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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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diese Weise sich einzelner Personen zu entledigen, welche sich nur dadurch ver¬
gangen hatten, daß sie von der gesetzlichen Freiheit Gebrauch machten. Das
Ziel der Wünsche aber blieb darauf gerichtet, die Mitglieder der Linken der
unter Anwendung von Gewalt beseitigten Abgeordnetenkammer mittelst einer
Criminaluntcrsuchung ins Verderben zu bringen und sich dadurch dieser leben¬
digen Protestation gegen die Wiederherstellung der vormärzlichen Zustände zu
entledigen. Dies ward dadurch sehr erleichtert, daß an der Spitze des Crimi-
nalcollegiums, des Untersuchungsgerichts für Hochverrat!) und andere schwere
Verbrechen ein Mann stand, welcher es für seine richterliche Pflicht hielt, zur
Ausrichtung jedes ministeriellen Auftrags die Hand zu bieten. Dies war der
durch die "Vierundvierzig Monate Untersuchungshaft" von Julius Wiggers als
eine Art von mecklenburgischer Jeffreys bekannt gewordene Criminaldirector Bolle.
Seine Charakteristik liegt in den Mittheilungen des genannten Buches vor.
Es ergibt sich daraus die eigenthümliche Auffassung, welche dieser Richter von
seiner Stellung zu den oberen Regierungsbehörden hatte. Er hielt sich für
verbunden, jeden Befehl derselben, ohne Prüfung seiner Gesetzmäßigkeit, zur
Ausführung zu bringen, und sah dies als eine Obliegenheit an, die aus den
Grundsätzen der "conservativen" Partei, die er für die einzige im Staate be¬
rechtigte hielt, mit Nothwendigkeit folge. Er huldigte dieser Partei bei jeder
Gelegenheit mit Ostentation, fand aber das Wesen derselben in der unbedingten
Unterordnung unter den jedesmal herrschenden Geist der Zeit. Man erinnert
sich in Bützow sehr wohl, wie dieser "konservative" Mann im Jahre 1848 die
Versammlungen des dortigen Nesormvereins besuchte und den demokratischen
Rednern seinen Beifall spendete. "Ich bedaure," so äußerte er sich nach einem
Vortrage des öl-. Genzke. eines entschiedenen Demokraten, "daß mir die Gabe
der Rede versagt ist; sonst würde ich sofort auf die Rednerbühne eilen und dem
gediegenen Vortrage, mit welchem ich in allen Punkten einverstanden bin. hier
öffentlich meine Anerkennung zollen." Im Criminalcollegium, welches außer ihm
noch zwei andere Mitglieder zählte, hatte er sich durch sein rücksichtsloses und
despotisches Wesen eine dominirende Stellung gesichert, welche ihm, zumal in
denjenigen Untersuchungen, in welchen er sich selbst als Inquirenten constituirt
hatte, um so größeren Einfluß gab, als auch die Geschäftsordnung des Kolle¬
giums dem Inquirenten einen weiten Spielraum und bedeutende Selbständig¬
keit gab.

Eine erste Gelegenheit, die ganze Linke der früheren Abgeordnetenkammer
in einen Criminalproceß zu verwickeln, glaubte Herr v. Schröter in dem Um¬
stand gewonnen zu haben, daß das Criminalcollegium durch eine eingegangene
Denunciation sich heilte bestimmen lassen, den früheren Abgeordneten Pastor
Ritter wegen Verbreitung eines Ausrufs von Johannes Norge in Criminal-
untersuchung zu ziehen. Das Criminalcollegium hatte jedoch in dieser Sache


diese Weise sich einzelner Personen zu entledigen, welche sich nur dadurch ver¬
gangen hatten, daß sie von der gesetzlichen Freiheit Gebrauch machten. Das
Ziel der Wünsche aber blieb darauf gerichtet, die Mitglieder der Linken der
unter Anwendung von Gewalt beseitigten Abgeordnetenkammer mittelst einer
Criminaluntcrsuchung ins Verderben zu bringen und sich dadurch dieser leben¬
digen Protestation gegen die Wiederherstellung der vormärzlichen Zustände zu
entledigen. Dies ward dadurch sehr erleichtert, daß an der Spitze des Crimi-
nalcollegiums, des Untersuchungsgerichts für Hochverrat!) und andere schwere
Verbrechen ein Mann stand, welcher es für seine richterliche Pflicht hielt, zur
Ausrichtung jedes ministeriellen Auftrags die Hand zu bieten. Dies war der
durch die „Vierundvierzig Monate Untersuchungshaft" von Julius Wiggers als
eine Art von mecklenburgischer Jeffreys bekannt gewordene Criminaldirector Bolle.
Seine Charakteristik liegt in den Mittheilungen des genannten Buches vor.
Es ergibt sich daraus die eigenthümliche Auffassung, welche dieser Richter von
seiner Stellung zu den oberen Regierungsbehörden hatte. Er hielt sich für
verbunden, jeden Befehl derselben, ohne Prüfung seiner Gesetzmäßigkeit, zur
Ausführung zu bringen, und sah dies als eine Obliegenheit an, die aus den
Grundsätzen der „conservativen" Partei, die er für die einzige im Staate be¬
rechtigte hielt, mit Nothwendigkeit folge. Er huldigte dieser Partei bei jeder
Gelegenheit mit Ostentation, fand aber das Wesen derselben in der unbedingten
Unterordnung unter den jedesmal herrschenden Geist der Zeit. Man erinnert
sich in Bützow sehr wohl, wie dieser „konservative" Mann im Jahre 1848 die
Versammlungen des dortigen Nesormvereins besuchte und den demokratischen
Rednern seinen Beifall spendete. „Ich bedaure," so äußerte er sich nach einem
Vortrage des öl-. Genzke. eines entschiedenen Demokraten, „daß mir die Gabe
der Rede versagt ist; sonst würde ich sofort auf die Rednerbühne eilen und dem
gediegenen Vortrage, mit welchem ich in allen Punkten einverstanden bin. hier
öffentlich meine Anerkennung zollen." Im Criminalcollegium, welches außer ihm
noch zwei andere Mitglieder zählte, hatte er sich durch sein rücksichtsloses und
despotisches Wesen eine dominirende Stellung gesichert, welche ihm, zumal in
denjenigen Untersuchungen, in welchen er sich selbst als Inquirenten constituirt
hatte, um so größeren Einfluß gab, als auch die Geschäftsordnung des Kolle¬
giums dem Inquirenten einen weiten Spielraum und bedeutende Selbständig¬
keit gab.

Eine erste Gelegenheit, die ganze Linke der früheren Abgeordnetenkammer
in einen Criminalproceß zu verwickeln, glaubte Herr v. Schröter in dem Um¬
stand gewonnen zu haben, daß das Criminalcollegium durch eine eingegangene
Denunciation sich heilte bestimmen lassen, den früheren Abgeordneten Pastor
Ritter wegen Verbreitung eines Ausrufs von Johannes Norge in Criminal-
untersuchung zu ziehen. Das Criminalcollegium hatte jedoch in dieser Sache


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[0305] diese Weise sich einzelner Personen zu entledigen, welche sich nur dadurch ver¬ gangen hatten, daß sie von der gesetzlichen Freiheit Gebrauch machten. Das Ziel der Wünsche aber blieb darauf gerichtet, die Mitglieder der Linken der unter Anwendung von Gewalt beseitigten Abgeordnetenkammer mittelst einer Criminaluntcrsuchung ins Verderben zu bringen und sich dadurch dieser leben¬ digen Protestation gegen die Wiederherstellung der vormärzlichen Zustände zu entledigen. Dies ward dadurch sehr erleichtert, daß an der Spitze des Crimi- nalcollegiums, des Untersuchungsgerichts für Hochverrat!) und andere schwere Verbrechen ein Mann stand, welcher es für seine richterliche Pflicht hielt, zur Ausrichtung jedes ministeriellen Auftrags die Hand zu bieten. Dies war der durch die „Vierundvierzig Monate Untersuchungshaft" von Julius Wiggers als eine Art von mecklenburgischer Jeffreys bekannt gewordene Criminaldirector Bolle. Seine Charakteristik liegt in den Mittheilungen des genannten Buches vor. Es ergibt sich daraus die eigenthümliche Auffassung, welche dieser Richter von seiner Stellung zu den oberen Regierungsbehörden hatte. Er hielt sich für verbunden, jeden Befehl derselben, ohne Prüfung seiner Gesetzmäßigkeit, zur Ausführung zu bringen, und sah dies als eine Obliegenheit an, die aus den Grundsätzen der „conservativen" Partei, die er für die einzige im Staate be¬ rechtigte hielt, mit Nothwendigkeit folge. Er huldigte dieser Partei bei jeder Gelegenheit mit Ostentation, fand aber das Wesen derselben in der unbedingten Unterordnung unter den jedesmal herrschenden Geist der Zeit. Man erinnert sich in Bützow sehr wohl, wie dieser „konservative" Mann im Jahre 1848 die Versammlungen des dortigen Nesormvereins besuchte und den demokratischen Rednern seinen Beifall spendete. „Ich bedaure," so äußerte er sich nach einem Vortrage des öl-. Genzke. eines entschiedenen Demokraten, „daß mir die Gabe der Rede versagt ist; sonst würde ich sofort auf die Rednerbühne eilen und dem gediegenen Vortrage, mit welchem ich in allen Punkten einverstanden bin. hier öffentlich meine Anerkennung zollen." Im Criminalcollegium, welches außer ihm noch zwei andere Mitglieder zählte, hatte er sich durch sein rücksichtsloses und despotisches Wesen eine dominirende Stellung gesichert, welche ihm, zumal in denjenigen Untersuchungen, in welchen er sich selbst als Inquirenten constituirt hatte, um so größeren Einfluß gab, als auch die Geschäftsordnung des Kolle¬ giums dem Inquirenten einen weiten Spielraum und bedeutende Selbständig¬ keit gab. Eine erste Gelegenheit, die ganze Linke der früheren Abgeordnetenkammer in einen Criminalproceß zu verwickeln, glaubte Herr v. Schröter in dem Um¬ stand gewonnen zu haben, daß das Criminalcollegium durch eine eingegangene Denunciation sich heilte bestimmen lassen, den früheren Abgeordneten Pastor Ritter wegen Verbreitung eines Ausrufs von Johannes Norge in Criminal- untersuchung zu ziehen. Das Criminalcollegium hatte jedoch in dieser Sache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/305>, abgerufen am 20.10.2024.