und bat ihn, uns ein
ruhiges Kämmerchen anzuweisen, worin er uns von einigen Bund Stroh ein
Lager bereiten lassen wolle; wir wären daran gewöhnt und wollten ihm, da
er so freundlich und anständig gegen uns sei, nicht zum Dank seine Betten ver¬
unreinigen; eher hofften wir morgen von diesen Gebrauch zu machen, wenn
wir wieder wie civilisirte Menschen beschaffen wären. Nach vielem Weigern
willfahrte er uns; wir bekamen ein hübsches Stübchen und eine schöne Streu
und zogen uns gar nicht erst aus, sondern schliefen wie wir waren ganz präch¬
tig, es war ja doch golden gegen das Liegen auf den Steinfliesen in den
Kirchen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/199>, abgerufen am 02.10.2024.