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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Schranken ein zahlreiches Volk, welches durch dramaturgische Kunst wirklich
dahin gebracht war, bei den passenden Stellen zu gaffen, sich zu verwundern,
zu murren, während bekanntlich sonst der theatralische Statistendemos entweder
in stoischer Ruhe und Indolenz verharrt oder mit verzweifelter Hartnäckigkeit
an den unpassenden Stellen in die eingelernte Leidenschaft geräth. Nur würde
ich das Lärmen der Volksmenge erst nach der Verwandlung, nicht bei noch
stehender Palastdecoration hinter dieser ertönen lassen. Die Visiere der Helme
müssen, glaube ich, beim Sprechen geöffnet werden, mag das historisch sein
oder nicht: der an dies Visier anprallende Ton kommt unklar und dumpf zu
Ohren.

Im zweiten Auszug ist vielleicht das Ende der zweiten Scene etwas zu sehr
gekürzt worden und so nicht mehr ganz klar. Ganz vortrefflich war die Scene
vor Flinsbury arrangirt. Rechts die Burg, ganz hoch; auf einer etwas tieferen
Zinne erscheint der König zur Verhandlung. Bolingbrote steht ganz im Vorder¬
grund links, der die Unterhandlungen vermittelnde Northumberland geht von
einem zum andern: die Bühne mit den Truppen des Rebellen gefüllt. Eben¬
so gut geordnet war die Versammlung in Westminster. Eine reiche Halle, vom
Hofthcatermaler Händel verdienstlich ausgeführt: im Hintergrund der königliche
Thron, rechts und links die Reihen der Lords: Richard kommt aus der ersten
Seitencoulisse links und hat die ganze Bühne zum Spielraum.

Aber nicht nur die Jnscenirung verdient alles Lob, auch das Ensemble
war mit sichtbarer Liebe und eingehender Kenntniß hergestellt. Wenn hierfür,
wi,e für die ganze Idee dieser Aufführungen, dem künstlerischen Sinn Dingel-
stedts der Dank gebührt, so darf man doch nicht vergessen, daß er in dem
Personal der Bühne die eifrigste, solcher Sache gebührende Unterstützung ge¬
sunden bat. Die Rolle Richards war in den Händen des Herrn Grans
gut ausgehoben: sowohl die Scenen tyrannischer Ueberhebung, als die der
Demüthigung zeigten von künstlerischem Verständniß und waren von treff¬
licher Wirkung. Bei Bolingbrote (Herr Lehfelo) hat vielleicht meine gerade
hier mehr hervortretende abweichende Auffassung der Rolle beigetragen, wenn
mir derselbe zu intriguantcnhast erschien: jedenfalls aber hätte seine Sprache
gemessener, ruhiger sein müssen. Ich lasse die übrigen und füge nur noch ein
Wort über die Bearbeitung im Einzelnen hinzu. Daß Dingelstedt aus dem
xoor ßroom ok t!w stabis, den Schlegel mit Stallknecht übersetzt, einen Pagen
gemacht hat, kann ich nicht billigen. Schon Schlegel hat auf den schönen Zug
in des Dichters Gemälde aufmerksam gemacht, daß ein armer Reitknecht mit
seiner treuen Anhänglichkeit alle die abtrünnigen Großen des Reichs beschämt.
Dagegen ist in der oben angeführten Stelle, wo Richard mit dem Worte
tiins spielt, Dingelstedts Aenderung, welcher statt des unverständlichen schlegel-
schen "Zeit" gesetzt hat "Takt", sehr zu loben.


Schranken ein zahlreiches Volk, welches durch dramaturgische Kunst wirklich
dahin gebracht war, bei den passenden Stellen zu gaffen, sich zu verwundern,
zu murren, während bekanntlich sonst der theatralische Statistendemos entweder
in stoischer Ruhe und Indolenz verharrt oder mit verzweifelter Hartnäckigkeit
an den unpassenden Stellen in die eingelernte Leidenschaft geräth. Nur würde
ich das Lärmen der Volksmenge erst nach der Verwandlung, nicht bei noch
stehender Palastdecoration hinter dieser ertönen lassen. Die Visiere der Helme
müssen, glaube ich, beim Sprechen geöffnet werden, mag das historisch sein
oder nicht: der an dies Visier anprallende Ton kommt unklar und dumpf zu
Ohren.

Im zweiten Auszug ist vielleicht das Ende der zweiten Scene etwas zu sehr
gekürzt worden und so nicht mehr ganz klar. Ganz vortrefflich war die Scene
vor Flinsbury arrangirt. Rechts die Burg, ganz hoch; auf einer etwas tieferen
Zinne erscheint der König zur Verhandlung. Bolingbrote steht ganz im Vorder¬
grund links, der die Unterhandlungen vermittelnde Northumberland geht von
einem zum andern: die Bühne mit den Truppen des Rebellen gefüllt. Eben¬
so gut geordnet war die Versammlung in Westminster. Eine reiche Halle, vom
Hofthcatermaler Händel verdienstlich ausgeführt: im Hintergrund der königliche
Thron, rechts und links die Reihen der Lords: Richard kommt aus der ersten
Seitencoulisse links und hat die ganze Bühne zum Spielraum.

Aber nicht nur die Jnscenirung verdient alles Lob, auch das Ensemble
war mit sichtbarer Liebe und eingehender Kenntniß hergestellt. Wenn hierfür,
wi,e für die ganze Idee dieser Aufführungen, dem künstlerischen Sinn Dingel-
stedts der Dank gebührt, so darf man doch nicht vergessen, daß er in dem
Personal der Bühne die eifrigste, solcher Sache gebührende Unterstützung ge¬
sunden bat. Die Rolle Richards war in den Händen des Herrn Grans
gut ausgehoben: sowohl die Scenen tyrannischer Ueberhebung, als die der
Demüthigung zeigten von künstlerischem Verständniß und waren von treff¬
licher Wirkung. Bei Bolingbrote (Herr Lehfelo) hat vielleicht meine gerade
hier mehr hervortretende abweichende Auffassung der Rolle beigetragen, wenn
mir derselbe zu intriguantcnhast erschien: jedenfalls aber hätte seine Sprache
gemessener, ruhiger sein müssen. Ich lasse die übrigen und füge nur noch ein
Wort über die Bearbeitung im Einzelnen hinzu. Daß Dingelstedt aus dem
xoor ßroom ok t!w stabis, den Schlegel mit Stallknecht übersetzt, einen Pagen
gemacht hat, kann ich nicht billigen. Schon Schlegel hat auf den schönen Zug
in des Dichters Gemälde aufmerksam gemacht, daß ein armer Reitknecht mit
seiner treuen Anhänglichkeit alle die abtrünnigen Großen des Reichs beschämt.
Dagegen ist in der oben angeführten Stelle, wo Richard mit dem Worte
tiins spielt, Dingelstedts Aenderung, welcher statt des unverständlichen schlegel-
schen „Zeit" gesetzt hat „Takt", sehr zu loben.


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[0104] Schranken ein zahlreiches Volk, welches durch dramaturgische Kunst wirklich dahin gebracht war, bei den passenden Stellen zu gaffen, sich zu verwundern, zu murren, während bekanntlich sonst der theatralische Statistendemos entweder in stoischer Ruhe und Indolenz verharrt oder mit verzweifelter Hartnäckigkeit an den unpassenden Stellen in die eingelernte Leidenschaft geräth. Nur würde ich das Lärmen der Volksmenge erst nach der Verwandlung, nicht bei noch stehender Palastdecoration hinter dieser ertönen lassen. Die Visiere der Helme müssen, glaube ich, beim Sprechen geöffnet werden, mag das historisch sein oder nicht: der an dies Visier anprallende Ton kommt unklar und dumpf zu Ohren. Im zweiten Auszug ist vielleicht das Ende der zweiten Scene etwas zu sehr gekürzt worden und so nicht mehr ganz klar. Ganz vortrefflich war die Scene vor Flinsbury arrangirt. Rechts die Burg, ganz hoch; auf einer etwas tieferen Zinne erscheint der König zur Verhandlung. Bolingbrote steht ganz im Vorder¬ grund links, der die Unterhandlungen vermittelnde Northumberland geht von einem zum andern: die Bühne mit den Truppen des Rebellen gefüllt. Eben¬ so gut geordnet war die Versammlung in Westminster. Eine reiche Halle, vom Hofthcatermaler Händel verdienstlich ausgeführt: im Hintergrund der königliche Thron, rechts und links die Reihen der Lords: Richard kommt aus der ersten Seitencoulisse links und hat die ganze Bühne zum Spielraum. Aber nicht nur die Jnscenirung verdient alles Lob, auch das Ensemble war mit sichtbarer Liebe und eingehender Kenntniß hergestellt. Wenn hierfür, wi,e für die ganze Idee dieser Aufführungen, dem künstlerischen Sinn Dingel- stedts der Dank gebührt, so darf man doch nicht vergessen, daß er in dem Personal der Bühne die eifrigste, solcher Sache gebührende Unterstützung ge¬ sunden bat. Die Rolle Richards war in den Händen des Herrn Grans gut ausgehoben: sowohl die Scenen tyrannischer Ueberhebung, als die der Demüthigung zeigten von künstlerischem Verständniß und waren von treff¬ licher Wirkung. Bei Bolingbrote (Herr Lehfelo) hat vielleicht meine gerade hier mehr hervortretende abweichende Auffassung der Rolle beigetragen, wenn mir derselbe zu intriguantcnhast erschien: jedenfalls aber hätte seine Sprache gemessener, ruhiger sein müssen. Ich lasse die übrigen und füge nur noch ein Wort über die Bearbeitung im Einzelnen hinzu. Daß Dingelstedt aus dem xoor ßroom ok t!w stabis, den Schlegel mit Stallknecht übersetzt, einen Pagen gemacht hat, kann ich nicht billigen. Schon Schlegel hat auf den schönen Zug in des Dichters Gemälde aufmerksam gemacht, daß ein armer Reitknecht mit seiner treuen Anhänglichkeit alle die abtrünnigen Großen des Reichs beschämt. Dagegen ist in der oben angeführten Stelle, wo Richard mit dem Worte tiins spielt, Dingelstedts Aenderung, welcher statt des unverständlichen schlegel- schen „Zeit" gesetzt hat „Takt", sehr zu loben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/104>, abgerufen am 24.07.2024.