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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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vouak. Wir hatten wenig zu leben, und ich ging, da es grimmig kalt war,
außerhalb des Lagers umher, um mir Bewegung zu machen. Einzelne Leute,
die sich beim Holz- und Wasserhosen verspätet hatten, kamen aus einem nahen
Dorfe mit Wasser und Lebensmitteln; letztere wurden bei solchen Gelegenheiten
immer mitgenommen, und ein Dorf, welches das Loos traf, das Bivouak eines
Corps in seiner Nachbarschaft zu haben, war dann übel daran. Die Franzosen
hatten uns diese Art der Verpflegung auf Kosten des Landes gelehrt. So
kamen auch zwei Artilleristen mit einem großen Pserdeeimer, in welchem ich
Wein bemerkte. Eben wollte ich mich bei ihnen erkundigen, wo sie ihn her
geholt, da rief eine Stimme: "Kanoniere, was habt ihr da?" -- "Wasser,
Ew. Excellenz." -- "Narren, trinkt Wein, es gibt genug!" Da seh ich erst,
daß es unser commandirender General Blücher war. Ich trat an ihn heran
und fragte: "Also erlauben Ew. Excellenz, daß aus dem Dorfe dort Wein ge¬
holt werden darf?" "Ja," erwiderte er, "aber es muß mit Ordnung geschehen,"
worauf er weiter ritt. Ich eilte sogleich ins Lager zurück und meldete dem
Bataillonscommandeur, daß der General erlaubt habe, Wein zu holen, aber
es müsse mit Ordnung geschehen. Der Commandeur befahl mir nun, mir von
jeder Compagnie einen Unteroffizier und zehn Mann geben zu lassen und Wein
zu holen. Während ich nun nach dem Labetrunk war, kamen im Bivouak ein
paar Umstände vor, die von Wichtigkeit für mich waren und mir eben keine
Freude machten. Unter der Zeit waren nämlich die 10. u. 12. Compagnie zu
einer besondern Expedition abcommandirt worden, unter dem Befehl eines
Majors v. Watzdorf von den Husaren, wenn ich nicht irre; ich fand also die
Compagnie, zu welcher ich gehörte, nicht mehr vor und wurde einer andern
zugetheilt, was sehr betrübend ist, man fühlt sich vereinsamt und wie ein Stief¬
kind. Ein zweiter unerfreulicher Umstand war der, daß inzwischen Kleidungs¬
stücke für Offiziere angekommen waren; denn wir waren theilweise sehr abge,
rissen, da wir unsre Bagage seit Monaten nicht gesehen hatten. So fehlten
mir z. B. Stiefel, und ich ging im wahren Sinne des Wortes barfuß. Nun
waren diese Kleidungsstücke, die nicht für alle ausreichten, verlooft worden, und
da ich nicht anwesend, hatte ein Kamerad für mich gezogen und zwar sehr un¬
glücklich; denn ich erhielt ein Paar ganz neue, feine schwarze Tuchbeinkleidcr,
aus denen ich mir nichts machte, da die meinigen noch ziemlich gut waren.
Glücklicherweise hatte ein anderer Kamerad ein Paar mir sehr wünschenswerthe
Stiefeln erhalten, die ihm zu klein waren, er bot mir einen Tausch an, den
ich einging, da sie mir so ziemlich paßten.

Meine Compagnie war also fort, ich wurde nun der 9. Compagnie zur
Dienstleistung überwiesen, deren Chef ein Hauptmann v. Kleist war. Dieser
nahm mich sehr freundlich und gastfrei bei sich auf, bot mir für die Nacht
einen Platz in seiner Hütte an, den ich mit Freuden annahm, und tractirte


vouak. Wir hatten wenig zu leben, und ich ging, da es grimmig kalt war,
außerhalb des Lagers umher, um mir Bewegung zu machen. Einzelne Leute,
die sich beim Holz- und Wasserhosen verspätet hatten, kamen aus einem nahen
Dorfe mit Wasser und Lebensmitteln; letztere wurden bei solchen Gelegenheiten
immer mitgenommen, und ein Dorf, welches das Loos traf, das Bivouak eines
Corps in seiner Nachbarschaft zu haben, war dann übel daran. Die Franzosen
hatten uns diese Art der Verpflegung auf Kosten des Landes gelehrt. So
kamen auch zwei Artilleristen mit einem großen Pserdeeimer, in welchem ich
Wein bemerkte. Eben wollte ich mich bei ihnen erkundigen, wo sie ihn her
geholt, da rief eine Stimme: „Kanoniere, was habt ihr da?" — „Wasser,
Ew. Excellenz." — „Narren, trinkt Wein, es gibt genug!" Da seh ich erst,
daß es unser commandirender General Blücher war. Ich trat an ihn heran
und fragte: „Also erlauben Ew. Excellenz, daß aus dem Dorfe dort Wein ge¬
holt werden darf?" „Ja," erwiderte er, „aber es muß mit Ordnung geschehen,"
worauf er weiter ritt. Ich eilte sogleich ins Lager zurück und meldete dem
Bataillonscommandeur, daß der General erlaubt habe, Wein zu holen, aber
es müsse mit Ordnung geschehen. Der Commandeur befahl mir nun, mir von
jeder Compagnie einen Unteroffizier und zehn Mann geben zu lassen und Wein
zu holen. Während ich nun nach dem Labetrunk war, kamen im Bivouak ein
paar Umstände vor, die von Wichtigkeit für mich waren und mir eben keine
Freude machten. Unter der Zeit waren nämlich die 10. u. 12. Compagnie zu
einer besondern Expedition abcommandirt worden, unter dem Befehl eines
Majors v. Watzdorf von den Husaren, wenn ich nicht irre; ich fand also die
Compagnie, zu welcher ich gehörte, nicht mehr vor und wurde einer andern
zugetheilt, was sehr betrübend ist, man fühlt sich vereinsamt und wie ein Stief¬
kind. Ein zweiter unerfreulicher Umstand war der, daß inzwischen Kleidungs¬
stücke für Offiziere angekommen waren; denn wir waren theilweise sehr abge,
rissen, da wir unsre Bagage seit Monaten nicht gesehen hatten. So fehlten
mir z. B. Stiefel, und ich ging im wahren Sinne des Wortes barfuß. Nun
waren diese Kleidungsstücke, die nicht für alle ausreichten, verlooft worden, und
da ich nicht anwesend, hatte ein Kamerad für mich gezogen und zwar sehr un¬
glücklich; denn ich erhielt ein Paar ganz neue, feine schwarze Tuchbeinkleidcr,
aus denen ich mir nichts machte, da die meinigen noch ziemlich gut waren.
Glücklicherweise hatte ein anderer Kamerad ein Paar mir sehr wünschenswerthe
Stiefeln erhalten, die ihm zu klein waren, er bot mir einen Tausch an, den
ich einging, da sie mir so ziemlich paßten.

Meine Compagnie war also fort, ich wurde nun der 9. Compagnie zur
Dienstleistung überwiesen, deren Chef ein Hauptmann v. Kleist war. Dieser
nahm mich sehr freundlich und gastfrei bei sich auf, bot mir für die Nacht
einen Platz in seiner Hütte an, den ich mit Freuden annahm, und tractirte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/18>, abgerufen am 24.07.2024.