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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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londoner Sängerin, welche damit in England viel Furore gemacht hat, ver¬
zeiht man wohl das Ansinnen, so etwas hier in Deutschland zu hören zu ge¬
ben, aber das Gcwandhauspublicum sollte durch die Direction vor solchen Ab¬
fällen der musikalischen Production behütet werden,

Frl. Hedwig Decker aus Berlin, wie es schien eine Anfängerin, sang die
Arie aus der Schöpfung- "Auf starkem Fittige" und die Solopartie in der
hillerschen Lorelei.

Eine musikalisch interessante Erscheinung war Frl. Bettelheim aus Wien,
welche, im Besitze eines vortrefflichen Contraalt, nicht nur durch eine leichte
Indisposition der Stimme, sondern leider auch durch große Manierirtheit und
allzustarkes Auftragen den vorteilhaften Eindruck verkümmerte, den ihre schönen
Mittel und ein ausgiebiges Talent erzielen konnten. Sie sang eine Arie aus
der Oper Mitrane von Rossi, eine Arie aus Handels Herakles und Lieder am
Clavier.

Bon Herren traten außer einem jungen lyrischen Tenor, Herrn Schild aus
Solothurn, der die Freischützscene und Arie mit verdientem Erfolg vortrug,
noch Herr Hofopernsänger Rudolph aus Dresden auf. Er hatte die nicht sehr
bedeutende Tenvrparthie in Hillers Lorelei übernommen und rief durch die
Ausführung derselben die bekannte Frage wach, warum man immer weiter
schweifen wolle, da zwar nicht das Gute, aber doch das Mittelmäßige dieser
Gattung so nahe liegt.

Eine wahre Erquickung in unsrer stimmen- und gesangarmen Zeit bereitete
uns der hannoversche Opernsänger Herr I)r. Gunz, dessen klangvoller, bieg¬
samer und feingeschulter Tenor bereits allgemeine Anerkennung gesunden hat.
Unter den drei Stücken, die er vortrug, einer Arie aus der weißen Dame, dem
großen Recitativ mit Arie aus dem Fidelio und einigen Liedern verdiente die
größte Anerkennung sein Bortrag der Arie von Boieldieu, während uns seine
Auffassung der beethvvenschen Arie, besonders im Schlußsätze, weniger anzu¬
sprechen vermochte.

4) Um nun endlich noch der Jnstrumentalsoli zu gedenken, so sei vor
allem erwähnt, daß Frau Clara Schumann auch diesen Winter wieder ein
Concert mit ihrem meisterhaften Spiele schmückte. Gegenüber dem kühlen ver¬
standesmäßigen und einseitig charakterisirenden Vortrage anderer, selbst bedeu¬
tender Claviervirtuosen ist sie mit ihrer klaren und dabei bescheiden zurück¬
tretenden Technik, ihrer schönen Begeisterung und dem künstlerischen Hauche,
der allen ihren Leistungen eignet, eine doppelt willkommene Erscheinung. Leider
wurde der Genuß durch eine den Temperaturverhältnissen zuzuschreibende Ver¬
stimmung des Instruments in etwas getrübt, und diesem Umstände möchten
wir auch zuschreiben, daß die verehrte Künstlerin die Tempi an jenem
Abende mitunter etwas zu hastig nahm. Doch zeigte sich dies allerdings


londoner Sängerin, welche damit in England viel Furore gemacht hat, ver¬
zeiht man wohl das Ansinnen, so etwas hier in Deutschland zu hören zu ge¬
ben, aber das Gcwandhauspublicum sollte durch die Direction vor solchen Ab¬
fällen der musikalischen Production behütet werden,

Frl. Hedwig Decker aus Berlin, wie es schien eine Anfängerin, sang die
Arie aus der Schöpfung- „Auf starkem Fittige" und die Solopartie in der
hillerschen Lorelei.

Eine musikalisch interessante Erscheinung war Frl. Bettelheim aus Wien,
welche, im Besitze eines vortrefflichen Contraalt, nicht nur durch eine leichte
Indisposition der Stimme, sondern leider auch durch große Manierirtheit und
allzustarkes Auftragen den vorteilhaften Eindruck verkümmerte, den ihre schönen
Mittel und ein ausgiebiges Talent erzielen konnten. Sie sang eine Arie aus
der Oper Mitrane von Rossi, eine Arie aus Handels Herakles und Lieder am
Clavier.

Bon Herren traten außer einem jungen lyrischen Tenor, Herrn Schild aus
Solothurn, der die Freischützscene und Arie mit verdientem Erfolg vortrug,
noch Herr Hofopernsänger Rudolph aus Dresden auf. Er hatte die nicht sehr
bedeutende Tenvrparthie in Hillers Lorelei übernommen und rief durch die
Ausführung derselben die bekannte Frage wach, warum man immer weiter
schweifen wolle, da zwar nicht das Gute, aber doch das Mittelmäßige dieser
Gattung so nahe liegt.

Eine wahre Erquickung in unsrer stimmen- und gesangarmen Zeit bereitete
uns der hannoversche Opernsänger Herr I)r. Gunz, dessen klangvoller, bieg¬
samer und feingeschulter Tenor bereits allgemeine Anerkennung gesunden hat.
Unter den drei Stücken, die er vortrug, einer Arie aus der weißen Dame, dem
großen Recitativ mit Arie aus dem Fidelio und einigen Liedern verdiente die
größte Anerkennung sein Bortrag der Arie von Boieldieu, während uns seine
Auffassung der beethvvenschen Arie, besonders im Schlußsätze, weniger anzu¬
sprechen vermochte.

4) Um nun endlich noch der Jnstrumentalsoli zu gedenken, so sei vor
allem erwähnt, daß Frau Clara Schumann auch diesen Winter wieder ein
Concert mit ihrem meisterhaften Spiele schmückte. Gegenüber dem kühlen ver¬
standesmäßigen und einseitig charakterisirenden Vortrage anderer, selbst bedeu¬
tender Claviervirtuosen ist sie mit ihrer klaren und dabei bescheiden zurück¬
tretenden Technik, ihrer schönen Begeisterung und dem künstlerischen Hauche,
der allen ihren Leistungen eignet, eine doppelt willkommene Erscheinung. Leider
wurde der Genuß durch eine den Temperaturverhältnissen zuzuschreibende Ver¬
stimmung des Instruments in etwas getrübt, und diesem Umstände möchten
wir auch zuschreiben, daß die verehrte Künstlerin die Tempi an jenem
Abende mitunter etwas zu hastig nahm. Doch zeigte sich dies allerdings


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/194>, abgerufen am 02.07.2024.