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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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sang zwischen Holstein und Schleswig zerreißen; sie waren wohl bereit Holstein
völlig sich selbst und den deutschen Verhältnissen zu überlassen, um dafür
Schleswig desto vollständiger zu dänischen Lande zu machen, "Dänemark bis
zur Eider" auszudehnen. Die erstere Partei, die sogenannte gesammtstaatliche,
hatte ihren Boden in den conservativen Kreisen der Beamten, des Adels u, s. w.;
die "eidcrdänische" Partei rekrutirte sich mehr aus den bewegteren und beweg¬
licheren Bestandtheilen der Bevölkerung und trug eine demokratische Färbung;
sie war reich an jugendlichen Talenten, hegte aber auch einen Geist des Fana¬
tismus in sich, der sie zum Aeußersten und Widerwärtigsten befähigte.

Der Verfassungsentwurf, der unter dem verstorbenen Könige vorbereitet
worden, kam bald nach dem Regierungsantritte des neuen ans Licht, und Ver¬
trauensmänner aus dem Königreiche und aus den Herzogthümern sollten zu
seiner Berathung in Kopenhagen zusammentreten. Das Erscheinen des Ent¬
wurfes wirkte genau das Gegentheil dessen, was mit ihm bezweckt worden war.
Hervorgegangen aus den dänischen Ncgierungskreisen, rief der Entwurf durch
seine Absicht, Schleswig-Holstein in eine bleibende Gemeinschaft mit dem König¬
reiche zu führen, in den Herzogthümern das stärkste Widerstreben hervor, das
sich namentlich auf einer Versammlung schleswigscher und holsteinischer Stände-
mitglicder zu Kiel zu erkennen gab. In Dänemark dagegen hatte man nicht
blos vom Standpunkte des politischen Liberalismus die mannigfachsten Aus¬
stellungen an dem bureaukratisch engherzigen Charakter der Verfassung zu machen,
sondern die eiderdänische Partei fand auch die darin gegebenen Sicherheiten
zur Unterwerfung Schleswigs noch durchaus nicht genügend. So hatte denn
der neue Entwurf, statt irgendwo Beifall zu erlangen, nur eine allgemeine
Aufregung gegen sich hervorgebracht, hatte die Gegensätze geschärft und den
Streit erhitzt, als die Kunde von der pariser Februarrevolution allen in Europa
vorhandenen Zündstoff in helle Flammen setzte.

Merkwürdig wie alsbald die Ereignisse in dem Königreich und die in den
Herzogthümern sich gegenseitig vorwärts trieben. Daß hier wie dort die Dinge
in eine entschiedenere Richtung kommen würden, verstand sich von selbst. In
Kopenhagen arbeiteten die Eiderdänen eifrigst auf Verdrängung des bisherigen
Ministeriums hin; in Schleswig-Holstein dachte man an Volksbewaffnung und
begann in den Kreisen der Studenten und Turner sich wehrhaft zu machen. Der
Adel des Landes, fest in der Opposition gegen die Dänen, aber auch abhold
revolutionären Bewegungen, suchte durch dringende Vorstellungen die kopen¬
hagener Regierung zum Fallenlassen des Verfassungsentwurfes zu überreden.
Als dies vergeblich geblieben, vereinigten sich, am 18. März, die Ständemit-
glieder der beiden Herzogthümer zu Rendsburg, wo gleichzeitig eine große Volks¬
versammlung tagte; eine Gesandtschaft ging nach Kopenhagen ab mit dem
Verlangen einer alsbaldigen Verbindung der Stände von Schleswig und Holstein


sang zwischen Holstein und Schleswig zerreißen; sie waren wohl bereit Holstein
völlig sich selbst und den deutschen Verhältnissen zu überlassen, um dafür
Schleswig desto vollständiger zu dänischen Lande zu machen, „Dänemark bis
zur Eider" auszudehnen. Die erstere Partei, die sogenannte gesammtstaatliche,
hatte ihren Boden in den conservativen Kreisen der Beamten, des Adels u, s. w.;
die „eidcrdänische" Partei rekrutirte sich mehr aus den bewegteren und beweg¬
licheren Bestandtheilen der Bevölkerung und trug eine demokratische Färbung;
sie war reich an jugendlichen Talenten, hegte aber auch einen Geist des Fana¬
tismus in sich, der sie zum Aeußersten und Widerwärtigsten befähigte.

Der Verfassungsentwurf, der unter dem verstorbenen Könige vorbereitet
worden, kam bald nach dem Regierungsantritte des neuen ans Licht, und Ver¬
trauensmänner aus dem Königreiche und aus den Herzogthümern sollten zu
seiner Berathung in Kopenhagen zusammentreten. Das Erscheinen des Ent¬
wurfes wirkte genau das Gegentheil dessen, was mit ihm bezweckt worden war.
Hervorgegangen aus den dänischen Ncgierungskreisen, rief der Entwurf durch
seine Absicht, Schleswig-Holstein in eine bleibende Gemeinschaft mit dem König¬
reiche zu führen, in den Herzogthümern das stärkste Widerstreben hervor, das
sich namentlich auf einer Versammlung schleswigscher und holsteinischer Stände-
mitglicder zu Kiel zu erkennen gab. In Dänemark dagegen hatte man nicht
blos vom Standpunkte des politischen Liberalismus die mannigfachsten Aus¬
stellungen an dem bureaukratisch engherzigen Charakter der Verfassung zu machen,
sondern die eiderdänische Partei fand auch die darin gegebenen Sicherheiten
zur Unterwerfung Schleswigs noch durchaus nicht genügend. So hatte denn
der neue Entwurf, statt irgendwo Beifall zu erlangen, nur eine allgemeine
Aufregung gegen sich hervorgebracht, hatte die Gegensätze geschärft und den
Streit erhitzt, als die Kunde von der pariser Februarrevolution allen in Europa
vorhandenen Zündstoff in helle Flammen setzte.

Merkwürdig wie alsbald die Ereignisse in dem Königreich und die in den
Herzogthümern sich gegenseitig vorwärts trieben. Daß hier wie dort die Dinge
in eine entschiedenere Richtung kommen würden, verstand sich von selbst. In
Kopenhagen arbeiteten die Eiderdänen eifrigst auf Verdrängung des bisherigen
Ministeriums hin; in Schleswig-Holstein dachte man an Volksbewaffnung und
begann in den Kreisen der Studenten und Turner sich wehrhaft zu machen. Der
Adel des Landes, fest in der Opposition gegen die Dänen, aber auch abhold
revolutionären Bewegungen, suchte durch dringende Vorstellungen die kopen¬
hagener Regierung zum Fallenlassen des Verfassungsentwurfes zu überreden.
Als dies vergeblich geblieben, vereinigten sich, am 18. März, die Ständemit-
glieder der beiden Herzogthümer zu Rendsburg, wo gleichzeitig eine große Volks¬
versammlung tagte; eine Gesandtschaft ging nach Kopenhagen ab mit dem
Verlangen einer alsbaldigen Verbindung der Stände von Schleswig und Holstein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/176>, abgerufen am 24.07.2024.