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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Sehr unschön hat sich zunächst der Rector Ratjen aufgeführt, ein Herr,
dessen Schwäche und Aengstlichkeit hier mit einem nicht schmeichelhaften Namen
bezeichnet wird. Die Universität gedachte, um dem Einzelnen die Verantwort¬
lichkeit einigermaßen abzunehmen, durch das Consistorium -- so nennt man hier
den Senat -- dem Ministerium eine Erklärung übergeben zu lassen, in der um
Aufschub der Eidesleistung ersucht wurde. Anstatt diesen Plan zu fördern,
wußte der Rector unter allen erdenkbaren Vorwänden die Beschlußfassung bis
nach Ablauf des Termins hinauszuschieben, jedenfalls in der Hoffnung, sie
ganz zu hintertreiben. Erst nach der zwölften Stunde ließ er die außerordent¬
lichen Professoren zu sich bescheiden, um sie von der im Consistorium vorherr¬
schenden Ansicht in Kenntniß zu sehen, und statt dies einfach zu thun, versuchte
er sie zweifelhaft zu machen; ja einem soll er ganz unverblümt den Rath er¬
theilt haben, den Eid zu leisten. Da Ratjen später die Eidesleistung selbst
unter allerlei höflichen Entschuldigungen abgelehnt hat. so kann jenes Verfahren
nichts anderes bedeuten, als daß er damit einen oder einige Präcedenzfälle schaffen
wollte, um dann mit einem kleinen Scheinchen von Anstand hinzugehen und
desgleichen zu thun.

Das ist sicher sehr unanständig, indeß giebt es noch einige schlimmere unter
den Herren. Ratjen hat wenigstens an seine Brust geschlagen und erkannt,
wohin er gehört. Er hat gethan, was einem hohen Geistesverwandten von
ihm jetzt vielen Dank erwerben würde! er hat in der schlimmsten Zeit das Rec-
torat niedergelegt und die Vertretung der Universität dem charakterfester Pro-
rector Planck überlassen, ein Act der Selbsterkenntnis?, der ihm einen guten
Theil seiner jüngsten Vergangenheit vergeben läßt. Anders seine Gesinnungs¬
genossen im Consistorium, Kirchenrath Thomsen z. B., der bei den Berathun¬
gen über die Eidesleistung in höchst serviler Weise auftrat, und der jetzt, wäh¬
rend Ratjen über sein damaliges Verhalten betrübt die Augen senkt und "sein
Herz isset", den feurigen Patrioten heuchelt und auf Studentencommerscn don¬
nernde Toaste wie "Revanche für Jdstedt" und dergleichen wohlfeile Phrasen
abfeuert. Da ist ferner sein Amtsbruder, Kirchenrath Lüdemann, der die Stirn
hatte, die kielcr Hauptkirche durch Einschluß des Protokollprinzen in das
Kanzelgebet zu entheiligen, und der jetzt nach Einrücken der Bundestruppen nichts
Eiligeres zu thun fand, als den Rock umzudrehen und nicht nur den Präten¬
denten aus dem Gebet herauszuwerfen, sondern den Herzog hineinzuquartieren.
Da ist endlich ein dritter Amtsbruder, Weiße oder Meiste, ich glaube aus
Preußen hierher besorgt, Kreuzzeitungsmann und innerer Missionär, der den
Eid ebenfalls zu leisten in Begriff war, und der jetzt nicht nur schwarzroth-
goldne Fahnen von exorbitanter Größe heraussteckt, sondern -- der einzige un¬
ter seinen Collegen -- dem Herzog eine ergebenste Neujahrsgratulationsvisite
abzustatten für Pflicht hielt. Wie wunderbar sind doch die Geschöpfe Gottes,


Grenzboten I. 1864. Is

Sehr unschön hat sich zunächst der Rector Ratjen aufgeführt, ein Herr,
dessen Schwäche und Aengstlichkeit hier mit einem nicht schmeichelhaften Namen
bezeichnet wird. Die Universität gedachte, um dem Einzelnen die Verantwort¬
lichkeit einigermaßen abzunehmen, durch das Consistorium — so nennt man hier
den Senat — dem Ministerium eine Erklärung übergeben zu lassen, in der um
Aufschub der Eidesleistung ersucht wurde. Anstatt diesen Plan zu fördern,
wußte der Rector unter allen erdenkbaren Vorwänden die Beschlußfassung bis
nach Ablauf des Termins hinauszuschieben, jedenfalls in der Hoffnung, sie
ganz zu hintertreiben. Erst nach der zwölften Stunde ließ er die außerordent¬
lichen Professoren zu sich bescheiden, um sie von der im Consistorium vorherr¬
schenden Ansicht in Kenntniß zu sehen, und statt dies einfach zu thun, versuchte
er sie zweifelhaft zu machen; ja einem soll er ganz unverblümt den Rath er¬
theilt haben, den Eid zu leisten. Da Ratjen später die Eidesleistung selbst
unter allerlei höflichen Entschuldigungen abgelehnt hat. so kann jenes Verfahren
nichts anderes bedeuten, als daß er damit einen oder einige Präcedenzfälle schaffen
wollte, um dann mit einem kleinen Scheinchen von Anstand hinzugehen und
desgleichen zu thun.

Das ist sicher sehr unanständig, indeß giebt es noch einige schlimmere unter
den Herren. Ratjen hat wenigstens an seine Brust geschlagen und erkannt,
wohin er gehört. Er hat gethan, was einem hohen Geistesverwandten von
ihm jetzt vielen Dank erwerben würde! er hat in der schlimmsten Zeit das Rec-
torat niedergelegt und die Vertretung der Universität dem charakterfester Pro-
rector Planck überlassen, ein Act der Selbsterkenntnis?, der ihm einen guten
Theil seiner jüngsten Vergangenheit vergeben läßt. Anders seine Gesinnungs¬
genossen im Consistorium, Kirchenrath Thomsen z. B., der bei den Berathun¬
gen über die Eidesleistung in höchst serviler Weise auftrat, und der jetzt, wäh¬
rend Ratjen über sein damaliges Verhalten betrübt die Augen senkt und „sein
Herz isset", den feurigen Patrioten heuchelt und auf Studentencommerscn don¬
nernde Toaste wie „Revanche für Jdstedt" und dergleichen wohlfeile Phrasen
abfeuert. Da ist ferner sein Amtsbruder, Kirchenrath Lüdemann, der die Stirn
hatte, die kielcr Hauptkirche durch Einschluß des Protokollprinzen in das
Kanzelgebet zu entheiligen, und der jetzt nach Einrücken der Bundestruppen nichts
Eiligeres zu thun fand, als den Rock umzudrehen und nicht nur den Präten¬
denten aus dem Gebet herauszuwerfen, sondern den Herzog hineinzuquartieren.
Da ist endlich ein dritter Amtsbruder, Weiße oder Meiste, ich glaube aus
Preußen hierher besorgt, Kreuzzeitungsmann und innerer Missionär, der den
Eid ebenfalls zu leisten in Begriff war, und der jetzt nicht nur schwarzroth-
goldne Fahnen von exorbitanter Größe heraussteckt, sondern — der einzige un¬
ter seinen Collegen — dem Herzog eine ergebenste Neujahrsgratulationsvisite
abzustatten für Pflicht hielt. Wie wunderbar sind doch die Geschöpfe Gottes,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/123>, abgerufen am 04.07.2024.