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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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mich am andern Morgen zum Frühstück mit Chocolade, von der er fast gar
nichts genoß.

Es dauerte nicht lange, so hörten wir Kanonendonner vor uns, es war
unsere Avantgarde unter dem General v. Zieren, die bereits mit dem Feinde
engagirt war. Wir setzten uns nun auch in Marsch, der Hauptmann ganz
schweigsam neben mir. Nach einer Weile bot er mir an zu reiten; ich lehnte
es ab, weil mir zu kalt war, auch wußteich, wie ungern er Andere auf seinen
Pferden reiten ließ, aber um so mehr siel mir sein Erbieten auf. Darauf rief
er seinen Feldwebel, Namens Hoffmann, mit dem er leise sprach, ich blieb da¬
rum zurück, um ihn nicht zu stören. Er ließ sich von ihm die Schreibtafel
geben, in welche er im Gehen schrieb, und als jich nun wieder näher heran¬
kam, händigte er ihm die Schreibtafel mit den Worten wieder ein: "Heut
Abend stellen Sie mir die Schreibtafel wieder zu, und wenn ich nicht da sein
sollte, so geben Sie sie dem Lieutenant v. Aulock." Der Kanonendonner vor
uns war schwächer geworden und hatte endlich ganz aufgehört. Mit einem
Male mußten wir stärker ausschreiten, von der Straße rechts abbiegen, uns in
Colonne nach der Mitte formiren und einer Batterie, die eine Anhöhe Hinan¬
suhr, folgen, um ihr zur Deckung zu dienen. Die Batterie hatte abgeprotzt und
sing an zu feuern. Wir stellten uns hinter ihr verdeckt auf und konnten gar
nichts vom Feinde sehen. Da verbreitete sich plötzlich das Gerücht, unsere
Avantgarde, die aus dem zehnten Grenadierregiment und dem zehnten Re¬
serveregiment (jetzigem ersten oberschlesischen Ins.-Reg. No. 22) und den brau¬
nen Husaren bestand, sei vernichtet. Wir standen ruhig mit Gewehr beim Fuß.
Dann und wann sauste eine Kanonenkugel über unsere Köpfe weg. Es ist eine
unbehagliche Aufgabe, nichts zu sehen, nichts zu thun zu haben und so im
Kanonenfeuer zu stehen. Da kam der Bursche meines Capitains, er hieß
Schick, an uns herangeritten und bot mir eine Flasche Champagner an, welche
ich nahm, ihn fragend, wo er ihn her habe? "O," sagte er. "uns ist es wohl
ergangen, wir haben viel und gut zu leben und auch Wein genug gehabt, die
sen habe ich für Sie aufgehoben." Da ritt er auch schon wieder fort, mir im
Wegrciten noch zurufend, daß sie gar nicht weit von uns ständen. Ich schlug
der Flasche mit dem Säbel den Kopf ab, drängte mich in die Colonne zum
Hauptmann v. Kleist, rief ihn und lud ihn ein mit zu trinken. Er schlug
dies sonst nicht aus, jetzt aber erwiderte er: "Ich dan.'e, ich gehe nicht von
meinem Platz." Kaum hatte er ausgesprochen und kaum war ich zurückgetre¬
ten, als eine Kanonenkugel in die Colonne einschlug. Es entstand ein gewal¬
tiges Auseinanderprallen, und als wir zusahen, waren zwölf Mann theils
todt, theils mehr oder weniger schwer verwundet, dem Capitain v. Kleist aber
war der Kopf weggerissen.

Die Ordnung wurde rasch wieder hergestellt, wir gingen seitwärts und gegen


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mich am andern Morgen zum Frühstück mit Chocolade, von der er fast gar
nichts genoß.

Es dauerte nicht lange, so hörten wir Kanonendonner vor uns, es war
unsere Avantgarde unter dem General v. Zieren, die bereits mit dem Feinde
engagirt war. Wir setzten uns nun auch in Marsch, der Hauptmann ganz
schweigsam neben mir. Nach einer Weile bot er mir an zu reiten; ich lehnte
es ab, weil mir zu kalt war, auch wußteich, wie ungern er Andere auf seinen
Pferden reiten ließ, aber um so mehr siel mir sein Erbieten auf. Darauf rief
er seinen Feldwebel, Namens Hoffmann, mit dem er leise sprach, ich blieb da¬
rum zurück, um ihn nicht zu stören. Er ließ sich von ihm die Schreibtafel
geben, in welche er im Gehen schrieb, und als jich nun wieder näher heran¬
kam, händigte er ihm die Schreibtafel mit den Worten wieder ein: „Heut
Abend stellen Sie mir die Schreibtafel wieder zu, und wenn ich nicht da sein
sollte, so geben Sie sie dem Lieutenant v. Aulock." Der Kanonendonner vor
uns war schwächer geworden und hatte endlich ganz aufgehört. Mit einem
Male mußten wir stärker ausschreiten, von der Straße rechts abbiegen, uns in
Colonne nach der Mitte formiren und einer Batterie, die eine Anhöhe Hinan¬
suhr, folgen, um ihr zur Deckung zu dienen. Die Batterie hatte abgeprotzt und
sing an zu feuern. Wir stellten uns hinter ihr verdeckt auf und konnten gar
nichts vom Feinde sehen. Da verbreitete sich plötzlich das Gerücht, unsere
Avantgarde, die aus dem zehnten Grenadierregiment und dem zehnten Re¬
serveregiment (jetzigem ersten oberschlesischen Ins.-Reg. No. 22) und den brau¬
nen Husaren bestand, sei vernichtet. Wir standen ruhig mit Gewehr beim Fuß.
Dann und wann sauste eine Kanonenkugel über unsere Köpfe weg. Es ist eine
unbehagliche Aufgabe, nichts zu sehen, nichts zu thun zu haben und so im
Kanonenfeuer zu stehen. Da kam der Bursche meines Capitains, er hieß
Schick, an uns herangeritten und bot mir eine Flasche Champagner an, welche
ich nahm, ihn fragend, wo er ihn her habe? „O," sagte er. „uns ist es wohl
ergangen, wir haben viel und gut zu leben und auch Wein genug gehabt, die
sen habe ich für Sie aufgehoben." Da ritt er auch schon wieder fort, mir im
Wegrciten noch zurufend, daß sie gar nicht weit von uns ständen. Ich schlug
der Flasche mit dem Säbel den Kopf ab, drängte mich in die Colonne zum
Hauptmann v. Kleist, rief ihn und lud ihn ein mit zu trinken. Er schlug
dies sonst nicht aus, jetzt aber erwiderte er: „Ich dan.'e, ich gehe nicht von
meinem Platz." Kaum hatte er ausgesprochen und kaum war ich zurückgetre¬
ten, als eine Kanonenkugel in die Colonne einschlug. Es entstand ein gewal¬
tiges Auseinanderprallen, und als wir zusahen, waren zwölf Mann theils
todt, theils mehr oder weniger schwer verwundet, dem Capitain v. Kleist aber
war der Kopf weggerissen.

Die Ordnung wurde rasch wieder hergestellt, wir gingen seitwärts und gegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/19>, abgerufen am 24.07.2024.