Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

webe! sagte, daß nach mir gefragt worden, weil ich Quartier machen sollte.
Ich ging gleich zu meinem Capitain, mich zu melden, und wurde von ihm nur
an der Stimme erkannt, weil mich mein ganz weißer Anzug unkenntlich machte.
Er merkte überdies an meiner Redseligkeit, was die Glocke geschlagen, sagte,
ein anderer Offizier habe bereits in dem vor uns liegenden Dorfe Quartier
gemacht, und befahl dem schon zurückgekehrten Fouricrunteroffizier, mich ohne
Verzug in mein Quartier zu bringen. Hier langte ich seelenvergnügt an, legte
mich auf der in einem großen Zimmer schon bereiteten Streu nieder und schlief
fast im selben Augenblick ein, so fest, daß ich von der Ankunft sämmtlicher
Kameraden des Bataillons, die alle in demselben Hause untergebracht waren,
gar nichts gewahr geworden bin.

Mehre Stunden mochte ich geschlafen haben, als ich von dem brennend¬
sten Durst gepeinigt, aufwachte. Es war Heller Mondschein, so daß ich das
große Zimmer vollkommen übersehen konnte. Alle meine Kameraden lagen wie
die Heringe dicht an einander im tiefsten Schlaf; ich stand auf und näherte
mich den Fenstern, vor welchen zwei lange Tafeln standen, überall mit Flaschen
besetzt, theils leeren, theils gefüllten -- lauter Champagner. Aha, denke ich.
die haben auch gehörig Sekt vertilgt! Vergebens sehe ich mich nach Wasser
um. es ist keins zu finden. Lärm mag ich nicht machen, um die Schläfer nicht
zu wecken, aber trinken muß ich. Ich nehme also in meiner Noth eine frische
Flasche, breche den Hals ab und trinke mit vollen Zügen die halbe Vouteille
aus, dann lege ich mich wieder hin und schlafe auch gleich weiter.

Noch einmal wurde ich durch den Durst geweckt, stand wieder auf und
goß den Rest der Flasche hinunter, schlief wieder ein und wurde dann erst
durch das allgemeine Aufstehen munter gemacht. Bald darauf wurde der Marsch
angetreten, kaum daß ich Zeit hatte, ein kleines Frühstück, etwas Kaffee und
Brod, zu mir zu nehmen. Meine Kleider, in der Nacht getrocknet, waren von
meinem Burschen gereinigt, und nach einer Stunde Weges hatte ich mich voll¬
ständig erholt. Natürlich mußte ich nach dem Sprichwort: wer den Schaden
hat, darf für den Spott nicht sorgen, allerlei Neckerei leiden wegen meines
gestrigen ganz weißen Aufzuges, und mein Capitain wollte es gar nicht glauben,
daß ich zu viel getrunken haben könne, weil er bei einer frühern Gelegenheit,
in der Gegend von Trier, Zeuge gewesen, daß ich etwas vertragen konnte; das
war aber freilich kein Champagner gewesen, sondern ehrlicher deutscher Mosel¬
wein. Dem tückischen Franzosen, den ich hier zum ersten Male gründlich kennen
gelernt, kann, wie es scheint, ein Deutscher weniger widerstehen.

Dieses Abenteuer mag sich am elften Februar zugetragen haben; denn wir
marschirten noch einen Tag und kamen dann am zwölften ins Bivouak von
Etoges.

Am zwölften und dreizehnten Februar blieb nun unsere Brigade im Bi-


webe! sagte, daß nach mir gefragt worden, weil ich Quartier machen sollte.
Ich ging gleich zu meinem Capitain, mich zu melden, und wurde von ihm nur
an der Stimme erkannt, weil mich mein ganz weißer Anzug unkenntlich machte.
Er merkte überdies an meiner Redseligkeit, was die Glocke geschlagen, sagte,
ein anderer Offizier habe bereits in dem vor uns liegenden Dorfe Quartier
gemacht, und befahl dem schon zurückgekehrten Fouricrunteroffizier, mich ohne
Verzug in mein Quartier zu bringen. Hier langte ich seelenvergnügt an, legte
mich auf der in einem großen Zimmer schon bereiteten Streu nieder und schlief
fast im selben Augenblick ein, so fest, daß ich von der Ankunft sämmtlicher
Kameraden des Bataillons, die alle in demselben Hause untergebracht waren,
gar nichts gewahr geworden bin.

Mehre Stunden mochte ich geschlafen haben, als ich von dem brennend¬
sten Durst gepeinigt, aufwachte. Es war Heller Mondschein, so daß ich das
große Zimmer vollkommen übersehen konnte. Alle meine Kameraden lagen wie
die Heringe dicht an einander im tiefsten Schlaf; ich stand auf und näherte
mich den Fenstern, vor welchen zwei lange Tafeln standen, überall mit Flaschen
besetzt, theils leeren, theils gefüllten — lauter Champagner. Aha, denke ich.
die haben auch gehörig Sekt vertilgt! Vergebens sehe ich mich nach Wasser
um. es ist keins zu finden. Lärm mag ich nicht machen, um die Schläfer nicht
zu wecken, aber trinken muß ich. Ich nehme also in meiner Noth eine frische
Flasche, breche den Hals ab und trinke mit vollen Zügen die halbe Vouteille
aus, dann lege ich mich wieder hin und schlafe auch gleich weiter.

Noch einmal wurde ich durch den Durst geweckt, stand wieder auf und
goß den Rest der Flasche hinunter, schlief wieder ein und wurde dann erst
durch das allgemeine Aufstehen munter gemacht. Bald darauf wurde der Marsch
angetreten, kaum daß ich Zeit hatte, ein kleines Frühstück, etwas Kaffee und
Brod, zu mir zu nehmen. Meine Kleider, in der Nacht getrocknet, waren von
meinem Burschen gereinigt, und nach einer Stunde Weges hatte ich mich voll¬
ständig erholt. Natürlich mußte ich nach dem Sprichwort: wer den Schaden
hat, darf für den Spott nicht sorgen, allerlei Neckerei leiden wegen meines
gestrigen ganz weißen Aufzuges, und mein Capitain wollte es gar nicht glauben,
daß ich zu viel getrunken haben könne, weil er bei einer frühern Gelegenheit,
in der Gegend von Trier, Zeuge gewesen, daß ich etwas vertragen konnte; das
war aber freilich kein Champagner gewesen, sondern ehrlicher deutscher Mosel¬
wein. Dem tückischen Franzosen, den ich hier zum ersten Male gründlich kennen
gelernt, kann, wie es scheint, ein Deutscher weniger widerstehen.

Dieses Abenteuer mag sich am elften Februar zugetragen haben; denn wir
marschirten noch einen Tag und kamen dann am zwölften ins Bivouak von
Etoges.

Am zwölften und dreizehnten Februar blieb nun unsere Brigade im Bi-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116482"/>
          <p xml:id="ID_19" prev="#ID_18"> webe! sagte, daß nach mir gefragt worden, weil ich Quartier machen sollte.<lb/>
Ich ging gleich zu meinem Capitain, mich zu melden, und wurde von ihm nur<lb/>
an der Stimme erkannt, weil mich mein ganz weißer Anzug unkenntlich machte.<lb/>
Er merkte überdies an meiner Redseligkeit, was die Glocke geschlagen, sagte,<lb/>
ein anderer Offizier habe bereits in dem vor uns liegenden Dorfe Quartier<lb/>
gemacht, und befahl dem schon zurückgekehrten Fouricrunteroffizier, mich ohne<lb/>
Verzug in mein Quartier zu bringen. Hier langte ich seelenvergnügt an, legte<lb/>
mich auf der in einem großen Zimmer schon bereiteten Streu nieder und schlief<lb/>
fast im selben Augenblick ein, so fest, daß ich von der Ankunft sämmtlicher<lb/>
Kameraden des Bataillons, die alle in demselben Hause untergebracht waren,<lb/>
gar nichts gewahr geworden bin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_20"> Mehre Stunden mochte ich geschlafen haben, als ich von dem brennend¬<lb/>
sten Durst gepeinigt, aufwachte. Es war Heller Mondschein, so daß ich das<lb/>
große Zimmer vollkommen übersehen konnte. Alle meine Kameraden lagen wie<lb/>
die Heringe dicht an einander im tiefsten Schlaf; ich stand auf und näherte<lb/>
mich den Fenstern, vor welchen zwei lange Tafeln standen, überall mit Flaschen<lb/>
besetzt, theils leeren, theils gefüllten &#x2014; lauter Champagner. Aha, denke ich.<lb/>
die haben auch gehörig Sekt vertilgt! Vergebens sehe ich mich nach Wasser<lb/>
um. es ist keins zu finden. Lärm mag ich nicht machen, um die Schläfer nicht<lb/>
zu wecken, aber trinken muß ich. Ich nehme also in meiner Noth eine frische<lb/>
Flasche, breche den Hals ab und trinke mit vollen Zügen die halbe Vouteille<lb/>
aus, dann lege ich mich wieder hin und schlafe auch gleich weiter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_21"> Noch einmal wurde ich durch den Durst geweckt, stand wieder auf und<lb/>
goß den Rest der Flasche hinunter, schlief wieder ein und wurde dann erst<lb/>
durch das allgemeine Aufstehen munter gemacht. Bald darauf wurde der Marsch<lb/>
angetreten, kaum daß ich Zeit hatte, ein kleines Frühstück, etwas Kaffee und<lb/>
Brod, zu mir zu nehmen. Meine Kleider, in der Nacht getrocknet, waren von<lb/>
meinem Burschen gereinigt, und nach einer Stunde Weges hatte ich mich voll¬<lb/>
ständig erholt. Natürlich mußte ich nach dem Sprichwort: wer den Schaden<lb/>
hat, darf für den Spott nicht sorgen, allerlei Neckerei leiden wegen meines<lb/>
gestrigen ganz weißen Aufzuges, und mein Capitain wollte es gar nicht glauben,<lb/>
daß ich zu viel getrunken haben könne, weil er bei einer frühern Gelegenheit,<lb/>
in der Gegend von Trier, Zeuge gewesen, daß ich etwas vertragen konnte; das<lb/>
war aber freilich kein Champagner gewesen, sondern ehrlicher deutscher Mosel¬<lb/>
wein. Dem tückischen Franzosen, den ich hier zum ersten Male gründlich kennen<lb/>
gelernt, kann, wie es scheint, ein Deutscher weniger widerstehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_22"> Dieses Abenteuer mag sich am elften Februar zugetragen haben; denn wir<lb/>
marschirten noch einen Tag und kamen dann am zwölften ins Bivouak von<lb/>
Etoges.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_23" next="#ID_24"> Am zwölften und dreizehnten Februar blieb nun unsere Brigade im Bi-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] webe! sagte, daß nach mir gefragt worden, weil ich Quartier machen sollte. Ich ging gleich zu meinem Capitain, mich zu melden, und wurde von ihm nur an der Stimme erkannt, weil mich mein ganz weißer Anzug unkenntlich machte. Er merkte überdies an meiner Redseligkeit, was die Glocke geschlagen, sagte, ein anderer Offizier habe bereits in dem vor uns liegenden Dorfe Quartier gemacht, und befahl dem schon zurückgekehrten Fouricrunteroffizier, mich ohne Verzug in mein Quartier zu bringen. Hier langte ich seelenvergnügt an, legte mich auf der in einem großen Zimmer schon bereiteten Streu nieder und schlief fast im selben Augenblick ein, so fest, daß ich von der Ankunft sämmtlicher Kameraden des Bataillons, die alle in demselben Hause untergebracht waren, gar nichts gewahr geworden bin. Mehre Stunden mochte ich geschlafen haben, als ich von dem brennend¬ sten Durst gepeinigt, aufwachte. Es war Heller Mondschein, so daß ich das große Zimmer vollkommen übersehen konnte. Alle meine Kameraden lagen wie die Heringe dicht an einander im tiefsten Schlaf; ich stand auf und näherte mich den Fenstern, vor welchen zwei lange Tafeln standen, überall mit Flaschen besetzt, theils leeren, theils gefüllten — lauter Champagner. Aha, denke ich. die haben auch gehörig Sekt vertilgt! Vergebens sehe ich mich nach Wasser um. es ist keins zu finden. Lärm mag ich nicht machen, um die Schläfer nicht zu wecken, aber trinken muß ich. Ich nehme also in meiner Noth eine frische Flasche, breche den Hals ab und trinke mit vollen Zügen die halbe Vouteille aus, dann lege ich mich wieder hin und schlafe auch gleich weiter. Noch einmal wurde ich durch den Durst geweckt, stand wieder auf und goß den Rest der Flasche hinunter, schlief wieder ein und wurde dann erst durch das allgemeine Aufstehen munter gemacht. Bald darauf wurde der Marsch angetreten, kaum daß ich Zeit hatte, ein kleines Frühstück, etwas Kaffee und Brod, zu mir zu nehmen. Meine Kleider, in der Nacht getrocknet, waren von meinem Burschen gereinigt, und nach einer Stunde Weges hatte ich mich voll¬ ständig erholt. Natürlich mußte ich nach dem Sprichwort: wer den Schaden hat, darf für den Spott nicht sorgen, allerlei Neckerei leiden wegen meines gestrigen ganz weißen Aufzuges, und mein Capitain wollte es gar nicht glauben, daß ich zu viel getrunken haben könne, weil er bei einer frühern Gelegenheit, in der Gegend von Trier, Zeuge gewesen, daß ich etwas vertragen konnte; das war aber freilich kein Champagner gewesen, sondern ehrlicher deutscher Mosel¬ wein. Dem tückischen Franzosen, den ich hier zum ersten Male gründlich kennen gelernt, kann, wie es scheint, ein Deutscher weniger widerstehen. Dieses Abenteuer mag sich am elften Februar zugetragen haben; denn wir marschirten noch einen Tag und kamen dann am zwölften ins Bivouak von Etoges. Am zwölften und dreizehnten Februar blieb nun unsere Brigade im Bi-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/17>, abgerufen am 24.07.2024.