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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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wie Bolingbroke als König zu handeln anfängt und seine Anhänger auch
gegen ihn sich so benehmen, als wäre er es wirklich, während er immer noch
vorgiebt oder, ich möchte lieber sagen, sich selbst einwendet, er komme nur,
um sein Erbrecht und die Abstellung der Mißbräuche mit gewaffneter Hand
durchzusetzen. So wird sein Recht zum Unrecht, und wir erblicken in der Ver¬
schwörung am Schluß des Stücks nicht eine ziemlich müßige Episode, sondern
den Anfang der Vergeltung.

Anders war die Auffassung bei der Aufführung in Weimar. Hier war
alles Licht aus Seiten Richards, aller Schatten auf Seiten Bolingbrokes. Der
letztere erschien als entschlossener Thronräuber sofort bei seiner Landung in
England, und alle die Reden, die mir ganz ernstlich gemeint oder wenigstens
die Folgen einer Selbsttäuschung dünken, die Reden, in welchen er Loyalität
und Unterthanentreue gegen Richard darlegt, wurden ironisch gefaßt und mit
markirten Hohne vorgetragen. So wird denn Richard zu einer Art Märtyrer.
Bolingbroke zu einem herzlosen Heuchler. Und doch, meine ich, giebt unser
Drama genugsam zu erkennen, daß Richard nicht ohne eigne Verschuldung fällt
und er selbst fühlt es:


Litt lor dew oonoorä ok luz^ star-s g,"ä diuo
Llaä not an ear to usar mz^ druf eins broto.

und Bolingbroke ist verschlossen und hart, aber dieser fortgesetzte Hohn (oder
soll ich es Ironie nennen?) liegt, denke ich, nicht in seinem Charakter; sonst
müßte dieser Zug doch auch in Heinrich dem Vierten deutlich hervortreten.

In diesem Sinn also wich die hiesige Auffassung beider Charaktere, beson¬
ders aber die des Bolingbroke, sowie der daraus folgenden Entwicklung von
der meinigen ab. Welches die richtige sein mag, wage ich nicht zu entscheiden:
aber es war mir interessant, die mir neue und ungewohnte Fassung mit so viel
Geist, Energie und Consequenz durchführen zu sehen.

Ich wende mich nun zu den Einzelheiten. Die Costüme, nach Angabe
und Zeichnungen des Professors Döpler, einen Münchener Malers, welchen der,
Großherzog für sein Theater gewonnen hat, gefertigt, waren reich und charak¬
teristisch und wahrscheinlich auch historisch treu. Das Letztere scheint mir, gestatten
Sie mir beiläufig diese dramaturgische Bemerkung, nur soweit ein Erfordernis),
soweit die Tracht charakteristisch, und nur soweit zulässig, als sie nicht unschön
ist. Begründung vorbehalten.

So war die Vorstellung von Seiten des Costüms unterstützt: die Decora-
tionen waren passend und ansprechend. Aber ganz vortrefflich (und damit
komme ich zur Hauptsache und zu Dingelstedts wesentlichem Verdienst) war die
Bühneneinrichtung, die Anordnung und das Ensemble. Gleich die Turnier¬
scene war reich und malerisch geordnet. Im Vordergrund links (vom Zuschauer)
der König mit dem Hof, rechts die Kämpfer, im Hintergrund hinter den


wie Bolingbroke als König zu handeln anfängt und seine Anhänger auch
gegen ihn sich so benehmen, als wäre er es wirklich, während er immer noch
vorgiebt oder, ich möchte lieber sagen, sich selbst einwendet, er komme nur,
um sein Erbrecht und die Abstellung der Mißbräuche mit gewaffneter Hand
durchzusetzen. So wird sein Recht zum Unrecht, und wir erblicken in der Ver¬
schwörung am Schluß des Stücks nicht eine ziemlich müßige Episode, sondern
den Anfang der Vergeltung.

Anders war die Auffassung bei der Aufführung in Weimar. Hier war
alles Licht aus Seiten Richards, aller Schatten auf Seiten Bolingbrokes. Der
letztere erschien als entschlossener Thronräuber sofort bei seiner Landung in
England, und alle die Reden, die mir ganz ernstlich gemeint oder wenigstens
die Folgen einer Selbsttäuschung dünken, die Reden, in welchen er Loyalität
und Unterthanentreue gegen Richard darlegt, wurden ironisch gefaßt und mit
markirten Hohne vorgetragen. So wird denn Richard zu einer Art Märtyrer.
Bolingbroke zu einem herzlosen Heuchler. Und doch, meine ich, giebt unser
Drama genugsam zu erkennen, daß Richard nicht ohne eigne Verschuldung fällt
und er selbst fühlt es:


Litt lor dew oonoorä ok luz^ star-s g,»ä diuo
Llaä not an ear to usar mz^ druf eins broto.

und Bolingbroke ist verschlossen und hart, aber dieser fortgesetzte Hohn (oder
soll ich es Ironie nennen?) liegt, denke ich, nicht in seinem Charakter; sonst
müßte dieser Zug doch auch in Heinrich dem Vierten deutlich hervortreten.

In diesem Sinn also wich die hiesige Auffassung beider Charaktere, beson¬
ders aber die des Bolingbroke, sowie der daraus folgenden Entwicklung von
der meinigen ab. Welches die richtige sein mag, wage ich nicht zu entscheiden:
aber es war mir interessant, die mir neue und ungewohnte Fassung mit so viel
Geist, Energie und Consequenz durchführen zu sehen.

Ich wende mich nun zu den Einzelheiten. Die Costüme, nach Angabe
und Zeichnungen des Professors Döpler, einen Münchener Malers, welchen der,
Großherzog für sein Theater gewonnen hat, gefertigt, waren reich und charak¬
teristisch und wahrscheinlich auch historisch treu. Das Letztere scheint mir, gestatten
Sie mir beiläufig diese dramaturgische Bemerkung, nur soweit ein Erfordernis),
soweit die Tracht charakteristisch, und nur soweit zulässig, als sie nicht unschön
ist. Begründung vorbehalten.

So war die Vorstellung von Seiten des Costüms unterstützt: die Decora-
tionen waren passend und ansprechend. Aber ganz vortrefflich (und damit
komme ich zur Hauptsache und zu Dingelstedts wesentlichem Verdienst) war die
Bühneneinrichtung, die Anordnung und das Ensemble. Gleich die Turnier¬
scene war reich und malerisch geordnet. Im Vordergrund links (vom Zuschauer)
der König mit dem Hof, rechts die Kämpfer, im Hintergrund hinter den


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[0103] wie Bolingbroke als König zu handeln anfängt und seine Anhänger auch gegen ihn sich so benehmen, als wäre er es wirklich, während er immer noch vorgiebt oder, ich möchte lieber sagen, sich selbst einwendet, er komme nur, um sein Erbrecht und die Abstellung der Mißbräuche mit gewaffneter Hand durchzusetzen. So wird sein Recht zum Unrecht, und wir erblicken in der Ver¬ schwörung am Schluß des Stücks nicht eine ziemlich müßige Episode, sondern den Anfang der Vergeltung. Anders war die Auffassung bei der Aufführung in Weimar. Hier war alles Licht aus Seiten Richards, aller Schatten auf Seiten Bolingbrokes. Der letztere erschien als entschlossener Thronräuber sofort bei seiner Landung in England, und alle die Reden, die mir ganz ernstlich gemeint oder wenigstens die Folgen einer Selbsttäuschung dünken, die Reden, in welchen er Loyalität und Unterthanentreue gegen Richard darlegt, wurden ironisch gefaßt und mit markirten Hohne vorgetragen. So wird denn Richard zu einer Art Märtyrer. Bolingbroke zu einem herzlosen Heuchler. Und doch, meine ich, giebt unser Drama genugsam zu erkennen, daß Richard nicht ohne eigne Verschuldung fällt und er selbst fühlt es: Litt lor dew oonoorä ok luz^ star-s g,»ä diuo Llaä not an ear to usar mz^ druf eins broto. und Bolingbroke ist verschlossen und hart, aber dieser fortgesetzte Hohn (oder soll ich es Ironie nennen?) liegt, denke ich, nicht in seinem Charakter; sonst müßte dieser Zug doch auch in Heinrich dem Vierten deutlich hervortreten. In diesem Sinn also wich die hiesige Auffassung beider Charaktere, beson¬ ders aber die des Bolingbroke, sowie der daraus folgenden Entwicklung von der meinigen ab. Welches die richtige sein mag, wage ich nicht zu entscheiden: aber es war mir interessant, die mir neue und ungewohnte Fassung mit so viel Geist, Energie und Consequenz durchführen zu sehen. Ich wende mich nun zu den Einzelheiten. Die Costüme, nach Angabe und Zeichnungen des Professors Döpler, einen Münchener Malers, welchen der, Großherzog für sein Theater gewonnen hat, gefertigt, waren reich und charak¬ teristisch und wahrscheinlich auch historisch treu. Das Letztere scheint mir, gestatten Sie mir beiläufig diese dramaturgische Bemerkung, nur soweit ein Erfordernis), soweit die Tracht charakteristisch, und nur soweit zulässig, als sie nicht unschön ist. Begründung vorbehalten. So war die Vorstellung von Seiten des Costüms unterstützt: die Decora- tionen waren passend und ansprechend. Aber ganz vortrefflich (und damit komme ich zur Hauptsache und zu Dingelstedts wesentlichem Verdienst) war die Bühneneinrichtung, die Anordnung und das Ensemble. Gleich die Turnier¬ scene war reich und malerisch geordnet. Im Vordergrund links (vom Zuschauer) der König mit dem Hof, rechts die Kämpfer, im Hintergrund hinter den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/103>, abgerufen am 24.07.2024.