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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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lassen möchte, ich hätte aber nichts als meinen Siegelring mit meinen Familien-
Wappen; ich bäte sie ihn anzunehmen. Sie lehnte dies ab, indem sie bemerkte,
ich würde seiner wohl noch bedürfen, und es widerstrebe ihrem Gefühl, sich die
kleinen Dienste, welche sie mir habe leisten können, bezahlen zu lassen. Sie
hatte Recht und ich bestand weiter nicht darauf.

Nun fragte ich sie, ob sie aus der Stadt sei? "Ich bin die Tochter des
Apothekers hier gegenüber", erwiderte sie, "meine Mutter ist die Schwester des
Pfarrers." -- "Mein Gott!" rief ich aus, "das ist ja mein Wirth, ich bin dort
einquartiert." Ich erzählte ihr nun, daß ich meine Börse und meinen Tabaks¬
beutel in dem mir angewiesenen Zimmer auf dem Tische habe liegen lassen
und bat, ob sie nicht nachsehen wolle. Sie ging, kam aber alsbald mit der
Nachricht zurück, daß Chasseurs in das Haus gedrungen seien, nach mir gesucht
und alles mitgenommen hätten, was sie in der Stube gesunden, meinen Säbel
und jedenfalls auch meine Börse so wie meinen Tabaksbeutel; in ersterer waren
fünfzehn Napvlconsdor und etwa ein Dutzend Fünffrankenstückc. Ich fragte
sie, ob ich ihren Vater nicht sprechen könne? Sie war gleich bereit ihn zu holen.
Der Mann kam auch bald; ich begrüßte ihn als meinen Wirth, beklagte mein
Mißgeschick, gefangen zu sein, rühmte die Gastfreundschaft und den augenblick¬
lichen Schutz, den ich in diesem frommen Hause gefunden, und fügte hinzu, daß
ich gar zu gern auf irgend eine Weise meine Dankbarkeit bekunden wolle und
auch ein Mittel dazu zu besitzen glaube. Ich erzählte ihm nun, daß meine
Pferde in seiner Nachbarschaft ständen, daß ich die Schlüssel zu dem Stalle bei
mir habe, und bat ihn dann, die beiden Pferde anzunehmen, indem es mir
lieber sei, er benutze sie, als daß sie Dienste in der französischen Armee leisteten.
Und was antwortete mir der brave Mann? Ich werde es nie vergessen. "Mein
Herr," erwiderte er, "ich bin nicht schlecht genug, um aus Ihrem Unglück Nutzen
zu ziehen. Ich werde Ihre Pferde bewahren; aber sie müssen arbeiten und
ihr Futter verdienen, find Sie das zufrieden? (Natürlich war ich es.) Ich habe
ein Vorwerk, dahin werde ich sie thun, und wenn Sie mal wiederkommen sollten,
sei es bald oder in sechs Monaten, so werden Sie Ihre Pferde zurückerhalten."

Der Ausgang der Campagne 1814 ist bekannt. In Paris traf ich nach
ohngefähr vier Wochen einen Kameraden, dessen Namen ich leider vergessen, er
war von der Landwehr und marschirte nach Hause; ihm erzählte ich die Ge¬
schichte und bat ihn, wenn er nach Se. Dizier käme, dort zu meinem Apotheker
zu gehen und sich die Pferde verabfolgen zu lassen, zu welchem Zweck ich ihm
einen Zettel mitgab. Der brave Mann hat sie ihm richtig gegeben und sich
nur zehn Franken Hufbcschlag vergütigen lassen. Denn.für das Futter berechnete
er nichts, das, meinte er, hätten sie bei ihm verdient. Ob wohl ein Deutscher
eines größern Edelmuthes gegen einen Feind seines Vaterlandes fähig ist?




lassen möchte, ich hätte aber nichts als meinen Siegelring mit meinen Familien-
Wappen; ich bäte sie ihn anzunehmen. Sie lehnte dies ab, indem sie bemerkte,
ich würde seiner wohl noch bedürfen, und es widerstrebe ihrem Gefühl, sich die
kleinen Dienste, welche sie mir habe leisten können, bezahlen zu lassen. Sie
hatte Recht und ich bestand weiter nicht darauf.

Nun fragte ich sie, ob sie aus der Stadt sei? „Ich bin die Tochter des
Apothekers hier gegenüber", erwiderte sie, „meine Mutter ist die Schwester des
Pfarrers." — „Mein Gott!" rief ich aus, „das ist ja mein Wirth, ich bin dort
einquartiert." Ich erzählte ihr nun, daß ich meine Börse und meinen Tabaks¬
beutel in dem mir angewiesenen Zimmer auf dem Tische habe liegen lassen
und bat, ob sie nicht nachsehen wolle. Sie ging, kam aber alsbald mit der
Nachricht zurück, daß Chasseurs in das Haus gedrungen seien, nach mir gesucht
und alles mitgenommen hätten, was sie in der Stube gesunden, meinen Säbel
und jedenfalls auch meine Börse so wie meinen Tabaksbeutel; in ersterer waren
fünfzehn Napvlconsdor und etwa ein Dutzend Fünffrankenstückc. Ich fragte
sie, ob ich ihren Vater nicht sprechen könne? Sie war gleich bereit ihn zu holen.
Der Mann kam auch bald; ich begrüßte ihn als meinen Wirth, beklagte mein
Mißgeschick, gefangen zu sein, rühmte die Gastfreundschaft und den augenblick¬
lichen Schutz, den ich in diesem frommen Hause gefunden, und fügte hinzu, daß
ich gar zu gern auf irgend eine Weise meine Dankbarkeit bekunden wolle und
auch ein Mittel dazu zu besitzen glaube. Ich erzählte ihm nun, daß meine
Pferde in seiner Nachbarschaft ständen, daß ich die Schlüssel zu dem Stalle bei
mir habe, und bat ihn dann, die beiden Pferde anzunehmen, indem es mir
lieber sei, er benutze sie, als daß sie Dienste in der französischen Armee leisteten.
Und was antwortete mir der brave Mann? Ich werde es nie vergessen. „Mein
Herr," erwiderte er, „ich bin nicht schlecht genug, um aus Ihrem Unglück Nutzen
zu ziehen. Ich werde Ihre Pferde bewahren; aber sie müssen arbeiten und
ihr Futter verdienen, find Sie das zufrieden? (Natürlich war ich es.) Ich habe
ein Vorwerk, dahin werde ich sie thun, und wenn Sie mal wiederkommen sollten,
sei es bald oder in sechs Monaten, so werden Sie Ihre Pferde zurückerhalten."

Der Ausgang der Campagne 1814 ist bekannt. In Paris traf ich nach
ohngefähr vier Wochen einen Kameraden, dessen Namen ich leider vergessen, er
war von der Landwehr und marschirte nach Hause; ihm erzählte ich die Ge¬
schichte und bat ihn, wenn er nach Se. Dizier käme, dort zu meinem Apotheker
zu gehen und sich die Pferde verabfolgen zu lassen, zu welchem Zweck ich ihm
einen Zettel mitgab. Der brave Mann hat sie ihm richtig gegeben und sich
nur zehn Franken Hufbcschlag vergütigen lassen. Denn.für das Futter berechnete
er nichts, das, meinte er, hätten sie bei ihm verdient. Ob wohl ein Deutscher
eines größern Edelmuthes gegen einen Feind seines Vaterlandes fähig ist?




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/121>, abgerufen am 04.07.2024.