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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Zollvereins und Rußlands, statt; allerdings mit einzelnen Modificationen,
aus welche wir später noch zu sprechen kommen werden. --

Wenn das Anmeldcverfahren in den Augen eines jeden Volkswirthes un¬
bestreitbare Vorzüge hat, so ist es doch keineswegs ohne Makel; es kann sogar
geradezu behauptet werden, daß auch bei ihm die Nachtheile weitaus über¬
wiegen. Die beste Illustration dieser Behauptung giebt der gegenwärtige
Standpunkt des Patentwesens in England. Hier ist durch das öffentliche Ver¬
fahren -- oder trotz ihm! -- ein Patentschwindel eingerissen, der ein weit grö¬
ßeres Uebel ist, als es der Mangel jeglichen Schutzes sein würde. Für die
einfachsten Combinationen, so klagen die Times, wird ein Patentschutz erworben
und dadurch Hemmnisse und Chicanen aller Art in die Entwickelung der Tech¬
nik gebracht. Was der gesunde Menschenverstand an zweckmäßigen oder un¬
zweckmäßigen Vor- und Einrichtungen findet, wird monopolisirt, und wer Neues
auf den Markt bringt, muß sich nach allen Seiten vorsehen, daß er nicht in
die Fußangeln eines Piraten fällt, der zu dem, was er erdacht, ein "geistiges
Eigenthum" erworben hat. Die Prüfung der "Neuheit", welche die deutschen
Patentbehörden für ihre Schultern zu schwer finden, wird durch das Anmelde¬
verfahren den Schultern der einzelnen Industriellen aufgebürdet, welchen gleiche
Hilfsmittel wie der Behörde doch nicht zu Gebote stehen. Wer in England
oder Frankreich etwas Neues auf den Markt bringen will, der muß alle Re¬
gister durchstöbern, ob sein neuer Gedanke nicht vielleicht vor ihm gedacht und
patentirt worden ist, andernfalls läuft er Gefahr, in einen kostspieligen Pro¬
ceß zu gerathen, zu Geldstrafen verurtheilt zu werden, seine Waare confiscire
zu sehen und gewissermaßen als Dieb hingestellt zu werden. (Vgl. Köln. Ztg.
No. 287. 1863.) Indessen erscheint es doch immer noch gerechter, die sorg¬
fältige Umschau in dem Gebiet, das er speciell bebaut oder bebauen will, dem
Patentsucher zu überlassen, wie der Behörde; letzterer mag in vielen Fällen
zwar mehr Wissen zu Gebote stehen, aber in den seltensten mehr Können. --
Die Ueberfluthung mit Patenten, welche das Anmeldcverfahren im Gefolge
hat. wäre auch an und für sich nicht zu fürchten, wenn die Patentgesuche und
Patentgcwährungen sich stets in den engsten Grenzen des speciellen Falles zu
halten vermöchten; dies ist aber ohne Prüfung natürlich nicht möglich. So¬
mit erhalten einzelne Patente nicht selten eine Basis, welche sie gerade zu den
größten Hemmnissen der Jndustrieentwickelung werden lassen. Gewöhnlich geht
einer neuen Erfindung von Werth schon ein gewisser leiser Rumor voraus; es
regt sich in Wissenschaft und Technik nach der Richtung des Bedürfnisses hin;
es verlautet von Versuchen da und dort. Da kommt denn irgend ein specula-
tiver Kopf und macht eine dahin zielende Erfindung, gleichviel, sei sie brauch¬
bar oder nicht; er weiß aber in seiner Eingabe dieselbe so zu stafsiren, daß
sein Patent nunmehr alle Nachfolge auf Diesem Gebiet ohne seine Mit-


Zollvereins und Rußlands, statt; allerdings mit einzelnen Modificationen,
aus welche wir später noch zu sprechen kommen werden. —

Wenn das Anmeldcverfahren in den Augen eines jeden Volkswirthes un¬
bestreitbare Vorzüge hat, so ist es doch keineswegs ohne Makel; es kann sogar
geradezu behauptet werden, daß auch bei ihm die Nachtheile weitaus über¬
wiegen. Die beste Illustration dieser Behauptung giebt der gegenwärtige
Standpunkt des Patentwesens in England. Hier ist durch das öffentliche Ver¬
fahren — oder trotz ihm! — ein Patentschwindel eingerissen, der ein weit grö¬
ßeres Uebel ist, als es der Mangel jeglichen Schutzes sein würde. Für die
einfachsten Combinationen, so klagen die Times, wird ein Patentschutz erworben
und dadurch Hemmnisse und Chicanen aller Art in die Entwickelung der Tech¬
nik gebracht. Was der gesunde Menschenverstand an zweckmäßigen oder un¬
zweckmäßigen Vor- und Einrichtungen findet, wird monopolisirt, und wer Neues
auf den Markt bringt, muß sich nach allen Seiten vorsehen, daß er nicht in
die Fußangeln eines Piraten fällt, der zu dem, was er erdacht, ein „geistiges
Eigenthum" erworben hat. Die Prüfung der „Neuheit", welche die deutschen
Patentbehörden für ihre Schultern zu schwer finden, wird durch das Anmelde¬
verfahren den Schultern der einzelnen Industriellen aufgebürdet, welchen gleiche
Hilfsmittel wie der Behörde doch nicht zu Gebote stehen. Wer in England
oder Frankreich etwas Neues auf den Markt bringen will, der muß alle Re¬
gister durchstöbern, ob sein neuer Gedanke nicht vielleicht vor ihm gedacht und
patentirt worden ist, andernfalls läuft er Gefahr, in einen kostspieligen Pro¬
ceß zu gerathen, zu Geldstrafen verurtheilt zu werden, seine Waare confiscire
zu sehen und gewissermaßen als Dieb hingestellt zu werden. (Vgl. Köln. Ztg.
No. 287. 1863.) Indessen erscheint es doch immer noch gerechter, die sorg¬
fältige Umschau in dem Gebiet, das er speciell bebaut oder bebauen will, dem
Patentsucher zu überlassen, wie der Behörde; letzterer mag in vielen Fällen
zwar mehr Wissen zu Gebote stehen, aber in den seltensten mehr Können. —
Die Ueberfluthung mit Patenten, welche das Anmeldcverfahren im Gefolge
hat. wäre auch an und für sich nicht zu fürchten, wenn die Patentgesuche und
Patentgcwährungen sich stets in den engsten Grenzen des speciellen Falles zu
halten vermöchten; dies ist aber ohne Prüfung natürlich nicht möglich. So¬
mit erhalten einzelne Patente nicht selten eine Basis, welche sie gerade zu den
größten Hemmnissen der Jndustrieentwickelung werden lassen. Gewöhnlich geht
einer neuen Erfindung von Werth schon ein gewisser leiser Rumor voraus; es
regt sich in Wissenschaft und Technik nach der Richtung des Bedürfnisses hin;
es verlautet von Versuchen da und dort. Da kommt denn irgend ein specula-
tiver Kopf und macht eine dahin zielende Erfindung, gleichviel, sei sie brauch¬
bar oder nicht; er weiß aber in seiner Eingabe dieselbe so zu stafsiren, daß
sein Patent nunmehr alle Nachfolge auf Diesem Gebiet ohne seine Mit-


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[0136] Zollvereins und Rußlands, statt; allerdings mit einzelnen Modificationen, aus welche wir später noch zu sprechen kommen werden. — Wenn das Anmeldcverfahren in den Augen eines jeden Volkswirthes un¬ bestreitbare Vorzüge hat, so ist es doch keineswegs ohne Makel; es kann sogar geradezu behauptet werden, daß auch bei ihm die Nachtheile weitaus über¬ wiegen. Die beste Illustration dieser Behauptung giebt der gegenwärtige Standpunkt des Patentwesens in England. Hier ist durch das öffentliche Ver¬ fahren — oder trotz ihm! — ein Patentschwindel eingerissen, der ein weit grö¬ ßeres Uebel ist, als es der Mangel jeglichen Schutzes sein würde. Für die einfachsten Combinationen, so klagen die Times, wird ein Patentschutz erworben und dadurch Hemmnisse und Chicanen aller Art in die Entwickelung der Tech¬ nik gebracht. Was der gesunde Menschenverstand an zweckmäßigen oder un¬ zweckmäßigen Vor- und Einrichtungen findet, wird monopolisirt, und wer Neues auf den Markt bringt, muß sich nach allen Seiten vorsehen, daß er nicht in die Fußangeln eines Piraten fällt, der zu dem, was er erdacht, ein „geistiges Eigenthum" erworben hat. Die Prüfung der „Neuheit", welche die deutschen Patentbehörden für ihre Schultern zu schwer finden, wird durch das Anmelde¬ verfahren den Schultern der einzelnen Industriellen aufgebürdet, welchen gleiche Hilfsmittel wie der Behörde doch nicht zu Gebote stehen. Wer in England oder Frankreich etwas Neues auf den Markt bringen will, der muß alle Re¬ gister durchstöbern, ob sein neuer Gedanke nicht vielleicht vor ihm gedacht und patentirt worden ist, andernfalls läuft er Gefahr, in einen kostspieligen Pro¬ ceß zu gerathen, zu Geldstrafen verurtheilt zu werden, seine Waare confiscire zu sehen und gewissermaßen als Dieb hingestellt zu werden. (Vgl. Köln. Ztg. No. 287. 1863.) Indessen erscheint es doch immer noch gerechter, die sorg¬ fältige Umschau in dem Gebiet, das er speciell bebaut oder bebauen will, dem Patentsucher zu überlassen, wie der Behörde; letzterer mag in vielen Fällen zwar mehr Wissen zu Gebote stehen, aber in den seltensten mehr Können. — Die Ueberfluthung mit Patenten, welche das Anmeldcverfahren im Gefolge hat. wäre auch an und für sich nicht zu fürchten, wenn die Patentgesuche und Patentgcwährungen sich stets in den engsten Grenzen des speciellen Falles zu halten vermöchten; dies ist aber ohne Prüfung natürlich nicht möglich. So¬ mit erhalten einzelne Patente nicht selten eine Basis, welche sie gerade zu den größten Hemmnissen der Jndustrieentwickelung werden lassen. Gewöhnlich geht einer neuen Erfindung von Werth schon ein gewisser leiser Rumor voraus; es regt sich in Wissenschaft und Technik nach der Richtung des Bedürfnisses hin; es verlautet von Versuchen da und dort. Da kommt denn irgend ein specula- tiver Kopf und macht eine dahin zielende Erfindung, gleichviel, sei sie brauch¬ bar oder nicht; er weiß aber in seiner Eingabe dieselbe so zu stafsiren, daß sein Patent nunmehr alle Nachfolge auf Diesem Gebiet ohne seine Mit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/136>, abgerufen am 24.07.2024.