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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Passagen vor allem der Contrabässe und Holzbläser sich verwischen und verschif¬
fen; daher kommt auch jenes allzuscharfe Accentuiren und nuanciren, bei denen
man zwar die Einheit und das Gemeingefühl des Orchesters bewundern, aber
auch meistens den Componisten beklagen muß, dem durch diese Darstellung sei¬
nes Werkes sicher Unrecht geschieht. Es ist zu wünschen, daß diese allerdings
interessante und pikante, aber auch nervös-gereizte und dem Einfach-Großen
fremde Behandlung großer Meisterwerke einer bescheidneren aber würdigeren
Platz mache, daß man die Individualität der Zeit, des Meisters und des Wer¬
kes mehr berücksichtigt und auf diese Weise jene Unebenheiten fern hält, welche
den sonst ungetrübt reinen Genuß an den Werken und ihrer Aufführung min¬
dern und stören müssen.

Die ersten zehn Concerte dieses Winters brachten folgende Musikstücke:

1) Jnstrumentalwerke: I. S. Bach, Concert für Streichinstrumente.
PH. E. Bach, Symphonie ä aur (mit manchen Veränderungen, welche nicht
ohne alle Bedenken sind); I. Haydn, Symphonie ä aur (Ur. 33); Gluck, Ouver¬
türe zur Iphigenie in Antis; Mozart, Symphonie Z moll; Beethoven, Sym¬
phonie e moll, g. aur und Ervica, und Leonorenouvertüre (Ur. 3); Cheru¬
bini, Ouvertüre zu Anakreon; Cadet, Ouvertüre zu Semiramis; K. W. v. Weber,
Ouvertüre zu Euryanthe; Mendelssohn, Symphonie g, ruoll und Hevridenouver-
türe; N. Schumann, Symphonie ä woll (Ur. 4), Ouvertüre, Scherzo und
Finale, und die Genofevaouvertüre; N. Gabe, Simphonie b aur (Ur. 4),
K. Reinecke, Symphonie g, aur (neu, Manuscript); Vvlkmann, Symphonie
ä moll und Jadassohn, Symphonie g, aur (Ur. 2).

2) Größere Gesangwerke: Haydns Cantate: der Sturm; Webers Cantate:
Kampf und Sieg; Hillers Lorelei; W. Bargiel, der 13. Psalm; und hieran sei
noch angeschlossen Schumanns: Zigeunerleben, instrumentirt von Gradener,
welches, der Intention des Gedichtes zuwider, aber vermuthlich seiner Kürze
wegen wiederholt wurde.

3) Der Sologesang war vertreten durch die Damen: Euphrosine Parepa
aus London, mit einer Arie aus Händels Judas Makkabäus. der Arie: "Nun
beut die Flur" aus Haydns Schöpfung, Recitativ und Arie von I. Benedict,
der Arie aus der Zauberflöte: "Der Hölle Rache", der Arie aus Händels Samson
mit obligater Trompete, Recitativ und Arie aus Aubers Falschmünzern und
zwei Volksliedern aus Wales und aus Spanien. Wir haben an Frl. Parepa
eine bedeutende virtuose Ausbildung der Stimme und des Gesangs zu ehren,
doch vermißten wir eine große und tiefe Auffassung, der diese Mittel dienstbar
gewesen wären. Etwas befremdlich war uns der Polyglotte Gesang, welcher
in vier Sprachen und einem Dialekt auftrat. Gern würden wir die zwei
Volkslieder entbehrt haben, und völlig ungehörig war die Vorführung eines so
erbärmlichen Effectstückes der gemeinsten Art, wie die benediktsche Arie. Einer


Passagen vor allem der Contrabässe und Holzbläser sich verwischen und verschif¬
fen; daher kommt auch jenes allzuscharfe Accentuiren und nuanciren, bei denen
man zwar die Einheit und das Gemeingefühl des Orchesters bewundern, aber
auch meistens den Componisten beklagen muß, dem durch diese Darstellung sei¬
nes Werkes sicher Unrecht geschieht. Es ist zu wünschen, daß diese allerdings
interessante und pikante, aber auch nervös-gereizte und dem Einfach-Großen
fremde Behandlung großer Meisterwerke einer bescheidneren aber würdigeren
Platz mache, daß man die Individualität der Zeit, des Meisters und des Wer¬
kes mehr berücksichtigt und auf diese Weise jene Unebenheiten fern hält, welche
den sonst ungetrübt reinen Genuß an den Werken und ihrer Aufführung min¬
dern und stören müssen.

Die ersten zehn Concerte dieses Winters brachten folgende Musikstücke:

1) Jnstrumentalwerke: I. S. Bach, Concert für Streichinstrumente.
PH. E. Bach, Symphonie ä aur (mit manchen Veränderungen, welche nicht
ohne alle Bedenken sind); I. Haydn, Symphonie ä aur (Ur. 33); Gluck, Ouver¬
türe zur Iphigenie in Antis; Mozart, Symphonie Z moll; Beethoven, Sym¬
phonie e moll, g. aur und Ervica, und Leonorenouvertüre (Ur. 3); Cheru¬
bini, Ouvertüre zu Anakreon; Cadet, Ouvertüre zu Semiramis; K. W. v. Weber,
Ouvertüre zu Euryanthe; Mendelssohn, Symphonie g, ruoll und Hevridenouver-
türe; N. Schumann, Symphonie ä woll (Ur. 4), Ouvertüre, Scherzo und
Finale, und die Genofevaouvertüre; N. Gabe, Simphonie b aur (Ur. 4),
K. Reinecke, Symphonie g, aur (neu, Manuscript); Vvlkmann, Symphonie
ä moll und Jadassohn, Symphonie g, aur (Ur. 2).

2) Größere Gesangwerke: Haydns Cantate: der Sturm; Webers Cantate:
Kampf und Sieg; Hillers Lorelei; W. Bargiel, der 13. Psalm; und hieran sei
noch angeschlossen Schumanns: Zigeunerleben, instrumentirt von Gradener,
welches, der Intention des Gedichtes zuwider, aber vermuthlich seiner Kürze
wegen wiederholt wurde.

3) Der Sologesang war vertreten durch die Damen: Euphrosine Parepa
aus London, mit einer Arie aus Händels Judas Makkabäus. der Arie: „Nun
beut die Flur" aus Haydns Schöpfung, Recitativ und Arie von I. Benedict,
der Arie aus der Zauberflöte: „Der Hölle Rache", der Arie aus Händels Samson
mit obligater Trompete, Recitativ und Arie aus Aubers Falschmünzern und
zwei Volksliedern aus Wales und aus Spanien. Wir haben an Frl. Parepa
eine bedeutende virtuose Ausbildung der Stimme und des Gesangs zu ehren,
doch vermißten wir eine große und tiefe Auffassung, der diese Mittel dienstbar
gewesen wären. Etwas befremdlich war uns der Polyglotte Gesang, welcher
in vier Sprachen und einem Dialekt auftrat. Gern würden wir die zwei
Volkslieder entbehrt haben, und völlig ungehörig war die Vorführung eines so
erbärmlichen Effectstückes der gemeinsten Art, wie die benediktsche Arie. Einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/193>, abgerufen am 04.07.2024.