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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Radicalismus mit der auf erreichbare Ziele gerichteten Fortschrittspartei im
übrigen Bayern schlechterdings nicht gemeine Sache machen. Einer ihrer Füh¬
rer hat es in einer Art Manifest durch den in Ludwigshafen heraustommeirden
Pfälzer Kurier mit nackten Worten ausgesprochen, daß sie theils zu radical,
theils zu servil seien, um mit Männern wie Brater und Cramer dieselben Wege
zu wandeln. Zu radical: denn ein monarchischer Bundesstaat könne ihrer Sehn¬
sucht bei weitem nicht genügen. Zu servil: denn da das unbedingt gebieterische
Interesse der Pfalz am Handelsvertrage sie ohnehin schon zu der jetzigen Re¬
gierung in Opposition setze, so sei es doppelt unrathsam, der Regierung noch
einen andern Anstoß zu geben, indem man ihrer Angst vor einer Mediatisirung
neue Nahrung gebe. Die Masse der pfälzischen Volksvertreter wird daher,
sofern sie nicht geradezu regierungsfreundlich auftritt, in der neuen Kammer die¬
selbe mißtrauische und bemißtraute Seitcnstellung einnehmen wie in der
vorigen. Es gibt zwar auch in der Pfalz Keime eines kräftigen und gesun¬
deren Liberalismus, aber diese haben an dem im vorigen Sommer so unerwartet
verstorbenen Abgeordneten Buhl in Deidesheim ihre Hauptstütze verloren. Busih
Tod ist überhaupt für seine Partei ein schwerer Verlust gewesen. Er war im
hohen Grade was man einen praktischen Menschenkenner nennen mag. und
sorgte mit Vorliebe und Geschick für die sociale Bindung der einander noch
fernstehenden Parteigenossen. Der Richtung, welche er in der Pfalz vertrat,
gehört übrigens auch sein wohlgesinnter Schwager Jordan in Deidesheim an.
sie vertritt auch nach des Vaters Hinscheiden sein ältester Sohn. von dem man
eines Tags vielleicht sagen wird, was Burke nach der Jungfernrede William
Pitts sagte: "Das ist nicht blos ein spähn von dem alten Block, es ist der
ganze alte Block."

Die Pfalz muß also ihrem Schicksal überlassen werden. In dem ganzen
rechtsrheinischen Bayern dagegen wird für das freie und geeinigte Vaterland
unter einer und derselben Fahne gefochten werden, welche die Aufschrift "deutsche
Fortschrittspartei" trägt. Diese Aufschrift allein schon genügt, den Charakter
der neuen Partei für Freund und Feind hinlänglich zu stempeln. Es ist der
förmliche Anschluß an die Männer, welche jetzt die Mehrheit des preußischen
Abgeordnetenhauses bilden und die ungeheure Mehrzahl des preußischen Volks
hinter sich haben; der Anschluß an jene anderen, welche in Baden und den
beiden Hessen die Ständeversammlung bereits beherrschen, in Hannover und
Nassau sich zuversichtlich anschicken, dasselbe Ziel zu erreichen, in Würtem-
berg der Mehrheit nahe sind, in Thüringen und den freien Städten selbst
die Regierungen immer mehr in ihre Kreise ziehen, und in Sachsen endlich
wenigstens angefangen haben. nach bestimmenden Einfluß zu streben. Nirgends
allerdings muß die deutsche Fortschrittspartei behutsamer und taktvoller auf¬
treten als in Bayern, nirgends ist sie abhängiger von wechselnden Stimmungen,


Radicalismus mit der auf erreichbare Ziele gerichteten Fortschrittspartei im
übrigen Bayern schlechterdings nicht gemeine Sache machen. Einer ihrer Füh¬
rer hat es in einer Art Manifest durch den in Ludwigshafen heraustommeirden
Pfälzer Kurier mit nackten Worten ausgesprochen, daß sie theils zu radical,
theils zu servil seien, um mit Männern wie Brater und Cramer dieselben Wege
zu wandeln. Zu radical: denn ein monarchischer Bundesstaat könne ihrer Sehn¬
sucht bei weitem nicht genügen. Zu servil: denn da das unbedingt gebieterische
Interesse der Pfalz am Handelsvertrage sie ohnehin schon zu der jetzigen Re¬
gierung in Opposition setze, so sei es doppelt unrathsam, der Regierung noch
einen andern Anstoß zu geben, indem man ihrer Angst vor einer Mediatisirung
neue Nahrung gebe. Die Masse der pfälzischen Volksvertreter wird daher,
sofern sie nicht geradezu regierungsfreundlich auftritt, in der neuen Kammer die¬
selbe mißtrauische und bemißtraute Seitcnstellung einnehmen wie in der
vorigen. Es gibt zwar auch in der Pfalz Keime eines kräftigen und gesun¬
deren Liberalismus, aber diese haben an dem im vorigen Sommer so unerwartet
verstorbenen Abgeordneten Buhl in Deidesheim ihre Hauptstütze verloren. Busih
Tod ist überhaupt für seine Partei ein schwerer Verlust gewesen. Er war im
hohen Grade was man einen praktischen Menschenkenner nennen mag. und
sorgte mit Vorliebe und Geschick für die sociale Bindung der einander noch
fernstehenden Parteigenossen. Der Richtung, welche er in der Pfalz vertrat,
gehört übrigens auch sein wohlgesinnter Schwager Jordan in Deidesheim an.
sie vertritt auch nach des Vaters Hinscheiden sein ältester Sohn. von dem man
eines Tags vielleicht sagen wird, was Burke nach der Jungfernrede William
Pitts sagte: „Das ist nicht blos ein spähn von dem alten Block, es ist der
ganze alte Block."

Die Pfalz muß also ihrem Schicksal überlassen werden. In dem ganzen
rechtsrheinischen Bayern dagegen wird für das freie und geeinigte Vaterland
unter einer und derselben Fahne gefochten werden, welche die Aufschrift „deutsche
Fortschrittspartei" trägt. Diese Aufschrift allein schon genügt, den Charakter
der neuen Partei für Freund und Feind hinlänglich zu stempeln. Es ist der
förmliche Anschluß an die Männer, welche jetzt die Mehrheit des preußischen
Abgeordnetenhauses bilden und die ungeheure Mehrzahl des preußischen Volks
hinter sich haben; der Anschluß an jene anderen, welche in Baden und den
beiden Hessen die Ständeversammlung bereits beherrschen, in Hannover und
Nassau sich zuversichtlich anschicken, dasselbe Ziel zu erreichen, in Würtem-
berg der Mehrheit nahe sind, in Thüringen und den freien Städten selbst
die Regierungen immer mehr in ihre Kreise ziehen, und in Sachsen endlich
wenigstens angefangen haben. nach bestimmenden Einfluß zu streben. Nirgends
allerdings muß die deutsche Fortschrittspartei behutsamer und taktvoller auf¬
treten als in Bayern, nirgends ist sie abhängiger von wechselnden Stimmungen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/49>, abgerufen am 19.10.2024.