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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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genügend motiviren und entschuldigen würde, so steht doch zu erwarten, daß
die Kostcncrböhung auf der anderen Seite durch erhebliche Ersparnisse aus¬
geglichen werden könnte. Die Ueberfülle kostspieliger und unbedeutender Virtuo¬
sen würde und mühte allmälig in Wegfall kommen; denn wie es schon jetzt,
wo das Programm sich nicht einer sonderlichen Strenge befleißigt, wunderbar
genug erscheint, wenn unmittelbar nach einer haydnschen Schöpfungsarie das
geistlose Geklingel einer Harfenphantasie von Parish-Alvars ertönt, so würde
der immer mehr geläuterte und durch Besseres genährte Geschmack des Publi-
cums jenem Zuckerwerk bald von selbst entsagen, das bekannte Motto des
Cvnccrtsaales: res severa est verum gÄuäium immer mehr beherzigen und
sein im guten Sinne durchaus berechtigtes Interesse für Virtuosität auf wahr¬
haft bedeutende Erscheinungen, wie z. B. Clara Schumann und I. Stockhausen
concentriren.

Sollte sich aber doch ein Theil in der Zuhörerschaft finden, welcher der
liebgewordenen Gewohnheit nicht entsagen möchte, so stände mit Sicherheit von
dem Kunstsinne der Direction zu erwarten, daß sie sich an die Böotier
unter ihren Athenern nicht kehren, und, im Bewußtsein, den Forderungen der
Kunst und des Institutes gleichmäßig gerecht geworden zu sein, ihren Weg
getrost verfolgen würde.----

Die Einrichtung der Programme ist im Wesentlichen dieselbe wie früher
geblieben. Das Concert zerfällt in zwei Theile, von denen der erste, eingeleitet
durch eine Ouvertüre oder eine kleinere Symphonie, den Solovvrträgen, der
zweite einem größeren Stücke, zumeist einer großen Symphonie gewidmet ist.

Bei dem vielfach sehr schwachen Theile der Solvvorträge. in denen sich oft das
traurigste Zerrbild der Musik vordrängt, concentrirt sich das Hauptinteresse auf
die Symphonien. Und mit Recht; denn auf diesem Gebiete sind die Leistungen
unseres Orchesters vortrefflich zu nennen. Dafür, daß dem Lichte der Schatten
nicht fehle, wird freilich durch ein neckisches Schicksal gesorgt, welches z. B. in
diesem Winter besonders die Hörner und Holzbläser zu verfolgen scheint, so
daß die bekannten Mißtöne in dieser Saison etwas häufiger erklangen als
selbst durch die Temperaturverhältnisse des Saales entschuldigt werden mag.

Ein tiefer greifender und empfindlicherer Uevelstand aber äußert sich in
den Tempi, in denen mancher schlimme Mißgriff zu registriren wäre. Gerade
hier zeigt es sich, was auch bei dem einzelnen ausübenden Musiker vorkommt,
daß ein so wobleingespieltes und der Schwierigkeiten Herr gewordenes Orchester
leicht verleitet wird, einen freien Gebrauch seines Könnens bis zu der Grenze
zu steigern, wo der Mißbrauch eintritt. Daher kommt dann jenes maßlose
Uebertreiben der Tempi, jene Hast und Ruhelosigkeit, mit der besonders die
ersten Geigen in schnellen Sätzen einherstürmcn, so daß die Figuren und


genügend motiviren und entschuldigen würde, so steht doch zu erwarten, daß
die Kostcncrböhung auf der anderen Seite durch erhebliche Ersparnisse aus¬
geglichen werden könnte. Die Ueberfülle kostspieliger und unbedeutender Virtuo¬
sen würde und mühte allmälig in Wegfall kommen; denn wie es schon jetzt,
wo das Programm sich nicht einer sonderlichen Strenge befleißigt, wunderbar
genug erscheint, wenn unmittelbar nach einer haydnschen Schöpfungsarie das
geistlose Geklingel einer Harfenphantasie von Parish-Alvars ertönt, so würde
der immer mehr geläuterte und durch Besseres genährte Geschmack des Publi-
cums jenem Zuckerwerk bald von selbst entsagen, das bekannte Motto des
Cvnccrtsaales: res severa est verum gÄuäium immer mehr beherzigen und
sein im guten Sinne durchaus berechtigtes Interesse für Virtuosität auf wahr¬
haft bedeutende Erscheinungen, wie z. B. Clara Schumann und I. Stockhausen
concentriren.

Sollte sich aber doch ein Theil in der Zuhörerschaft finden, welcher der
liebgewordenen Gewohnheit nicht entsagen möchte, so stände mit Sicherheit von
dem Kunstsinne der Direction zu erwarten, daß sie sich an die Böotier
unter ihren Athenern nicht kehren, und, im Bewußtsein, den Forderungen der
Kunst und des Institutes gleichmäßig gerecht geworden zu sein, ihren Weg
getrost verfolgen würde.--—

Die Einrichtung der Programme ist im Wesentlichen dieselbe wie früher
geblieben. Das Concert zerfällt in zwei Theile, von denen der erste, eingeleitet
durch eine Ouvertüre oder eine kleinere Symphonie, den Solovvrträgen, der
zweite einem größeren Stücke, zumeist einer großen Symphonie gewidmet ist.

Bei dem vielfach sehr schwachen Theile der Solvvorträge. in denen sich oft das
traurigste Zerrbild der Musik vordrängt, concentrirt sich das Hauptinteresse auf
die Symphonien. Und mit Recht; denn auf diesem Gebiete sind die Leistungen
unseres Orchesters vortrefflich zu nennen. Dafür, daß dem Lichte der Schatten
nicht fehle, wird freilich durch ein neckisches Schicksal gesorgt, welches z. B. in
diesem Winter besonders die Hörner und Holzbläser zu verfolgen scheint, so
daß die bekannten Mißtöne in dieser Saison etwas häufiger erklangen als
selbst durch die Temperaturverhältnisse des Saales entschuldigt werden mag.

Ein tiefer greifender und empfindlicherer Uevelstand aber äußert sich in
den Tempi, in denen mancher schlimme Mißgriff zu registriren wäre. Gerade
hier zeigt es sich, was auch bei dem einzelnen ausübenden Musiker vorkommt,
daß ein so wobleingespieltes und der Schwierigkeiten Herr gewordenes Orchester
leicht verleitet wird, einen freien Gebrauch seines Könnens bis zu der Grenze
zu steigern, wo der Mißbrauch eintritt. Daher kommt dann jenes maßlose
Uebertreiben der Tempi, jene Hast und Ruhelosigkeit, mit der besonders die
ersten Geigen in schnellen Sätzen einherstürmcn, so daß die Figuren und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/192>, abgerufen am 04.07.2024.