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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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ihn, mich vor den Zudringlichkeiten dieses Menschen zu schützen. Das half
denn, und der unangenehme Patron ging brummend ab.

Ich hatte mich nach dem besten Gasthofe erkundigt, da ich wohl einsah,
daß unter diesen Umständen nicht daran zu denken war, hier einen Wagen zu
requiriren. Darum begab ich mich in ein als gut bezeichnetes Wirthshaus.
Ich wurde freundlich ausgenommen; namentlich aber war die Frau vom Hause
sehr zuvorkommend und meinte: "Mein Gott, so jung und noch dazu krank!
Ich habe einen Sohn bei der Armee; ich weiß nicht, wo er ist. Ich werde
für Sie sorgen und gleich zu einem Arzt schicken, der Ihnen etwas für Ihre
Augen geben wird." Der Doctor kam wirklich und zwar noch eher, als das
Frühstück, das ich für uns bestellt hatte, und verordnete goulardschcs Wasser,
das denn auch meine Schmerzen sehr milderte; an einen Weitermarsch war
aber unter diesen Umständen nicht zu denken.

Mit einem Male entstand eine große Aufregung im Hause; als ich mich
nach der Ursache erkundigte, sagte man mir, es käme eine ungeheure Masse
Truppen anmarschirt, lauter Cavallerie. und die Wirthin bat mich, sie doch
zu schützen. Ich gab ihr die Versicherung, daß es geschehen würde, wenn es
nothwendig sein sollte, aber ich sei überzeugt, sie habe nichts zu fürchten. Es
war die russische Gardecavallerie unter dem General Diebitsch, die durch-
marschirte. Einige Offiziere kamen in das Wirthshaus, um sich zu restauriren;
es waren meist Kurländer, mit denen ich sprechen konnte. Was sie sich geben
ließen, bezahlten sie. Von ihnen erfuhr ich die retrograde Bewegung der Armee
nach Chaumont. über die sie äußerst erbittert waren. Am andern Tage machte
ich mich sehr früh auf den Weg, um Bourbonne les Bains zu erreichen, welches
4--6 Lieus weit war; es führte eine schöne Chaussee dahin. So marschirte ich
denn, und zwar immer noch mit einem verbundenen Auge, tapfer drauf los. Ich
mochte ungefähr zwei Lieues zurückgelegt haben, als ich fünf Kavalleristen von
der russischen Garde einholte, die kranke, mehrentheils lahme Pferde hatten
und darum gestern zurückgeblieben waren. Diesen, da sie nur langsam reiten
konnten, schloß ich mich an. Nachdem wir einige Stunden Wegs zurückgelegt
hatten, erreichten wir eine Höhe, von welcher aus wir das vor uns liegende
Thal, sowie die große Straße weit übersehen konnten. Ich bemerkte zur Lin¬
ken einen Haufen Bauern, wohl dreitausend Schritt weit, von denen mehre
mit Flinten bewaffnet waren. Sie nahmen die Richtung gegen die Chaussee, auf
der Wir marschirten. in der Weise, daß sie ein gerade vor uns liegendes Dorf,
dem wir zuschritten, früher erreichen mußten als wir und uns so abschneiden
konnten. Mit diesem Haufen aufgeregter Bauern zusammenzutreffen, war ge.
sährlich, und es kam darauf an. in dem Dorfe früher anzulangen als sie.
Ich machte meine fünf Russen daraus aufmerksam. indem ich mich des wenigen
Polnisch bediente, dessen ich mächtig war; sie verstanden mich und fingen an,


ihn, mich vor den Zudringlichkeiten dieses Menschen zu schützen. Das half
denn, und der unangenehme Patron ging brummend ab.

Ich hatte mich nach dem besten Gasthofe erkundigt, da ich wohl einsah,
daß unter diesen Umständen nicht daran zu denken war, hier einen Wagen zu
requiriren. Darum begab ich mich in ein als gut bezeichnetes Wirthshaus.
Ich wurde freundlich ausgenommen; namentlich aber war die Frau vom Hause
sehr zuvorkommend und meinte: „Mein Gott, so jung und noch dazu krank!
Ich habe einen Sohn bei der Armee; ich weiß nicht, wo er ist. Ich werde
für Sie sorgen und gleich zu einem Arzt schicken, der Ihnen etwas für Ihre
Augen geben wird." Der Doctor kam wirklich und zwar noch eher, als das
Frühstück, das ich für uns bestellt hatte, und verordnete goulardschcs Wasser,
das denn auch meine Schmerzen sehr milderte; an einen Weitermarsch war
aber unter diesen Umständen nicht zu denken.

Mit einem Male entstand eine große Aufregung im Hause; als ich mich
nach der Ursache erkundigte, sagte man mir, es käme eine ungeheure Masse
Truppen anmarschirt, lauter Cavallerie. und die Wirthin bat mich, sie doch
zu schützen. Ich gab ihr die Versicherung, daß es geschehen würde, wenn es
nothwendig sein sollte, aber ich sei überzeugt, sie habe nichts zu fürchten. Es
war die russische Gardecavallerie unter dem General Diebitsch, die durch-
marschirte. Einige Offiziere kamen in das Wirthshaus, um sich zu restauriren;
es waren meist Kurländer, mit denen ich sprechen konnte. Was sie sich geben
ließen, bezahlten sie. Von ihnen erfuhr ich die retrograde Bewegung der Armee
nach Chaumont. über die sie äußerst erbittert waren. Am andern Tage machte
ich mich sehr früh auf den Weg, um Bourbonne les Bains zu erreichen, welches
4—6 Lieus weit war; es führte eine schöne Chaussee dahin. So marschirte ich
denn, und zwar immer noch mit einem verbundenen Auge, tapfer drauf los. Ich
mochte ungefähr zwei Lieues zurückgelegt haben, als ich fünf Kavalleristen von
der russischen Garde einholte, die kranke, mehrentheils lahme Pferde hatten
und darum gestern zurückgeblieben waren. Diesen, da sie nur langsam reiten
konnten, schloß ich mich an. Nachdem wir einige Stunden Wegs zurückgelegt
hatten, erreichten wir eine Höhe, von welcher aus wir das vor uns liegende
Thal, sowie die große Straße weit übersehen konnten. Ich bemerkte zur Lin¬
ken einen Haufen Bauern, wohl dreitausend Schritt weit, von denen mehre
mit Flinten bewaffnet waren. Sie nahmen die Richtung gegen die Chaussee, auf
der Wir marschirten. in der Weise, daß sie ein gerade vor uns liegendes Dorf,
dem wir zuschritten, früher erreichen mußten als wir und uns so abschneiden
konnten. Mit diesem Haufen aufgeregter Bauern zusammenzutreffen, war ge.
sährlich, und es kam darauf an. in dem Dorfe früher anzulangen als sie.
Ich machte meine fünf Russen daraus aufmerksam. indem ich mich des wenigen
Polnisch bediente, dessen ich mächtig war; sie verstanden mich und fingen an,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/114>, abgerufen am 24.07.2024.