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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Künstler beherrschte, diente das lange wallende Haar dazu, dem Kopf einen gefäl¬
ligen Umriß zu geben. Der Maler des obenerwähnten Bildes, in der S. Pon-
tiano-Katakombe aber schuf ein Antlitz, das beinahe ebenso breit wie lang war, mit
gewölbter Stirn, starrenden Augen, deren Winkel einfielen, kugeliger Nasenspitze,
hervorstehenden Backenknochen und kleinem Kinn. Eine Ueberfülle von Haar, das
in der Mitte gescheitelt war und auf die Stirn zwei Locken herunterhängen ließ,
bildete einen Kreis um das Gesicht und gab dem breiten Hals ein dünnes An¬
sehen. Ein kleiner verwilderter Bart deckte den untern Theil des Kinns. Die
rechte zum Segen erhobne Hand war unförmig; der Faltenwurf hatte alle
Rundung verloren und erschien auffallend eckig.

Gegen Ende des achten Jahrhunderts ging dann in dem leeren Umriß
und den fehlerhaften Formen auch die Majestät des Ausdrucks gänzlich verloren
und der Christus, wie er in der Kapelle der heiligen Cäcilia in der S. Calisto-
Katakombe abgebildet ist, verdient überhaupt nur Beachtung, weil er mit einer
gewissen Großartigkeit die Erniedrigung kund gibt, in welche zu dieser Zeit
die Kunst versunken war.

Daß die Mosaiker dieselbe Richtung einschlugen, wie die Maler, ist selbst¬
verständlich ; aber sie begnügten sich mit der Wiederholung der allereinfachsten
Gegenstände wie z. B. der Verherrlichung Christi, der Jungfrau und der
Heiligen, und wollten sich eine eigne Komposition nicht zutrauen. Daher er¬
hielt sich in gewissen Typen eine Reminiscenz der antiken Auffassung, die sich
in einer Art würdevollen Ausdrucks und Stellung und in der Breite des volle"
Faltenwurfs geltend machte, obgleich dieser nur durch parallele Linien angedeutet
wurde.

Während aber der Typus der Christusgestalt immer mehr an Interesse
verlor, war es eigenthümlich, daß die Künstler nach und nach versuchten, einzelne
Momente aus der Passionszeit bildlich darzustellen, von denen jedoch die schmerz¬
vollster bis gegen Ende des neunten Jahrhunderts sorgfältig vermieden wur¬
den. Das höchste Wagniß war der Weg zur Schädelstätte, wobei Christus
von dem, der ihm das Kreuz trug, begleitet wurde. Bald aber ging man wei¬
ter. Schon das zehnte und elfte Jahrhundert gefällt sich gewissermaßen darin,
die Leiden und den Tod des Heilands darzustellen.

In den Kirchen, wo diese Bilder zuerst erschienen, hingen sie gewöhnlich
solchen gegenüber, die Christus nach der Auferstehung zeigen, wie er in einer
Glorie sitzt und über "die Lebendigen und die Todten" Gericht hält. Zu
S. Urbano alla Caffarella in Rom findet sich auf der inneren Seite des Portals
eine Kreuzigung aus dem elften Jahrhundert. Der Heiland steht dort auf
einer Art Vorsprung, seine Füße, etwas von einander entfernt, sind an das Holz
genagelt; eine leichte Draperie bedeckt die Hüften; rechts hält Calpurnius den
Schwamm in die Höhe, während auf der linken Seite Longinus seine Lanze


Künstler beherrschte, diente das lange wallende Haar dazu, dem Kopf einen gefäl¬
ligen Umriß zu geben. Der Maler des obenerwähnten Bildes, in der S. Pon-
tiano-Katakombe aber schuf ein Antlitz, das beinahe ebenso breit wie lang war, mit
gewölbter Stirn, starrenden Augen, deren Winkel einfielen, kugeliger Nasenspitze,
hervorstehenden Backenknochen und kleinem Kinn. Eine Ueberfülle von Haar, das
in der Mitte gescheitelt war und auf die Stirn zwei Locken herunterhängen ließ,
bildete einen Kreis um das Gesicht und gab dem breiten Hals ein dünnes An¬
sehen. Ein kleiner verwilderter Bart deckte den untern Theil des Kinns. Die
rechte zum Segen erhobne Hand war unförmig; der Faltenwurf hatte alle
Rundung verloren und erschien auffallend eckig.

Gegen Ende des achten Jahrhunderts ging dann in dem leeren Umriß
und den fehlerhaften Formen auch die Majestät des Ausdrucks gänzlich verloren
und der Christus, wie er in der Kapelle der heiligen Cäcilia in der S. Calisto-
Katakombe abgebildet ist, verdient überhaupt nur Beachtung, weil er mit einer
gewissen Großartigkeit die Erniedrigung kund gibt, in welche zu dieser Zeit
die Kunst versunken war.

Daß die Mosaiker dieselbe Richtung einschlugen, wie die Maler, ist selbst¬
verständlich ; aber sie begnügten sich mit der Wiederholung der allereinfachsten
Gegenstände wie z. B. der Verherrlichung Christi, der Jungfrau und der
Heiligen, und wollten sich eine eigne Komposition nicht zutrauen. Daher er¬
hielt sich in gewissen Typen eine Reminiscenz der antiken Auffassung, die sich
in einer Art würdevollen Ausdrucks und Stellung und in der Breite des volle»
Faltenwurfs geltend machte, obgleich dieser nur durch parallele Linien angedeutet
wurde.

Während aber der Typus der Christusgestalt immer mehr an Interesse
verlor, war es eigenthümlich, daß die Künstler nach und nach versuchten, einzelne
Momente aus der Passionszeit bildlich darzustellen, von denen jedoch die schmerz¬
vollster bis gegen Ende des neunten Jahrhunderts sorgfältig vermieden wur¬
den. Das höchste Wagniß war der Weg zur Schädelstätte, wobei Christus
von dem, der ihm das Kreuz trug, begleitet wurde. Bald aber ging man wei¬
ter. Schon das zehnte und elfte Jahrhundert gefällt sich gewissermaßen darin,
die Leiden und den Tod des Heilands darzustellen.

In den Kirchen, wo diese Bilder zuerst erschienen, hingen sie gewöhnlich
solchen gegenüber, die Christus nach der Auferstehung zeigen, wie er in einer
Glorie sitzt und über „die Lebendigen und die Todten" Gericht hält. Zu
S. Urbano alla Caffarella in Rom findet sich auf der inneren Seite des Portals
eine Kreuzigung aus dem elften Jahrhundert. Der Heiland steht dort auf
einer Art Vorsprung, seine Füße, etwas von einander entfernt, sind an das Holz
genagelt; eine leichte Draperie bedeckt die Hüften; rechts hält Calpurnius den
Schwamm in die Höhe, während auf der linken Seite Longinus seine Lanze


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[0064] Künstler beherrschte, diente das lange wallende Haar dazu, dem Kopf einen gefäl¬ ligen Umriß zu geben. Der Maler des obenerwähnten Bildes, in der S. Pon- tiano-Katakombe aber schuf ein Antlitz, das beinahe ebenso breit wie lang war, mit gewölbter Stirn, starrenden Augen, deren Winkel einfielen, kugeliger Nasenspitze, hervorstehenden Backenknochen und kleinem Kinn. Eine Ueberfülle von Haar, das in der Mitte gescheitelt war und auf die Stirn zwei Locken herunterhängen ließ, bildete einen Kreis um das Gesicht und gab dem breiten Hals ein dünnes An¬ sehen. Ein kleiner verwilderter Bart deckte den untern Theil des Kinns. Die rechte zum Segen erhobne Hand war unförmig; der Faltenwurf hatte alle Rundung verloren und erschien auffallend eckig. Gegen Ende des achten Jahrhunderts ging dann in dem leeren Umriß und den fehlerhaften Formen auch die Majestät des Ausdrucks gänzlich verloren und der Christus, wie er in der Kapelle der heiligen Cäcilia in der S. Calisto- Katakombe abgebildet ist, verdient überhaupt nur Beachtung, weil er mit einer gewissen Großartigkeit die Erniedrigung kund gibt, in welche zu dieser Zeit die Kunst versunken war. Daß die Mosaiker dieselbe Richtung einschlugen, wie die Maler, ist selbst¬ verständlich ; aber sie begnügten sich mit der Wiederholung der allereinfachsten Gegenstände wie z. B. der Verherrlichung Christi, der Jungfrau und der Heiligen, und wollten sich eine eigne Komposition nicht zutrauen. Daher er¬ hielt sich in gewissen Typen eine Reminiscenz der antiken Auffassung, die sich in einer Art würdevollen Ausdrucks und Stellung und in der Breite des volle» Faltenwurfs geltend machte, obgleich dieser nur durch parallele Linien angedeutet wurde. Während aber der Typus der Christusgestalt immer mehr an Interesse verlor, war es eigenthümlich, daß die Künstler nach und nach versuchten, einzelne Momente aus der Passionszeit bildlich darzustellen, von denen jedoch die schmerz¬ vollster bis gegen Ende des neunten Jahrhunderts sorgfältig vermieden wur¬ den. Das höchste Wagniß war der Weg zur Schädelstätte, wobei Christus von dem, der ihm das Kreuz trug, begleitet wurde. Bald aber ging man wei¬ ter. Schon das zehnte und elfte Jahrhundert gefällt sich gewissermaßen darin, die Leiden und den Tod des Heilands darzustellen. In den Kirchen, wo diese Bilder zuerst erschienen, hingen sie gewöhnlich solchen gegenüber, die Christus nach der Auferstehung zeigen, wie er in einer Glorie sitzt und über „die Lebendigen und die Todten" Gericht hält. Zu S. Urbano alla Caffarella in Rom findet sich auf der inneren Seite des Portals eine Kreuzigung aus dem elften Jahrhundert. Der Heiland steht dort auf einer Art Vorsprung, seine Füße, etwas von einander entfernt, sind an das Holz genagelt; eine leichte Draperie bedeckt die Hüften; rechts hält Calpurnius den Schwamm in die Höhe, während auf der linken Seite Longinus seine Lanze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/64>, abgerufen am 26.11.2024.