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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Ich habe immer die Kunst bewundert, mit welcher Shakespeare gleich in
dem 1. Theil Heinrichs des Vierten die poetische Gerechtigkeit maßvoll walten
läßt: aber erst diese auf einander folgenden Aufführungen Kaden mir diese
Beobachtung zu voller Helle und Deutlichkeit der Wirklichkeit gebracht. Was
gegen Richard verschuldet worden, muß gesühnt werden. Den Usurpator beugt
das Leid um seinen Sohn, der königlicher Pflichten uneingedenk in tiefste
Niedrigkeit zu versinken scheint, und dann zwingt Rebellion ihm


statt der weichen Friedenskleider
die alten Glieder in unglimpflich Erz.

Und die Rebellen? Es sind vor allen Northumberland und der Heißsporn
Percy, sein Sohn. Sie haben durch ihre Unterstützung Heinrich zum Thron
verhelfen: aber Untreue schlägt den eignen Herrn. Der König vergißt der ge¬
leisteten Dienste und zeigt sich als rauhen Gebieter: das ist die Nemesis, welche
die ungetreuen Diener Richards trifft und sie mut Aufstand gegen den treibt,
den .sie mit Untreue erhöht, zu dem blutigen Bürgerkrieg, in welchem sie unter¬
gehen sollen. Die Continuität der Handlung, welche durch diese unmittelbar
aufeinanderfolgenden Vorstellungen erzielt wurde, ließ die Großartigkeit dieses
dichterischen Plans, wie gesagt, in aller Klarheit vor die Seele treten und zu
entschiedenster Wirkung gelangen.

Die Bearbeitung Dingelstedts hat viel gestrichen, nicht nur im Einzelnen, son¬
dern ganze Personen, wie Glendower und Mortimer, sind in Wegfall gekommen.
Ludwig Tieck hat den classischen Gedanken ausgesprochen-: Wer nicht jedes Wort in
Shakespeare bewundernswerih finde, möge überhaupt nicht sagen, daß er ihn be¬
wundere, den er verstehe Shakespeare nicht. Wer diesen ästhetischen Köhlerglauben
theilt, der wird über alle Aenderungen und Auslassungen bei Bearbeitung shakespea-
rischer Stücke außer sich gerathen oder vielmehr -- für den ist schon der Gedanke
der Bearbeitung selbst undenkbar, eine Majestätsbeleidigung. Wer aber den Aus¬
spruch des großen Romantikers für das hält, was er wirklich ist, ein geist¬
reiches Paradoxon, eine jener Schrullen, durch welche man das veli protÄnum
vuIZus immer von Neuem zu erklären und sich selbst als das auserwählte
Kirchlein künstlerischen Feinsinns hinzustellen beflissen war, der wird die Noth¬
wendigkeit der Bearbeitung anerkennen und dem Bearbeiter ziemlich weit gehende
Zuständigkeiten nicht absprechen. So auch hier. Manches Schöne geht ver¬
loren: wie reizend ist der Gegensatz des weisen und besonnenen Zauberers
und des unweisen Heißsporns:


Klsnäowsr.

I van og,I1 sxirits kron tue va,se^ clöox.


Hotspur.

>VKz5, so vari I, or so og,n ein^ man;
Lud will tue? pomo, wköll ?on 6o call lor tdsm?


Ich habe immer die Kunst bewundert, mit welcher Shakespeare gleich in
dem 1. Theil Heinrichs des Vierten die poetische Gerechtigkeit maßvoll walten
läßt: aber erst diese auf einander folgenden Aufführungen Kaden mir diese
Beobachtung zu voller Helle und Deutlichkeit der Wirklichkeit gebracht. Was
gegen Richard verschuldet worden, muß gesühnt werden. Den Usurpator beugt
das Leid um seinen Sohn, der königlicher Pflichten uneingedenk in tiefste
Niedrigkeit zu versinken scheint, und dann zwingt Rebellion ihm


statt der weichen Friedenskleider
die alten Glieder in unglimpflich Erz.

Und die Rebellen? Es sind vor allen Northumberland und der Heißsporn
Percy, sein Sohn. Sie haben durch ihre Unterstützung Heinrich zum Thron
verhelfen: aber Untreue schlägt den eignen Herrn. Der König vergißt der ge¬
leisteten Dienste und zeigt sich als rauhen Gebieter: das ist die Nemesis, welche
die ungetreuen Diener Richards trifft und sie mut Aufstand gegen den treibt,
den .sie mit Untreue erhöht, zu dem blutigen Bürgerkrieg, in welchem sie unter¬
gehen sollen. Die Continuität der Handlung, welche durch diese unmittelbar
aufeinanderfolgenden Vorstellungen erzielt wurde, ließ die Großartigkeit dieses
dichterischen Plans, wie gesagt, in aller Klarheit vor die Seele treten und zu
entschiedenster Wirkung gelangen.

Die Bearbeitung Dingelstedts hat viel gestrichen, nicht nur im Einzelnen, son¬
dern ganze Personen, wie Glendower und Mortimer, sind in Wegfall gekommen.
Ludwig Tieck hat den classischen Gedanken ausgesprochen-: Wer nicht jedes Wort in
Shakespeare bewundernswerih finde, möge überhaupt nicht sagen, daß er ihn be¬
wundere, den er verstehe Shakespeare nicht. Wer diesen ästhetischen Köhlerglauben
theilt, der wird über alle Aenderungen und Auslassungen bei Bearbeitung shakespea-
rischer Stücke außer sich gerathen oder vielmehr — für den ist schon der Gedanke
der Bearbeitung selbst undenkbar, eine Majestätsbeleidigung. Wer aber den Aus¬
spruch des großen Romantikers für das hält, was er wirklich ist, ein geist¬
reiches Paradoxon, eine jener Schrullen, durch welche man das veli protÄnum
vuIZus immer von Neuem zu erklären und sich selbst als das auserwählte
Kirchlein künstlerischen Feinsinns hinzustellen beflissen war, der wird die Noth¬
wendigkeit der Bearbeitung anerkennen und dem Bearbeiter ziemlich weit gehende
Zuständigkeiten nicht absprechen. So auch hier. Manches Schöne geht ver¬
loren: wie reizend ist der Gegensatz des weisen und besonnenen Zauberers
und des unweisen Heißsporns:


Klsnäowsr.

I van og,I1 sxirits kron tue va,se^ clöox.


Hotspur.

>VKz5, so vari I, or so og,n ein^ man;
Lud will tue? pomo, wköll ?on 6o call lor tdsm?


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[0105] Ich habe immer die Kunst bewundert, mit welcher Shakespeare gleich in dem 1. Theil Heinrichs des Vierten die poetische Gerechtigkeit maßvoll walten läßt: aber erst diese auf einander folgenden Aufführungen Kaden mir diese Beobachtung zu voller Helle und Deutlichkeit der Wirklichkeit gebracht. Was gegen Richard verschuldet worden, muß gesühnt werden. Den Usurpator beugt das Leid um seinen Sohn, der königlicher Pflichten uneingedenk in tiefste Niedrigkeit zu versinken scheint, und dann zwingt Rebellion ihm statt der weichen Friedenskleider die alten Glieder in unglimpflich Erz. Und die Rebellen? Es sind vor allen Northumberland und der Heißsporn Percy, sein Sohn. Sie haben durch ihre Unterstützung Heinrich zum Thron verhelfen: aber Untreue schlägt den eignen Herrn. Der König vergißt der ge¬ leisteten Dienste und zeigt sich als rauhen Gebieter: das ist die Nemesis, welche die ungetreuen Diener Richards trifft und sie mut Aufstand gegen den treibt, den .sie mit Untreue erhöht, zu dem blutigen Bürgerkrieg, in welchem sie unter¬ gehen sollen. Die Continuität der Handlung, welche durch diese unmittelbar aufeinanderfolgenden Vorstellungen erzielt wurde, ließ die Großartigkeit dieses dichterischen Plans, wie gesagt, in aller Klarheit vor die Seele treten und zu entschiedenster Wirkung gelangen. Die Bearbeitung Dingelstedts hat viel gestrichen, nicht nur im Einzelnen, son¬ dern ganze Personen, wie Glendower und Mortimer, sind in Wegfall gekommen. Ludwig Tieck hat den classischen Gedanken ausgesprochen-: Wer nicht jedes Wort in Shakespeare bewundernswerih finde, möge überhaupt nicht sagen, daß er ihn be¬ wundere, den er verstehe Shakespeare nicht. Wer diesen ästhetischen Köhlerglauben theilt, der wird über alle Aenderungen und Auslassungen bei Bearbeitung shakespea- rischer Stücke außer sich gerathen oder vielmehr — für den ist schon der Gedanke der Bearbeitung selbst undenkbar, eine Majestätsbeleidigung. Wer aber den Aus¬ spruch des großen Romantikers für das hält, was er wirklich ist, ein geist¬ reiches Paradoxon, eine jener Schrullen, durch welche man das veli protÄnum vuIZus immer von Neuem zu erklären und sich selbst als das auserwählte Kirchlein künstlerischen Feinsinns hinzustellen beflissen war, der wird die Noth¬ wendigkeit der Bearbeitung anerkennen und dem Bearbeiter ziemlich weit gehende Zuständigkeiten nicht absprechen. So auch hier. Manches Schöne geht ver¬ loren: wie reizend ist der Gegensatz des weisen und besonnenen Zauberers und des unweisen Heißsporns: Klsnäowsr. I van og,I1 sxirits kron tue va,se^ clöox. Hotspur. >VKz5, so vari I, or so og,n ein^ man; Lud will tue? pomo, wköll ?on 6o call lor tdsm?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/105>, abgerufen am 24.07.2024.