Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gemacht hatte und aus leidlich liberalen Leuten bestand. Da weder Brater
noch Cramer in Nürnberg wohnt, gab man das Stichwort aus, ein Platz wie
dieser dürfe sich nicht auswärts nach Vertretern umsehen und müsse insbeson¬
dere darnach trachten, ein paar tüchtige Kaufleute in die Kammer zu bringen.
Sorgfältig wurde jeder sichtbare Zusammenhang mit den Ultramontanen und
Reactionären vermieden, die in München, Augsburg und Würzburg den soge¬
nannten Reformverein füllen, während in Nürnberg noch keiner hat auftauchen
wollen. Trotz aller dieser Anstalten darf man bis jetzt gleichwohl die Hoffnung
hegen, daß die fränkische Hauptstadt ihrer bisherigen nationalen und liberalen
Fahne treu bleiben wird. Nächst Nürnberg ist es hauptsächlich der blühende
Handelsplatz Schweinfurt am Main, wo Protestantismus und wirthschaftliche
Interessen zusammenwirken, der nationalen Gesinnung einen guten Boden zu
bereiten. Aber auch die "dritte Stadt des Landes", die schwäbische Hauptstadt
Augsburg denkt man diesmal der Fortschrittspartei zu erobern. Sie hat da
bereits einen starken Halt im Magistrat; der Bürgermeister Fischer und zwei
Magistratsräthe haben den Wahlaufruf mit unterzeichnet. Außerdem wohnt jetzt
in Augsburg das beredteste und volksbeliebteste Mitglied der Partei. Advocat
Volk. Er und sein College Barth, in Kaufbeuern, vormaliges Parlaments¬
mitglied, sind die erfahrenen und hochgeachteten Führer der deutschen Partei
in Bayrisch-Schwaben. Das ist keine schwache Partei. Ein bischen günstiger
politischer Wind von Norden her würde ihr in dieser Provinz die unbedingte
Herrschaft geben. Aber es ist eine vorwiegend gemäßigte Partei, und die jetzige
milde Verwaltung stimmt sie daher zu Rücksichten, welche die feurigeren Franken
für sich allein nicht nehmen würden. Soweit freilich wie die Nheinpfälzer gehen
weder die Franken in ihrem gelegentlichen radicalen Ungestüm, noch die Schwa¬
ben in ihren schonungsvvllen Rücksichten. Die Pfalz ist für Bayern ein wahres
Kreuz, ungefähr wie es früher die Rheinprovinz für Preußen war und wie
es noch heute Ostfriesland für Hannover ist. Sie will schlechterdings in Bayern
nicht aufgehen, und das nicht aus Hingebung an Deutschland, sondern halb aus
Particularismus und halb aus Hang zu einer ewigen unfruchtbaren Opposition.
Niemand kann trefflicher als der Pfälzer aus alle Autorität schimpfen, so lange
man ihn nicht aus den Mund geschlagen hat, und Niemand duckt sich dann
wieder tiefer als er, wenn die schwere Hand der Gewalt sich auf ihn legt.
Sein ganzes Wesen ist fröhliche Selbstsucht und Genußsucht, der es leicht wird,
sich in dem Enthusiasmus eines heißen Augenblicks zu tollkühnen Experimenten
aufzuschwingen, aber schwer oder fast unmöglich, ernst, zähe und aufopfernd
auch im ruhigen Flusse des Alltagslebens an der politischen Reform zu arbei¬
ten. Diesem Naturell entsprechend haben die Pfälzer während der Reactions¬
zeit ein wahres Pascharegiment geduldig ertragen und die Kammern mit den
servilsten Elementen bevölkert, und will auch jetzt ihr wieder aufgewachter


gemacht hatte und aus leidlich liberalen Leuten bestand. Da weder Brater
noch Cramer in Nürnberg wohnt, gab man das Stichwort aus, ein Platz wie
dieser dürfe sich nicht auswärts nach Vertretern umsehen und müsse insbeson¬
dere darnach trachten, ein paar tüchtige Kaufleute in die Kammer zu bringen.
Sorgfältig wurde jeder sichtbare Zusammenhang mit den Ultramontanen und
Reactionären vermieden, die in München, Augsburg und Würzburg den soge¬
nannten Reformverein füllen, während in Nürnberg noch keiner hat auftauchen
wollen. Trotz aller dieser Anstalten darf man bis jetzt gleichwohl die Hoffnung
hegen, daß die fränkische Hauptstadt ihrer bisherigen nationalen und liberalen
Fahne treu bleiben wird. Nächst Nürnberg ist es hauptsächlich der blühende
Handelsplatz Schweinfurt am Main, wo Protestantismus und wirthschaftliche
Interessen zusammenwirken, der nationalen Gesinnung einen guten Boden zu
bereiten. Aber auch die „dritte Stadt des Landes", die schwäbische Hauptstadt
Augsburg denkt man diesmal der Fortschrittspartei zu erobern. Sie hat da
bereits einen starken Halt im Magistrat; der Bürgermeister Fischer und zwei
Magistratsräthe haben den Wahlaufruf mit unterzeichnet. Außerdem wohnt jetzt
in Augsburg das beredteste und volksbeliebteste Mitglied der Partei. Advocat
Volk. Er und sein College Barth, in Kaufbeuern, vormaliges Parlaments¬
mitglied, sind die erfahrenen und hochgeachteten Führer der deutschen Partei
in Bayrisch-Schwaben. Das ist keine schwache Partei. Ein bischen günstiger
politischer Wind von Norden her würde ihr in dieser Provinz die unbedingte
Herrschaft geben. Aber es ist eine vorwiegend gemäßigte Partei, und die jetzige
milde Verwaltung stimmt sie daher zu Rücksichten, welche die feurigeren Franken
für sich allein nicht nehmen würden. Soweit freilich wie die Nheinpfälzer gehen
weder die Franken in ihrem gelegentlichen radicalen Ungestüm, noch die Schwa¬
ben in ihren schonungsvvllen Rücksichten. Die Pfalz ist für Bayern ein wahres
Kreuz, ungefähr wie es früher die Rheinprovinz für Preußen war und wie
es noch heute Ostfriesland für Hannover ist. Sie will schlechterdings in Bayern
nicht aufgehen, und das nicht aus Hingebung an Deutschland, sondern halb aus
Particularismus und halb aus Hang zu einer ewigen unfruchtbaren Opposition.
Niemand kann trefflicher als der Pfälzer aus alle Autorität schimpfen, so lange
man ihn nicht aus den Mund geschlagen hat, und Niemand duckt sich dann
wieder tiefer als er, wenn die schwere Hand der Gewalt sich auf ihn legt.
Sein ganzes Wesen ist fröhliche Selbstsucht und Genußsucht, der es leicht wird,
sich in dem Enthusiasmus eines heißen Augenblicks zu tollkühnen Experimenten
aufzuschwingen, aber schwer oder fast unmöglich, ernst, zähe und aufopfernd
auch im ruhigen Flusse des Alltagslebens an der politischen Reform zu arbei¬
ten. Diesem Naturell entsprechend haben die Pfälzer während der Reactions¬
zeit ein wahres Pascharegiment geduldig ertragen und die Kammern mit den
servilsten Elementen bevölkert, und will auch jetzt ihr wieder aufgewachter


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0048" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188075"/>
          <p xml:id="ID_120" prev="#ID_119" next="#ID_121"> gemacht hatte und aus leidlich liberalen Leuten bestand. Da weder Brater<lb/>
noch Cramer in Nürnberg wohnt, gab man das Stichwort aus, ein Platz wie<lb/>
dieser dürfe sich nicht auswärts nach Vertretern umsehen und müsse insbeson¬<lb/>
dere darnach trachten, ein paar tüchtige Kaufleute in die Kammer zu bringen.<lb/>
Sorgfältig wurde jeder sichtbare Zusammenhang mit den Ultramontanen und<lb/>
Reactionären vermieden, die in München, Augsburg und Würzburg den soge¬<lb/>
nannten Reformverein füllen, während in Nürnberg noch keiner hat auftauchen<lb/>
wollen. Trotz aller dieser Anstalten darf man bis jetzt gleichwohl die Hoffnung<lb/>
hegen, daß die fränkische Hauptstadt ihrer bisherigen nationalen und liberalen<lb/>
Fahne treu bleiben wird. Nächst Nürnberg ist es hauptsächlich der blühende<lb/>
Handelsplatz Schweinfurt am Main, wo Protestantismus und wirthschaftliche<lb/>
Interessen zusammenwirken, der nationalen Gesinnung einen guten Boden zu<lb/>
bereiten. Aber auch die &#x201E;dritte Stadt des Landes", die schwäbische Hauptstadt<lb/>
Augsburg denkt man diesmal der Fortschrittspartei zu erobern. Sie hat da<lb/>
bereits einen starken Halt im Magistrat; der Bürgermeister Fischer und zwei<lb/>
Magistratsräthe haben den Wahlaufruf mit unterzeichnet. Außerdem wohnt jetzt<lb/>
in Augsburg das beredteste und volksbeliebteste Mitglied der Partei. Advocat<lb/>
Volk. Er und sein College Barth, in Kaufbeuern, vormaliges Parlaments¬<lb/>
mitglied, sind die erfahrenen und hochgeachteten Führer der deutschen Partei<lb/>
in Bayrisch-Schwaben. Das ist keine schwache Partei. Ein bischen günstiger<lb/>
politischer Wind von Norden her würde ihr in dieser Provinz die unbedingte<lb/>
Herrschaft geben. Aber es ist eine vorwiegend gemäßigte Partei, und die jetzige<lb/>
milde Verwaltung stimmt sie daher zu Rücksichten, welche die feurigeren Franken<lb/>
für sich allein nicht nehmen würden. Soweit freilich wie die Nheinpfälzer gehen<lb/>
weder die Franken in ihrem gelegentlichen radicalen Ungestüm, noch die Schwa¬<lb/>
ben in ihren schonungsvvllen Rücksichten. Die Pfalz ist für Bayern ein wahres<lb/>
Kreuz, ungefähr wie es früher die Rheinprovinz für Preußen war und wie<lb/>
es noch heute Ostfriesland für Hannover ist. Sie will schlechterdings in Bayern<lb/>
nicht aufgehen, und das nicht aus Hingebung an Deutschland, sondern halb aus<lb/>
Particularismus und halb aus Hang zu einer ewigen unfruchtbaren Opposition.<lb/>
Niemand kann trefflicher als der Pfälzer aus alle Autorität schimpfen, so lange<lb/>
man ihn nicht aus den Mund geschlagen hat, und Niemand duckt sich dann<lb/>
wieder tiefer als er, wenn die schwere Hand der Gewalt sich auf ihn legt.<lb/>
Sein ganzes Wesen ist fröhliche Selbstsucht und Genußsucht, der es leicht wird,<lb/>
sich in dem Enthusiasmus eines heißen Augenblicks zu tollkühnen Experimenten<lb/>
aufzuschwingen, aber schwer oder fast unmöglich, ernst, zähe und aufopfernd<lb/>
auch im ruhigen Flusse des Alltagslebens an der politischen Reform zu arbei¬<lb/>
ten. Diesem Naturell entsprechend haben die Pfälzer während der Reactions¬<lb/>
zeit ein wahres Pascharegiment geduldig ertragen und die Kammern mit den<lb/>
servilsten Elementen bevölkert, und will auch jetzt ihr wieder aufgewachter</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0048] gemacht hatte und aus leidlich liberalen Leuten bestand. Da weder Brater noch Cramer in Nürnberg wohnt, gab man das Stichwort aus, ein Platz wie dieser dürfe sich nicht auswärts nach Vertretern umsehen und müsse insbeson¬ dere darnach trachten, ein paar tüchtige Kaufleute in die Kammer zu bringen. Sorgfältig wurde jeder sichtbare Zusammenhang mit den Ultramontanen und Reactionären vermieden, die in München, Augsburg und Würzburg den soge¬ nannten Reformverein füllen, während in Nürnberg noch keiner hat auftauchen wollen. Trotz aller dieser Anstalten darf man bis jetzt gleichwohl die Hoffnung hegen, daß die fränkische Hauptstadt ihrer bisherigen nationalen und liberalen Fahne treu bleiben wird. Nächst Nürnberg ist es hauptsächlich der blühende Handelsplatz Schweinfurt am Main, wo Protestantismus und wirthschaftliche Interessen zusammenwirken, der nationalen Gesinnung einen guten Boden zu bereiten. Aber auch die „dritte Stadt des Landes", die schwäbische Hauptstadt Augsburg denkt man diesmal der Fortschrittspartei zu erobern. Sie hat da bereits einen starken Halt im Magistrat; der Bürgermeister Fischer und zwei Magistratsräthe haben den Wahlaufruf mit unterzeichnet. Außerdem wohnt jetzt in Augsburg das beredteste und volksbeliebteste Mitglied der Partei. Advocat Volk. Er und sein College Barth, in Kaufbeuern, vormaliges Parlaments¬ mitglied, sind die erfahrenen und hochgeachteten Führer der deutschen Partei in Bayrisch-Schwaben. Das ist keine schwache Partei. Ein bischen günstiger politischer Wind von Norden her würde ihr in dieser Provinz die unbedingte Herrschaft geben. Aber es ist eine vorwiegend gemäßigte Partei, und die jetzige milde Verwaltung stimmt sie daher zu Rücksichten, welche die feurigeren Franken für sich allein nicht nehmen würden. Soweit freilich wie die Nheinpfälzer gehen weder die Franken in ihrem gelegentlichen radicalen Ungestüm, noch die Schwa¬ ben in ihren schonungsvvllen Rücksichten. Die Pfalz ist für Bayern ein wahres Kreuz, ungefähr wie es früher die Rheinprovinz für Preußen war und wie es noch heute Ostfriesland für Hannover ist. Sie will schlechterdings in Bayern nicht aufgehen, und das nicht aus Hingebung an Deutschland, sondern halb aus Particularismus und halb aus Hang zu einer ewigen unfruchtbaren Opposition. Niemand kann trefflicher als der Pfälzer aus alle Autorität schimpfen, so lange man ihn nicht aus den Mund geschlagen hat, und Niemand duckt sich dann wieder tiefer als er, wenn die schwere Hand der Gewalt sich auf ihn legt. Sein ganzes Wesen ist fröhliche Selbstsucht und Genußsucht, der es leicht wird, sich in dem Enthusiasmus eines heißen Augenblicks zu tollkühnen Experimenten aufzuschwingen, aber schwer oder fast unmöglich, ernst, zähe und aufopfernd auch im ruhigen Flusse des Alltagslebens an der politischen Reform zu arbei¬ ten. Diesem Naturell entsprechend haben die Pfälzer während der Reactions¬ zeit ein wahres Pascharegiment geduldig ertragen und die Kammern mit den servilsten Elementen bevölkert, und will auch jetzt ihr wieder aufgewachter

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/48
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/48>, abgerufen am 20.10.2024.