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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Lange vor dieser Zeit hatten die Maler aufgehört, sich in den Katakomben
zu verbergen und die höheren Orden der italienischen Geistlichkeit waren darin
übereingekommen, daß das Heidenthum durch Vervielfältigung von Bildern
am leichtesten ausgerottet werden könnte. Wer sich dafür interessirt, mag Pau-
linus, Gregorius und die Parteigänger der Bilderverehrung studiren, um die
Motive zu verstehen, die sie veranlaßten, die alten Basiliken und neuerbauten
Kirchen mit biblischen Gegenständen zu schmücken. Die Mosaikbilder, mit de¬
nen die großen Bauwerk" dieser Zeit verziert wurden, trugen keinen andern Cha¬
rakter als die Gemälde der Katakomben. Jedoch erhielt der Erlöser durch die
Mosaikmaler einen kolossalen Umfang, um dem Beschauer einen richtigen Begriff
von seiner Majestät und Größe beizubringen.

In einem Mosaikbilde in S. Paolo fuori le mure umschließt ein kur¬
zer üppiger Bart, der in der Mitte getheilt und über die Backen herunter ge¬
bürstet ist, und dickes, in der Mitte gescheiteltes und nach hinten in drahtartigen
Linien herunterfallendes Haar, das vergrämte, gealterte und mürrische Gesicht
des Heilands. Die Augenbrauen sind vollständige Halbkreise; die Nase ist ge¬
rade, eine Andeutung der regelmäßigen classischen Form hat sich erhalten, aber
der Künstler verräth schon den tieferen Verfall seiner Zeit..

Im sechsten Jahrhundert nimmt, wie z. B. in S. Cvsma und Damiano,
Figur und Kopfform des Heilands, wenn auch noch in geistvoller Haltung und
von regelmäßiger Form, doch eine längere Gestalt an. Der Hals bleibt breit
und massig, die Stirn hingegen ist muskulös entwickelt und die Augen, wie
die eines Stieres glotzend, sind ganz dazu geeignet Furcht zu erregen. Das
wie gewöhnlich gescheitelte Haar fällt in regelmäßigen Ringeln hinter die
Schultern, und der kurze, gleichfalls getheilte Bart läßt einen Theil des Kinns
unbedeckt. Es ist zwar immer noch ein römischer Typus, aber doch dem der ersten
Mosaikmaler bei Weitem untergeordnet.

Auch Ravenna, als es im fünften Jahrhundert mit Rom wetteiferte, er¬
hielt in seinen Basiliken Erinnerungen an das classische Zeitalter der Römer,
ja selbst das der Griechen. Ju der Taufkapelle erscheint Christus als der gute
Hirt mit lockigem Haupt, das an den reinsten griechischen Typus erinnert. Als
aber die Gothen aus Ravenna Vertrieben worden, trat ein Verfall, ähnlich wie
i" Nom ein.

Im siebenten Jahrhundert sank in allen Theilen der Halbinsel die Kunst
immer tiefer, ein Christusbild in der Katakombe von S. Pontiano gibt noch
heute ein trauriges Zeugniß davon. Der Künstler entwarf hier mit dunklen
Linien, auf einer nur grob präparirten Wand, einen von den vorhergehenden
gänzlich abweichenden Typus, der dann im achten und neunten und sogar im
dreizehnten Jahrhundert oft wiederzufinden ist. Der Kopf des Heilands war
bis jetzt wenigstens regelmäßig geblieben. So lange noch antikes Gefühl den


Lange vor dieser Zeit hatten die Maler aufgehört, sich in den Katakomben
zu verbergen und die höheren Orden der italienischen Geistlichkeit waren darin
übereingekommen, daß das Heidenthum durch Vervielfältigung von Bildern
am leichtesten ausgerottet werden könnte. Wer sich dafür interessirt, mag Pau-
linus, Gregorius und die Parteigänger der Bilderverehrung studiren, um die
Motive zu verstehen, die sie veranlaßten, die alten Basiliken und neuerbauten
Kirchen mit biblischen Gegenständen zu schmücken. Die Mosaikbilder, mit de¬
nen die großen Bauwerk« dieser Zeit verziert wurden, trugen keinen andern Cha¬
rakter als die Gemälde der Katakomben. Jedoch erhielt der Erlöser durch die
Mosaikmaler einen kolossalen Umfang, um dem Beschauer einen richtigen Begriff
von seiner Majestät und Größe beizubringen.

In einem Mosaikbilde in S. Paolo fuori le mure umschließt ein kur¬
zer üppiger Bart, der in der Mitte getheilt und über die Backen herunter ge¬
bürstet ist, und dickes, in der Mitte gescheiteltes und nach hinten in drahtartigen
Linien herunterfallendes Haar, das vergrämte, gealterte und mürrische Gesicht
des Heilands. Die Augenbrauen sind vollständige Halbkreise; die Nase ist ge¬
rade, eine Andeutung der regelmäßigen classischen Form hat sich erhalten, aber
der Künstler verräth schon den tieferen Verfall seiner Zeit..

Im sechsten Jahrhundert nimmt, wie z. B. in S. Cvsma und Damiano,
Figur und Kopfform des Heilands, wenn auch noch in geistvoller Haltung und
von regelmäßiger Form, doch eine längere Gestalt an. Der Hals bleibt breit
und massig, die Stirn hingegen ist muskulös entwickelt und die Augen, wie
die eines Stieres glotzend, sind ganz dazu geeignet Furcht zu erregen. Das
wie gewöhnlich gescheitelte Haar fällt in regelmäßigen Ringeln hinter die
Schultern, und der kurze, gleichfalls getheilte Bart läßt einen Theil des Kinns
unbedeckt. Es ist zwar immer noch ein römischer Typus, aber doch dem der ersten
Mosaikmaler bei Weitem untergeordnet.

Auch Ravenna, als es im fünften Jahrhundert mit Rom wetteiferte, er¬
hielt in seinen Basiliken Erinnerungen an das classische Zeitalter der Römer,
ja selbst das der Griechen. Ju der Taufkapelle erscheint Christus als der gute
Hirt mit lockigem Haupt, das an den reinsten griechischen Typus erinnert. Als
aber die Gothen aus Ravenna Vertrieben worden, trat ein Verfall, ähnlich wie
i» Nom ein.

Im siebenten Jahrhundert sank in allen Theilen der Halbinsel die Kunst
immer tiefer, ein Christusbild in der Katakombe von S. Pontiano gibt noch
heute ein trauriges Zeugniß davon. Der Künstler entwarf hier mit dunklen
Linien, auf einer nur grob präparirten Wand, einen von den vorhergehenden
gänzlich abweichenden Typus, der dann im achten und neunten und sogar im
dreizehnten Jahrhundert oft wiederzufinden ist. Der Kopf des Heilands war
bis jetzt wenigstens regelmäßig geblieben. So lange noch antikes Gefühl den


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[0063] Lange vor dieser Zeit hatten die Maler aufgehört, sich in den Katakomben zu verbergen und die höheren Orden der italienischen Geistlichkeit waren darin übereingekommen, daß das Heidenthum durch Vervielfältigung von Bildern am leichtesten ausgerottet werden könnte. Wer sich dafür interessirt, mag Pau- linus, Gregorius und die Parteigänger der Bilderverehrung studiren, um die Motive zu verstehen, die sie veranlaßten, die alten Basiliken und neuerbauten Kirchen mit biblischen Gegenständen zu schmücken. Die Mosaikbilder, mit de¬ nen die großen Bauwerk« dieser Zeit verziert wurden, trugen keinen andern Cha¬ rakter als die Gemälde der Katakomben. Jedoch erhielt der Erlöser durch die Mosaikmaler einen kolossalen Umfang, um dem Beschauer einen richtigen Begriff von seiner Majestät und Größe beizubringen. In einem Mosaikbilde in S. Paolo fuori le mure umschließt ein kur¬ zer üppiger Bart, der in der Mitte getheilt und über die Backen herunter ge¬ bürstet ist, und dickes, in der Mitte gescheiteltes und nach hinten in drahtartigen Linien herunterfallendes Haar, das vergrämte, gealterte und mürrische Gesicht des Heilands. Die Augenbrauen sind vollständige Halbkreise; die Nase ist ge¬ rade, eine Andeutung der regelmäßigen classischen Form hat sich erhalten, aber der Künstler verräth schon den tieferen Verfall seiner Zeit.. Im sechsten Jahrhundert nimmt, wie z. B. in S. Cvsma und Damiano, Figur und Kopfform des Heilands, wenn auch noch in geistvoller Haltung und von regelmäßiger Form, doch eine längere Gestalt an. Der Hals bleibt breit und massig, die Stirn hingegen ist muskulös entwickelt und die Augen, wie die eines Stieres glotzend, sind ganz dazu geeignet Furcht zu erregen. Das wie gewöhnlich gescheitelte Haar fällt in regelmäßigen Ringeln hinter die Schultern, und der kurze, gleichfalls getheilte Bart läßt einen Theil des Kinns unbedeckt. Es ist zwar immer noch ein römischer Typus, aber doch dem der ersten Mosaikmaler bei Weitem untergeordnet. Auch Ravenna, als es im fünften Jahrhundert mit Rom wetteiferte, er¬ hielt in seinen Basiliken Erinnerungen an das classische Zeitalter der Römer, ja selbst das der Griechen. Ju der Taufkapelle erscheint Christus als der gute Hirt mit lockigem Haupt, das an den reinsten griechischen Typus erinnert. Als aber die Gothen aus Ravenna Vertrieben worden, trat ein Verfall, ähnlich wie i» Nom ein. Im siebenten Jahrhundert sank in allen Theilen der Halbinsel die Kunst immer tiefer, ein Christusbild in der Katakombe von S. Pontiano gibt noch heute ein trauriges Zeugniß davon. Der Künstler entwarf hier mit dunklen Linien, auf einer nur grob präparirten Wand, einen von den vorhergehenden gänzlich abweichenden Typus, der dann im achten und neunten und sogar im dreizehnten Jahrhundert oft wiederzufinden ist. Der Kopf des Heilands war bis jetzt wenigstens regelmäßig geblieben. So lange noch antikes Gefühl den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/63>, abgerufen am 26.11.2024.